warte draußen darauf, dass alle die Kirche verlassen haben und Pastor Kerber herauskommt.
Einige Gottesdienstteilnehmer stehen vor der Tür und unterhalten sich. Die Sonne scheint bei angenehmen Temperaturen. »Erst wenn die letzte Posaune ertönt, werden die Toten auferstehen!« Ich schnappe diesen Satz auf und ahne, bevor ich mich umdrehe und mir Gewissheit verschaffe, dass dies von Rübezahl kommt. Tatsächlich. Er diskutiert mit einem älteren Paar. Er ist ein rundlicher Typ mit Kojak-Glatze, sie eine fesche Frau in den Siebzigern mit kurzem grauen Haar. Was während der Veranstaltung eben tabu war, scheint hier sofort zentrales Thema zu sein. Ich rücke etwas näher an die kleine Gruppe heran.
»Ich glaube einfach nicht, dass Oliver Bender wieder lebendig ist!« höre ich Kojak sagen. »Außer von Jesus hat man das noch von niemandem gehört.«
»Das ist es ja eben. Wie Jesus! Wisst ihr überhaupt, was das bedeuten kann?« Die Frau schaut ihre beiden Gesprächspartner herausfordernd an. Die schütteln mit dem Kopf. »Das kann bedeuten, Gott schickt uns seinen Sohn ein zweites Mal. Nur diesmal heißt er nicht Jesus Christus, sondern Oliver Bender!«
Der Trachtenrübezahl schüttelt energisch mit dem Kopf. »Liebe Schwester, allein so zu denken ist Ketzerei! Unser Herr hat alles getan. Er ist der einzige Herr im Himmel und auf Erden. Niemand ist ihm gleich – schon gar nicht Oliver Bender!«
»Aber wieso,« widerspricht ihm die Frau. »Ihr seht doch auch, wie wenig Himmelstaler inzwischen zur Kirche kommen. Unser kleines Dorf ist völlig gottlos geworden. Früher kamen Jung und Alt zur Kirche. Wir hatten einen Kindergottesdienst und einen Jugendkreis. Und heute? Das erlebt ihr ja selbst. Wenn überhaupt, kommen wir Alten noch. Jesus wird von den meisten total ausgeblendet. Niemand glaubt an ihn, niemand folgt ihm mehr. Alle verschlafen den Gottesdienst oder arbeiten sogar am heiligen Sonntag. Da wäre es doch auch für Gott nur vernünftig, einen weiteren Versuch zu starten.«
»Irene, das finde ich gar nicht so dumm. Hier bei uns fängt ein neues Kapitel des Christentums an! Das ließe sich sogar touristisch vermarkten!« Kojak scheint Pragmatiker zu sein. »Himmelstal hat dafür die besten Voraussetzungen: Der Name spricht für sich, wir sind ein kleines Dorf wie Bethlehem es auch war und hier gibt es ein paar wirklich getreue Christenmenschen – denkt nur an unser Tagungshaus mit den vielen jungen Leuten und deren tägliche Andachten!«
Es kribbelt mir auf der Zunge, in dieses Gespräch einzugreifen. Selbst ich weiß, dass Jesus im Provinzdorf Bethlehem zwar geboren ist, gestorben und beerdigt wurde er aber in der Hauptstadt Jerusalem. Seine Auferstehung soll sich ebenfalls dort ereignet haben. Folglich würde der Bender-Jesus beim zweiten Versuch Gottes in Berlin sterben und auferstehen. Himmelstal wäre damit raus ...
In diesem Moment kommt der Pastor aus der Kirche. Er trägt nicht mehr den Talar, sondern eine dunkle Jeans und ein weißes Hemd. Darin sieht er nun fast jugendlich aus. Ich stufe sein geschätztes Alter auf Anfang Dreißig herunter. Er steuert auf mich zu und reicht mir noch einmal die Hand.
»Klaus Kerber«, stellt er sich vor. »Entschuldigen Sie, dass es noch gedauert hat. Ich musste den Konfirmanden noch eine Unterschrift geben.« Es hat sich also seit meiner Konfirmandenzeit nichts geändert. »Und Sie sind ...?«
»Mein Name ist Jens Jahnke. Ich komme aus der Kreisstadt.« Ein bisschen fürchte ich mich, ihm zu offenbaren, dass ich Journalist bin.
»Und Sie wollten mich sprechen. Worum geht es?«
Der Mann kommt schnell auf den Punkt. Einerseits gefällt mir das, andererseits ist ein langsamer Beginn mit Small Talk für ein Gespräch manchmal am Ende erfolgreicher. Aber nun denn ... ich muss es nehmen wie es kommt.
»Äh, es geht um ein heikles Thema. Zum einen ist es theologischer Art, zum anderen geht es um einen Vorfall auf Ihrem Friedhof.«
Sofort erkenne ich am Gesicht meines Gegenübers, dass er weiß, wovon ich rede.
»Sind Sie von der Polizei?« fragt er. Ich bin erstaunt.
»Von der Polizei? Wie kommen Sie darauf?«
»Also nicht. Sind Sie von der Presse?«
Nun bleibt mir nichts anderes übrig. Ich zücke meinen Ausweis und halte ihm den hin.
»Ja. Ich arbeite für das Kreisblatt und ich weiß, dass Ihre letzte Beerdigung nur bedingt erfolgreich war. Mir haben Zeugen, deren Namen ich nicht nennen werde, berichtet, dass Ihr Gemeindeglied Oliver Bender nach seiner Beerdigung wieder aufgetaucht ist.«
Nun ist es raus. Der Geistliche schaut mich lange an. Dann nickt er.
»Okay. Wir werden wohl darüber reden müssen. Allerdings geht es weder heute noch morgen. Wie wäre es mit Dienstag so gegen Mittag?«
Ich bin enttäuscht, dass er sich dem Gespräch jetzt entzieht. Vermutlich will er mich hinhalten. Aber ich frage ihn nicht nach seinen Gründen. Ich will ihn nicht verärgern. Also stimme ich zu.
»Dann telefonieren wir am Dienstag gegen Mittag und treffen uns in der Stadt. So müssen Sie nicht fahren und ich bin dienstags ohnehin regelmäßig dort.«
Das Gespräch ist vorbei. Leider diskutieren auch die drei anderen nicht mehr über Sinn oder Unsinn einer Auferstehung in Himmelstal, sondern verabschieden sich gerade voneinander. Rübezahl steigt auf ein uraltes Fahrrad. Irene und Kojak verlassen das Kirchgrundstück zu Fuß. Gerne hätte ich ihr Gespräch belauscht und dabei womöglich ihre Kompetenz in Sachen »Tourismusbelebung im ländlichen Raum«, kombiniert mit »theologischer Ratgeber des lieben Gottes«, bewundern können.
*
Ich überlege, was ich jetzt noch tun kann. Das allerwichtigste wäre, dass ich ein Interview mit Maren Bender bekomme. Hoffentlich ist sie wenigstens heute am Sonntag in ihrem Haus.
Meine Hoffnung wird enttäuscht. Wieder ist der Abstellplatz im Carport neben Benders Wohnhaus leer. Wieder ist sie nicht zuhause. Ob Maren Bender sich hier ganz bewusst nicht sehen lässt?
Ich klingle gegenüber bei Familie Tönnies. Mein erster Zeuge öffnet selbst die Tür.
»Sie hier und das am Sonntag? Na, dann kommen Sie mal herein! Vielleicht mögen Sie ja einen frischen Eintopf mit uns essen.«
Wir sitzen in der Küche. Seine Frau hat einen Gemüseeintopf mit Rindfleisch gemacht und sie laden mich zum Essen ein. Für einen Single wie mich ist es wie ein Fünfer im Lotto. Alle Zutaten sind frisch. Es ist derart köstlich, dass wir kaum reden, dafür umso mehr genießen.
Nach dem Essen serviert Frau Tönnies einen mit einer Jura-Kaffeemaschine gemachten Cappuccino. Auch er schmeckt hervorragend.
»Gestern war Ihre Nachbarin Maren Bender zur Arbeit in Lüneburg. Heute ist sie ebenfalls nicht da. Haben Sie eine Ahnung, wo die Witwe an diesem Wochenende erreichbar ist?«
Ich hoffe, einer der beiden kann jetzt weiterhelfen.
Gerald schaut seine Frau fragend an.
»Weißt du das? Auch ich habe ihr Auto nur gestern Abend kurz gesehen. Danach war der Carport wieder leer. Das Licht brannte drüben nur im Hausflur.«
»Ich weiß es nicht.« Geralds Frau kann auch nicht weiterhelfen. »Maren und ich haben ja oft miteinander geredet. Der Tod ihres Mannes hat sie sehr mitgenommen. Auch wenn sie bei der Beerdigung einen gefassten Eindruck gemacht hat, sie war richtig fertig. Nur ihr Glaube hat ihr einen Funken Hoffnung gegeben.«
»Sie meinen, ihr Glaube an die Auferstehung.«
»Ja, davon hat sie gesprochen. Aber sie meinte nicht eine Auferstehung nach wenigen Tagen, sondern am Ende aller Tage.«
»Und nach der Erscheinung Olivers am Sonntagabend, haben Sie Ihre Nachbarin danach auch noch einmal gesprochen?«
»Leider nicht. Ich habe sie nur ein- oder zweimal kurz ins Auto einsteigen und wegfahren sehen.«
Ich trete auf der Stelle. Frau Tönnies weiß auch nicht, wo Frau Bender sein könnte.
»Wissen Sie etwas von