Günther Klößinger

Schnee von gestern ...und vorgestern


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unterbrach ihn barsch: „Sie sind nicht gefragt, Kommissar Prancock!“

      „Ich habe eben über den Fall dieses erschlagenen Ausländers nachgedacht“, verteidigte sich Steffens.

      „Und ich“, fuhr der machtbewusste Chef ihn an, „habe Ihnen diesen Fall soeben entzogen.“

      Als Fox das hörte, wunderte er sich nicht mehr, dass Steffens die Tür so brachial ins Schloss geworfen hatte, als wolle er damit die Wette in einer Fernsehshow gewinnen. Vielmehr hätte er sogar verstehen können, wenn der Kollege gleich eine Bombe gezündet hätte.

      „Entzogen? Aber Herr Häfner, ich bin ab morgen im Urlaub, und wenn Steffens nicht weiter ermittelt …“

      „Sie können beruhigt in den Urlaub fahren! Ihre Beteiligung an diesem Fall ist ebenfalls nicht mehr vonnöten. Im Übrigen: Die korrekte Anrede lautet ‚Herr Kriminalhauptkommissar Häfner‘, ist das klar?!“

      „Bis ich das vollständig ausgesprochen habe, sind alle Gangster längst getürmt!“

      „Prancock, Ihre flotten Sprüche …“

      „Die korrekte Anrede lautet übrigens ‚Herr Kriminalkommissar Prancock‘, Herr Häfner!“, gab Fox mit provozierend gelassener Stimme zurück.

      „Noch ein paar solche Bemerkungen, Herr Kommissar, und Sie sind schneller wieder Inspektor, als Sie Ihre Waffe nachladen können. Ich persönlich werde in dem Fall Ibrahim ab jetzt exklusiv ermitteln.“

      Mit diesen Worten stapfte Häfner zu Prancocks PC, drückte den Auswurfknopf und entnahm die Diskette. Prancock wurde blass. Die Dokumente zum Fall des toten Arabers befanden sich auf CD-Rom, die Diskette enthielt jenes Spiel, in dem Chefs splattermäßig gekillt wurden – ein illegales Programm von einer verbotenen Internetplattform, das Prancock noch dazu über den Dienstanschluss gecrackt hatte.

      Der Hauptkommissar drehte sich um, wandte sich Steffens zu und bellte ihn an: „Und Sie kümmern sich ab sofort um den Ladendiebstahl in der Aida-Allee, klar?“

      Um seinen Worten mehr Gewicht zu verleihen, gestikulierte Häfner auf das Heftigste in der Luft herum. Steffens nutzte die Gunst der Stunde: Wie aus Versehen rempelte er den Chef an und tat so, als wolle er die Kaffeekanne zurück zu der noch immer frotzelnden Maschine bringen. Dabei streifte das heiße Glas die Hand des Vorgesetzten. Mit einem unterdrückten Aufschrei wich Häfner zurück. Die Diskette glitt ihm aus den Fingern. Steffens bückte sich und schob blitzschnell die dampfende Kanne vor. Mit leisem Plätschern und Geklapper fiel der Datenträger in den jüngst aufgebrühten Kaffee.

      „Gute Reaktion, was, Chef?“, meinte Prancock und deutete voller Bewunderung auf seinen Kollegen. „Da macht unserem Steffens so schnell keiner was vor!“

      „Die Daten! Kommissar Steffens, alle bisherigen Ergebnisse …“

      „… hat Kollege Prancock mittlerweile auf CD-Rom gebrannt! Ist doch viel sicherer!“

      Häfner bekam einen hochroten Kopf. Obwohl seine Software ihm jede Menge wüster Beschimpfungen vorschlug, brummte die Hardware nur zerknirscht. Wortlos trat er an Prancocks Arbeitsplatz, drückte „Eject“ und nahm die CD an sich. Schnaubend stürmte der Chef hinaus. Wieder einmal dröhnte der charakteristische Knall durch die Dienststube.

      „Lang macht’s der Rahmen wirklich nicht mehr!“, meinte Fox. Sein Blick ruhte auf der noch immer zitternden Tür.

      „Ich glaube, du schuldest mir ein Bier, Fox“, bemerkte Steffens trocken.

      „Nach dem Urlaub! Ilka und ich wollen heute noch packen.“

      „Aber nicht vergessen, Boss!“

      „Mann, Steffens, gewöhn’ dir endlich das ‚Boss‘ ab! Seit man uns diesen Oberfuzzi vor die Nase gesetzt hat, sind wir gleichberechtigte Partner, kapiert?“

      „Wir sind alle gleich, Genosse!“, gab Steffens resigniert zurück. „Wie im real existierenden Sozialismus.“

      „Aber sag mal, Steffens, meint Häfner das wirklich ernst mit dem Ladendiebstahl?“

      „Laden? Mann, Bo…, äh, Fox, ich wünschte, es ginge wenigstens um einen Laden! An der Parzival-Promenade …“

      „Ich dachte, in der Aida-Allee?“, unterbrach Prancock seinen entnervten Leidensgenossen.

      „Von mir aus am Rigoletto-Ring – es ist jedenfalls kein Laden, sondern nur ein kleiner Kiosk!“

      „Wie bitte? Wie viel war in der Kasse?“, wollte Fox wissen.

      „Nichts!“, antwortete Steffens und trank geräuschvoll seine Tasse aus.

      „Ich meinte, vor dem Bruch!“, warf sein Gegenüber leicht gereizt ein.

      „Auch nichts – vielleicht ein paar Cent Wechselgeld! Der Besitzer bringt jeden Abend fast die gesamte Kohle zur Bank!“

      „Was wurde dann geklaut?“

      „Zwei Stangen Zigaretten!“

      „Oh, Herr Kommissar, das wird bestimmt der größte Fall ihrer Karriere!“, spottete Prancock, woraufhin Steffens ihm einen Kaffeelöffel an den Kopf warf.

      Fox konterte nicht, sondern blickte nur stirnrunzelnd zur Decke. „Warum nur“, sang er in sich hinein, „ist Häfner so wild auf die Sache mit dem Araber …?“

      „… und gibt mir einen Fall, der allerhöchstens was für Habich und seine Jungs von der Streife wäre?“

      „Das ist ja noch einfach, Steffens: Er will dich eben ärgern!“

      „Halt mal den Pinsel, Robby!“, sagte Jessica. Sie sah gedankenverloren die Wand an. Irgendwie wollte die weiße Farbe das Mauerwerk nicht gleichmäßig bedecken.

      „Moment“, antwortete Robert, „ich krieg’ meine Kappe nicht hin.“ Hilflos versuchte der Junge, ein überdimensionales Blatt Zeitungspapier in Form zu bringen.

      „Oh Mann, Robby“, rief Jasmin aus der anderen Ecke herüber, „Schiffchen falten sollte man schon in der ersten Klasse gelernt haben!“ Auf ihrem Kopf saß ein tadelloser Papierhelm, der schon von zahlreichen Klecksen verziert war.

      „Ich hab’s doch auch gleich!“, wollte Robert beschwichtigen, doch selbst nach höchst konzentriertem Knicken und Falzen hielt er ein Gebilde in der Hand, das mehr an einen Faltenrock erinnerte als an ein Hütchen.

      „Mann, mach schon, die Farbe tropft gleich!“ Noch immer hielt Jessica ihrem Freund den von weißer Tünche verschmierten Borstenpinsel hin. Der klebrige Griff klemmte zwischen den Spitzen von Daumen und Zeigefinger.

      Robby zog sich mit lautem Geraschel den frisch gebastelten Faltenrockhelm auf den Kopf und nahm seiner Freundin schließlich das von Farbe triefende Etwas ab. Dabei griff er versehentlich in die eingeweichten Borsten.

      „Igitt!“, zischte er angeekelt und wich einen Schritt zurück. Dabei stieß er mit dem Fuß gegen einen Farbeimer, der bedenklich zu wanken begann.

      „Oh nein!“, rief Nick. Er hatte das Schauspiel von der Türe aus beobachtet. Mit einem beherzten Sprung hechtete er in den Raum und ergriff den schwankenden Kübel mit beiden Händen.

      „Gerade noch mal geschafft“, meinte Jessica und atmete erleichtert auf. „Das hätte ’ne schöne Sauerei gegeben.“

      „Was bitte?“, mischte sich Jasmin ein. Sie hatte für einen Augenblick nicht zugehört, sondern ihre Gedanken wandern lassen.

      Das hier würde also ihr neues Zuhause werden – wirklich ihre eigenen vier Wände. Noch vor sechs Wochen hätte sie nicht zu träumen gewagt, bereits im Alter von 16 Jahren auszuziehen. Sie hatte ihr heimeliges Zuhause bei Papa Prancock geliebt und doch weinte sie dem alten Kinderzimmer keine Träne nach. Es hatte eben alles seine Zeit im Leben. Immerhin würde sie ihre Kinder- und Jugendbücher sowie einige Möbelstücke mit in ihre neue Wohnung herüberretten. Ihr alter Zottelbär und die anderen Stofftiere mussten selbstverständlich