Lukas Stern

Online-Dating - Hautnah -


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C&A, neben dem Parkhaus, lautet der Treffpunkt. Wir verabreden, dass wir vorher nicht mehr zu telefonieren brauchen, da bald Samstag ist.

      Nur wenige Tage bis zum Date, mir kommen sie trotzdem lang vor. Je mehr Zeit vergeht und der Samstag näher kommt, desto aufgeregter bin ich. Ich versuche möglichst nicht an das bevorstehende Date zu denken. Es würde mich komplett vereinnahmen.

      Es ist Freitagnachmittag, ich bin gerade im Treppenhaus bei mir Zuhause, als das Telefon klingelt. Marie ist dran. „Ich bin es Marie. Ist bei dir alles in Ordnung?“ Marie wirkt nervös und aufgeregt. „Ja, klar. Wie geht es dir?“ „Ich wollte fragen, ob es bei morgen bleibt, mit unserem Date. Weil du dich nicht mehr gemeldet hast.“ „Sicher, ich freue mich schon und aufgeregt bin ich auch. Hatte ich gesagt, dass ich mich noch einmal melde? Sorry, wenn ich da was vergessen habe.“ „Nein, nein. Stimmt ja, wir wollten nicht mehr telefonieren.“ Nach dem Gespräch bin ich ein wenig erstaunt: Marie war nervös und irgendwie zerstreut. So habe ich sie bislang nicht kennengelernt. Vielleicht ist sie noch aufgeregter als ich. Egal, morgen lerne ich Marie kennen. Endlich persönlich.

      Es ist Samstagmorgen, halb neun, gewöhnlich nicht die Uhrzeit, um die ich am Wochenende aufstehe. Heute mache ich es gerne, denn Marie wartet gleich auf mich. Ich will auf gar keinen Fall zu spät kommen. Ich höre Musik im Auto, um auf andere Gedanken zu kommen. Das nützt aber nichts, denn ständig lese ich auf Hinweisschildern den Namen der Stadt, in der ich gleich Marie treffe.

      Einmal verfahren, lese ich den Namen des Parkhauses, das gegenüber dem Treffpunkt liegt. Mein Herz schlägt nun immer schneller. Ich sehe das Parkhaus und vor mir, über den Zebrastreifen gehend, eine junge und sehr attraktive Frau, genau mein Typ.

      Schade, warum habe ich nicht mit so einer Frau ein Date? Die sieht richtig klasse aus. Plötzlich realisiere ich, dass diese Frau in Richtung C&A geht und ihren Gang verlangsamt, so, als würde sie gleich vor dem Eingang stehen bleiben - dem Treffpunkt mit Marie. Auf einmal fängt mein Herz wie wild an zu rasen. Ist die Schönheit vom Zebrastreifen vielleicht Marie? Haarfarbe und Körpergröße stimmen in etwa mit ihr überein. Das Gesicht nicht. Aber Maries Fotos können täuschen und so bete ich innerlich den Gott der schönen Frau an, dass die Frau vor dem Kaufhaus bitte Marie sein soll.

      Ich stehe schon an der Parkschranke und verrenke mir immer noch den Hals, um die schöne Frau anzuschauen. In den nächsten fünf Minuten wird sich das Rätsel lösen, dann lerne ich endlich Marie kennen. Ich verlasse das Parkhaus und sehe, dass die Schönheit vom Zebrastreifen sich auf eine Bank neben dem Eingang des Kaufhauses gesetzt hat. „Die Frau ist wirklich der Oberhammer, besser geht es ja kaum noch“, denke ich. Als ich über den Zebrastreifen gehe, steht sie auf und lächelt mich an, mein Herz kollabiert gleich: es muss Marie sein.

      Sie hat mich erkannt, ich hingegen hätte sie anhand ihrer Fotos nicht erkannt. Als sie jetzt auch noch ein paar Schritte lächelnd auf mich zukommt, habe ich endgültige Gewissheit: die schöne Frau von eben ist Marie. Sie trägt eine weiße Bluse und eine braune Lederjacke. Dazu schwarze Lederstiefeletten und eine blaue Jeans. Alles sitzt perfekt. Ihre Haare sind gefärbt. Am Telefon sagte sie: „Das ist Straßenköter-Schwarz.“ Unpassende Selbstironie, wie ich finde. Denn ich finde sie klasse. Wirklich hübsch. „Ich bin die Frau vom Telefon“, sagt sie. Wir lachen und umarmen uns. Ich habe auf einmal mit zwei Dingen zu kämpfen: 1. Dass ich voller Begeisterung und Euphorie noch klar denken kann, um vollständige Sätze auszusprechen zu können und 2. Dass sie meine Erektion nicht bemerkt. Zu allem Überfluss gehen wir auch durch das Kaufhaus, um in die Fußgängerzone zu gelangen und sie bleibt in der Damenunterwäscheabteilung stehen. Sie lächelt mich nur an und sagt, dass ich ja ein traumhaftes Wetter mitgebracht habe. „Ja, das habe ich.“ Für mich ist auf einmal ohnehin alles ein wahrgewordener Traum.

      Wir wollen in einem Café frühstücken. Dort angekommen, nehmen wir draußen Platz. Es ist zwar erst Mitte April, aber fast schon sommerlich. Marie zeigt mir ihre neuen Firmenflyer und Visitenkarten. Ich soll meine Einschätzung abgeben. Marie macht das wirklich geschickt, sie baut nach und nach mehr Vertrauen auf und schaut mich mit einem verschmitzten Lächeln dabei an. Plötzlich fragt sie mich: „Findest du mich eigentlich dick?“ Ich bin erstaunt, muss lachen und frage: „Wie kommst du denn darauf? Du hast doch eine gute Figur.“ „Na, ja. Mehr darf es auf keinen Fall werden.“ „Du hast Konfektionsgröße 36. Das ist doch top. Was willst du denn noch?“, frage ich ein wenig verwundert. „Nein, nein. Ich habe 38“, sagt sie und weicht meinem Blick aus. „Worüber du dir Gedanken machst? Eine bessere Figur kann man doch kaum haben“, sage ich zu ihrer Erleichterung. Sie lächelt.

      Marie möchte mit mir zum Schlosspark gehen. Als ich gerade die Rechnung bezahlen möchte, sagt sie: „Nix da, das geht auf mich, du bist schließlich hierhergekommen, also bist du auch eingeladen.“ „Endlich einmal Gleichberechtigung!“, sage ich. Sie lacht. Sie wohnt erst seit einigen Monaten in dieser Stadt und kennt noch keinen Menschen, geht oft alleine schwimmen oder ins Kino. „Einmal habe ich über eine andere Plattform einen Mann kennengelernt. Wir sind auch am selben Abend zusammengekommen. Hat aber nicht lange gehalten. Er war mir zu langweilig. Aktuell kenne ich nur meine Kunden und dich.“

      Eine gute Freundin hat sie nicht. Nur einen Bekannten, der ihr beim Umzug geholfen hat. „Ich will alles hinter mir lassen: Bekannte und Verwandte. Deswegen bin ich auch weit weg gezogen.“ Komisch, denke ich. Eine nette, attraktive und intelligente Frau und keine Freunde? Und was bedeutet „alles hinter mir lassen?“ Ich will nachfragen, aber sie erzählt schnell weiter. „Jetzt bin ich aber wieder reif für eine Partnerschaft. Deswegen habe ich auch gleich eine größere Wohnung angemietet.“

      Am Schlosspark angekommen, entscheiden wir uns für die Eintrittskarten ohne Führung. „Damit wir alleine sind“, sage ich. Marie lächelt mich an. Das macht sie noch schöner. Seit Minuten schon spielt sie mit ihrem Haar. Sie wickelt es um ihre Finger – und mich gleich mit.

      Als wir ganz alleine in einem größeren Raum voller alter Ritterausrüstungen und Kleidern sind, bleiben wir bei einem Glaskasten stehen. Darin liegt eine alte Korsage. „Korsagen sind sexy. Ich trage gerne welche, mit Spitze“, sagt sie zu meinem Erstaunen. Ich freue mich. „Ja, so was gefällt mir auch“, bemerke ich bewusst beiläufig. Beim übernächsten Glaskasten liegt eine Ritterausrüstung. „Dem Volumen nach, muss die Ausrüstung wohl einem dickeren Ritter gehört haben. Dicke Männer sind nichts für mich. Ich brauche Bewegung, im Bett“, sagt sie mit einem provozierenden Lächeln. Sie spielt wieder mit ihrem Haar und schaut mich demonstrativ nicht an. Marie erwartet aber eindeutig eine Reaktion von mir. „Gewisse Bewegungen machen viel Spaß und sind auch sehr gesund“, antworte ich. Sie schaut mich an, lächelt und nickt. Diese Offenheit hätte ich von ihr nicht erwartet, nicht nach knapp drei Stunden des Kennenlernens. Es wirkt aber eher ansprechend als aufdringlich.

      Am Ende des Rundgangs angekommen, verlassen wir das Schloss und gehen noch durch den Park spazieren. Das Wetter wird immer schöner. Die Temperatur steigt auf über 20 °C. „Ich bin keine von diesen Schicksen“, sagt sie. Sie besitzt nur fünf Paar Schuhe und drei Handtaschen. Ansonsten trägt sie am liebsten körperbetonte Kleidung. Das ist mir vorhin aufgefallen. „Dein Kleidungsstil gefällt mir: schlicht, adrett, klassisch. Ich brauche neue Klamotten und will keinen Fehlgriff landen. Hast du Lust, meine Stilberaterin zu sein?“ „Gerne, dann komme ich dich nächste Woche besuchen und kleide dich neu ein.“ Das wollte ich hören. Ich habe mein Anschlussdate. „Leider bin ich nächste Woche auf einem Seminar“, muss ich ihr antworten. „Danach aber.“ „Hm, schade, dann sehen wir uns ja gar nicht nächste Woche. Aber zum Glück gibt es das Telefon“, sagt sie. Wir beschließen, noch einen Kaffee zu trinken.

      Es ist mittlerweile so warm, dass wir einen Schattenplatz nehmen müssen. Ein Traumwetter für ein Traumdate. Sie zeigt mir Fotos von ihrer Wohnung. „Und auf diesen Barhocker setzt du dich, während ich einen Cocktail für dich mixe, wenn du mich besuchst.“ Während wir uns ihre Fotos von ihrem Smartphone anschauen, streift sie mehrmals absichtlich meine Hand. Wieder schaut sie mich dabei demonstrativ nicht an, lächelt aber und fragt: „Schüchtern?“ „Nein“, ist meine Antwort, während die Kellnerin den Kaffee bringt. In einem denkbar ungünstigen Moment, denn die knisternde Spannung ist erst einmal heraus.

      Marie