Lukas Stern

Online-Dating - Hautnah -


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Sie wirkte wie weggetreten. Das war eine ganz andere Frau, die ich eben gesprochen habe, das war nicht die Marie vom letzten Samstag. Ich tröste mich mit den Worten: „Die war einfach nur schlecht drauf.“

      Das Seminar ist zu Ende. Samstagabend zu Hause angekommen, klingelt auch sofort mein Telefon: Marie. Sie ist sehr aufgeregt, fast panikhaft. Mit schriller Stimme fragt sie: „Wieso meldest du dich nicht? Wo bist du? Ich rufe dich seit Stunden im Büro an.“ Ich fasse es wieder nicht. Was ist mit ihr los? „Marie, ich bin gerade nach Hause gekommen. Ich war doch auf Seminar. Das weißt du doch. Ich komme gerade vom Hauptbahnhof. Und wieso rufst du im Büro an? Da erreichst du doch am Samstag niemanden.“ Sie schweigt für ein paar Sekunden. „Ach so, ja, stimmt. Ja, richtig. Du warst ja auf Seminar. Wie war es denn?“

      So langsam spüre ich, wenn auch noch unbewusst, dass mit ihr etwas nicht stimmt. Diese nette, intelligente und hochattraktive Frau, mit der ich stundenlang telefoniert und einen traumhaften Samstag vor einer Woche verbracht habe, präsentiert sich nun ein weiteres Mal als sehr vergesslich und nervös. Ist es wirklich ein schwaches Gedächtnis oder blendet sie Dinge unbewusst aus? Und wieder wirkt sie, wenn auch nur die ersten Minuten, wie weggetreten. Wir verabreden uns für Dienstagabend. Sie wird mich in meinem Büro besuchen und dann gehen wir zusammen etwas Essen. Nach dem Telefonat war ich zwar erleichtert, dass das Ganze noch ein gutes Ende genommen hat, aber ich spürte auch zum ersten Mal so etwas wie Zweifel. Kann das mit ihr etwas werden? Denn irgendetwas scheint mit ihr nicht zu stimmen.

      Am Montag wieder im Büro, lese ich eine E-Mail von ihr, die sie mir am Mittwoch nach unserem kurzen und wenig begeisternden Telefonat geschrieben hat: „Lieber Lukas, sorry, dass ich eben so blöd zu dir war, das war nicht meine Absicht. Ich bin einfach nur nervös. Gib mir ein wenig Zeit, du bist mir sehr sympathisch und ich freue mich auf unser nächstes Telefonat.“ Die E-Mail freut mich, auch wenn ich den Mittwoch schon längst abgehakt hatte.

      Dienstag. Die Sekretärin ruft mich an, Marie ist da. Noch schöner als beim ersten Date, aber sie wirkt auch unsicher und ein wenig traurig. Kein guter Einstieg, aber der Einstieg zum Ausstieg, wie sich herausstellen sollte. Sie wollte sich mein Büro anschauen, hatte sie am Telefon gesagt. Sie wirkt aber desinteressiert und so schlage ich vor, dass wir gleich ins Restaurant gehen sollten. Der Weg dorthin ist durch Stille und verkrampfte Kommunikation gekennzeichnet. Keine Spur von der Leichtigkeit und Spannung wie beim ersten Date. Nachdem wir das Essen bestellt haben, frage ich, wieso sie eigentlich „alles“ hinter sich lassen und weit weg von ihrer Heimat will, wie sie mir beim ersten Date gesagt hat. Ich will genau wissen, was sie damit meint.

      Mit dieser Frage habe ich ins Wespennest gestochen. Marie erzählt: „Meinen Vater habe ich nie kennengelernt. Ich bin bei meiner Mutter und Großmutter aufgewachsen. Meine Mutter hat mich gehasst. Meine Großmutter war auch nicht viel besser. Von Liebe keine Spur. Ich hatte zwar Freunde. Das waren aber alles Notlösungen. Ich wollte nur noch weg. Damit die Vergangenheit mal Vergangenheit ist. Drei Jahre war ich in einer Psychoanalyse.“ Dann ergänzt sie: „Im Dezember wollte ich mich umbringen. Ich konnte nicht mehr. Ich hatte auch kaum noch Geld.“ Die Stimmung ist im Keller. Das Essen würgen wir herunter.

      Auf dem Rückweg zum Auto wird Marie mir unheimlich: Sie hüpft wie ein Kind auf dem Bürgersteig hin und her, sie kichert. Das ist eine ganze andere Marie, nicht die Marie vom ersten Date. Ich bin froh, als wir fünf Minuten später vor ihrem Auto stehen und uns verabschieden. Der Abend ist vorbei. Wir wollen die Tage miteinander telefonieren. Wann? Das ist uns beiden egal. Das sagt alles.

      Das zweite Treffen: ihr Offenbarungseid mit keinem guten Ausgang. Zwei Tage später wird es noch deutlicher. Ich rufe sie an. Ich frage sie, wie ihr meine Bilder in meinem Büro gefallen haben. Marie antwortet: „In deinem Büro? Ich war nie in deinem Büro.“ Ich habe endgültige Gewissheit. Marie ist gestört.

      Sie kann sich nicht erinnern, dass sie vor zwei Tagen in meinem Büro war. Marie konnte sich nicht erinnern, dass ich in Bayern auf Seminar war, wir zum Telefonieren verabredet waren, stattdessen wirkte sie wie weggetreten. Auf der Rückfahrt am Samstag ruft sie stundenlang in meinem Büro an, panikhaft, obwohl sie wusste, dass ich mit der Bahn unterwegs bin. Und ebenfalls vorgestern hüpft sie wie ein Kind auf dem Bürgersteig hin und her. Es macht keinen Sinn, weiter mit Marie zu sprechen. Die Frau hat zwei Gesichter. Zwei Tage später schreibe ich ihr eine Abschiedsmail: „Liebe Marie, wir wissen beide, dass es keinen Sinn macht, weiter in Kontakt zu bleiben. Ich wünsche dir alles Gute. Den Samstag vor 14 Tagen werde ich immer in schöner Erinnerung behalten. Liebe Grüße, Lukas“ Danach lösche ich ihr Profil.

      Ich bin ein paar Tage irritiert, eine derartige Frau kennengelernt zu haben. Ein Mensch und zwei Persönlichkeiten. Als ich später einmal ihre Homepage besuche, ist sie schon wieder weitergezogen. Weg aus der Stadt, wo sie gerade erst hingezogen war und ihre Zukunft gesehen hat.

      Die Nikotinweltmeisterin und eine willige Studentin

      Ich muss wieder aktiv sein und Mitglieder anschreiben. Zu meinem Bedauern leeren sich die potentiellen Kandidatinnen in meinem Postleitzahlengebiet. Zu viele Karteileichen. Entweder die Einstellung “Umkreis vom Wohnort“ oder “Alter“ ändern. Bislang hatte ich im Umkreis bis 50 km und beim Alter bis 30 gesucht. Ich entscheide mich dafür, den Umkreis zu vergrößern und schon bin ich wieder im Spiel. Neuen Mitgliedern sei Dank. Ich klicke auf ein Profil mit der Berufsbezeichnung “Coach“, das interessiert mich. Ich möchte mehr über den Coach erfahren. Was ich dort sehe, verwundert mich, ich muss scrollen und scrollen und scrollen. Das Profil findet kein Ende. Da hat jemand eine ganze Bibliothek abgeschrieben. Allein ihr „ideales Wochenende“ ist stündlich geplant. Sie hat mehr „Lieblingsbücher“ in ihrem Profil stehen als ich bei mir zuhause. Das kann sich doch kein Mensch durchlesen, denke ich und verlasse das Profil.

      Circa zehn Profile weiter sticht mir erneut ein Profil mit dem Begriff “Coach“ ins Gesicht: Coach und Lebensberater ist ihr Beruf. Ich klicke darauf und stelle fest, dass es dieselbe Person von eben ist: Alter, Größe, Figur, Haarfarbe und Augenfarbe sind identisch. Sie hat unter dem Profil andere Fotos eingestellt. Das erkennt man, auch wenn sie nicht freigeschaltet sind. Diesmal hat sie keine Bibliothek eingestellt, sondern nur einen halben Roman über ihr Leben. Sie schreibt unter der Rubrik „Das Besondere an mir ist…“: „Ich bin ausgebildeter Coach und Lebensberater. Ich habe sowohl praktisch als auch theoretisch eine große Menschenkenntnis. Ich habe viel aus meinen früheren Beziehungen gelernt. Da wurde ich oft ausgenutzt. Ich habe gekocht, geputzt, motiviert, Geld gegeben und noch einiges mehr. Aber keinen Dank zurückbekommen. Irgendwann habe ich festgestellt, dass ich was ändern muss. Von den Männern habe ich mich getrennt und eine neue Ausbildung zum Coach und Lebensberater gemacht. Ich habe meine Mitte gefunden. Möchtest du sie auch finden?“ Dieser Abschnitt ist mir nicht nur viel zu lang, sondern auch viel zu blöd. Ich verlasse ihr Profil und klicke weiter, stelle aber gerade fest, dass ich eine neue Partnerschaftsanfrage erhalten habe: vom Coach.

      Sie finde mein Profil interessant und wolle das Gesicht hinter meinem Profil sehen. Sie bittet um Fotofreischaltung. Ich frage sie, wieso sie mit zwei Profilen unterwegs ist. „Ja, ich will wissen, wie die Männer auf welches Profil reagieren. Mit welchem Profil ich wohl mehr Chancen bei Männern habe.“ Ich antworte ihr: „Weniger ist mehr. Männer sind froh über jeden Satz, den sie nicht lesen müssen.“

      Daraufhin bekomme ich einen Fragenkatalog zugesandt, den ich wohl abarbeiten muss. Es wirkt, als hätte sie diesen auf Ihrer Festplatte abgespeichert und einfach nur ins E-Mail-Fach kopiert. Ich bin hier nicht beim Verhör oder in einem Assessment-Center, sondern ich will Frauen kennenlernen. Ich lösche das Profil und bekomme am Abend noch eine E-Mail von ihrem zweiten Profil. Ich solle Stellung beziehen, wieso ich sie gelöscht habe. Meine Antwort lautet erneut: „Vielen Dank für den freundlichen Kontakt. Ich bin zu der Ansicht gekommen, dass wir nicht zueinander passen.“ Die klassische Standardabsage, die automatisch versandt wird, wenn man ein Profil löscht.

      Doch die Frau ist clever und hat Geld. Sie meldet sich erneut mit einer Ein-Monatsmitgliedschaft an und kontaktiert mich wieder. Ich bekomme es ein wenig mit der Angst zu tun und lösche sie zum dritten Mal. Ich bin froh, dass sie weder meine Adresse noch meine Telefonnummer hat. Ein viertes Mal schreibt sie mich nicht an.