Sabine-Franziska Weinberger

Leo ist verknallt


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nach einem Brötchen frisch aus dem Backofen.

      „Wie war es heute beim Kampfballspielen?“, will Papa wissen.

      „Hbn sbstvstndlch gwnnn“, würgt Leonie zwischen zwei großen Bissen hervor und erntet prompt einen strengen Blick von Mama, die es gar nicht mag, wenn sie mit vollem Mund spricht.

      „Stimmt es, dass es in eurer Klasse einen neuen Mitschüler gibt?“, will ihre ältere Schwester Katharina wissen, während sie mit Leidensmiene in ihrem Salat herumstochert.

      „Kann schon sein“, erwidert Leo kurz angebunden, da sie keine große Lust verspürt, über Luzian zu reden und schon gar nicht mit ihrer Schwester in Gegenwart der Eltern.

      „Davon hast du gar nichts erzählt“, bekommt Mama ganz große Augen und blickt Leonie erwartungsvoll an.

      „Weil es unwichtig ist“, erwidert das Mädchen. „Ist keine große Sache, nur ein neuer Junge in der Klasse!“

      Na prima, das hat sich fast gereimt. Leonie muss sich jetzt auch ein bisschen wundern. Und zwar über sich selbst. In der Schule hat sie mit gereimten Gedichten und Elfchen immer ihre Probleme, doch wenn sie an den Neuen denkt, geht es auf einmal wie geschmiert.

      „So, so“, ruht nun auch Papas Blick interessiert auf seiner Jüngsten. „Der neue Junge ist also keine große Sache“, verzieht er seine Lippen zu einem kleinen Schmunzeln, wobei Leonie nicht ganz klar ist, was ihr Papa so lustig findet.

      „Nein, ist er nicht“, stellt sie klar und hofft, dass das Verhör damit beendet ist.

      „Gibt es sonst noch etwas Unwichtiges zu berichten“, versucht Mama das Thema zu wechseln, da sie mit ihren feinen Antennen spürt, dass Leonie nicht so gerne über den Neuen spricht.

      „Ja“, lächelt Leonie erleichtert, das sie nun endlich über etwas reden kann, das sie nicht erröten lässt.

      „Wir haben ein neues Spiel gelernt!“, verkündet sie stolz.

      „Ein neues Spiel?“, zieht Papa seine buschigen Augenbrauen interessiert nach oben. „Welches denn?"

      „Wer ist der Mörder?“, lächelt Leonie verschmitzt und wirft einen spitzbübischen Blick in die Runde. „Und wenn ihr eure Teller aufgegessen habt, zeige ich euch, wie’s geht“, fügt sie großzügig hinzu und schnappt sich noch schnell ein Brötchen, während drei Augenpaare indigniert auf ihr ruhen.

      Es gibt Tage, an denen man besser nicht aufsteht und auf den Abend wartet, bevor man die Schuhe anzieht. Der nächste Tag ist so einer und beginnt damit, dass Mama anstelle eines frischen Schokoladencroissants vom Bäcker ein Vollkornbrötchen mit Butter und Schnittlauch in Leonies Schultasche packt. Als ob das nicht schon schlimm genug wäre, legt sie auch noch eine geschälte Karotte und drei Apfelscheiben dazu. Das ganze nennt sie gesunde Jause, die ein normales, im Wachstum befindliches Kind niemals freiwillig zu sich nehmen würde. Leo schaut ihre Mama empört an. Dann versucht sie, das Schlimmste zu verhindern, in dem sie eine Grundsatzdiskussion über vernünftige Ernährung für Achtjährigen beginnt, doch wenn es um ihre tägliche Vitaminzufuhr geht, lässt Mama nicht mit sich verhandeln. Sie hört noch nicht einmal zu, was Leonie zu sagen hat. Anstatt dessen holt sie – OH SCHRECK GEH WEG – ein Fruchtmolkeprodukt (selbstverständlich ohne Zuckerzusatz) aus dem Kühlschrank und lässt dieses ohne den geringsten Anflug eines schlechten Gewissens ebenfalls in Leonies Schultasche verschwinden.

      „Schlimmer geht nimmer“, denkt sich Leonie zerknirscht. Bleibt nur zu hoffen, dass die Mutter ihrer Banknachbarin Lena etwas mehr Besonnenheit zeigt und wenigstens ihrer Tochter etwas Essbares mitgibt, das mindestens für zwei reicht, dann sind die Karotten Geschichte und das Schnittlauchbrot Vorvergangenheit. Im Stillen hofft Leonie, dass noch ein bisschen vom selbst gebackenen Apfelstrudel, den Lena gestern dabei hatte, übrig ist, denn der schmeckt besonders köstlich.

      Als Leonie die Tür öffnet, ist das Bild vom Apfelstrudel schnell verblasst, denn vor ihr steht Edwin, der Junge von Tür Nummer 8. Oder besser gesagt, die Nervensäge von nebenan. Edwin ist ein einziger Albtraum. Er rechnet wie ein Computer, malt wie ein Weltmeister, liest wie ein Staubsauger und schreibt so schnell wie ihre große Schwester Katharina, so dass sie sich schon manchmal fragt, ob die beiden nicht von einem anderen Stern kommen. Das würde auch erklären, warum sie immer so dämlich kichern, wenn sie ihre Köpfe zusammenstecken und das obwohl Edwin vier Jahre jünger ist als Kathi. Und noch dazu ein Junge. Aber brauchen Außerirdische wirklich einen Grund, um blöd zu grinsen und ihre Köpfe zusammen zu stecken? Vermutlich nicht.

      „Hallo Leonie!", begrüßt Edwin sie freundlich.

      „Leo", korrigiert sie ihn schnell, da sie es nicht leiden kann, mit der Langform ihres Namens angesprochen zu werden. Erstens, weil dieser Name überhaupt nicht zu ihr passt (was haben sich ihre Eltern bloß dabei gedacht, sie Leonie zu nennen) und zweitens benimmt sich Leo meistens wie ein Leon, weshalb ihr auch immer wieder von verschiedenen Seiten bestätigt wird, dass an ihr ein echter Junge verloren gegangen ist. Nichtsdestotrotz erwidert sie Edwins Gruß Kopf nickend, weil sich das so gehört (meint ihre Mama). Aber reden will sie trotzdem nicht. Nicht etwa, weil Edwin ein Junge ist, was schon mal ein triftiger Grund wäre, sondern weil sie morgens generell nicht viel zu sagen hat.

      Davon abgesehen, ist sie noch nicht richtig wach. Erwartungsgemäß hält das Edwin nicht davon ab, ihr ausführlich von seinem gestrigen Besuch bei seinem Opa zu erzählen, der neben den intelligentesten Ziegen (klug wie Hunde), den größten Meerschweinchen (fast so groß wie Hasen), und gesprächigsten Wellensittichen (sprachbegabt wie Papageien) auch noch die süßesten Babykatzen der Welt besitzt. Leo, die mehr auf Haifische steht, muss jetzt mal ganz kurz gähnen, was Edwin schon ein bisschen kränkt.

      „Was hältst du eigentlich von dem Neuen?", will Edwin mit einem Mal wissen und sofort ist Leo hell wach. Um ganz ehrlich zu sein, hat sie sich das auch schon gefragt, doch es fällt ihr keine passende Antwort ein. Aus unerfindlichen Gründen hat sie sich bisher noch nicht dazu durchringen können, Luzian genauso doof wie die anderen Jungs in der Klasse zu finden, was sie schon ein bisschen beunruhigt.

      „Weiß nicht", zuckte sie kurz mit den Schultern. „Hab' noch nie mit ihm gesprochen." Das entspricht sogar der Wahrheit, soll sich jedoch schon bald ändern.

      2 Konrad, das Krokodil

      In der Schule angekommen, geht Leo zu ihrer Bank und packt schnell ihr Hausübungsheft heraus, das ihr Klassenlehrer, Herr Engel, erfahrungsgemäß gleich absammeln wird, nachdem er alle Kinder begrüßt hat. Als die Hefte eingesammelt sind, teilt der Lehrer die Klasse für ein Partnerdiktat in Zweiergruppen ein. Und da am Ende nur zwei Kinder übrig bleiben, muss Leonie mit dem Neuen ihr Partnerdiktat schreiben. So ein Pech auch! Verlegen wirft sie einen Blick auf sein von dunkelbraunen Locken umrahmtes Gesicht und stellt schnell fest, dass ihm das genauso unangenehm ist wie ihr. Nur ihre Banknachbarin Lena hat es noch übler getroffen. Sie muss mit Edwin dem Wörterbuch das Diktat schreiben.

      Als Luzian mit seinem Block neben ihr sitzt, weiß Leo zuerst gar nicht, was sie sagen soll. Daher blickt sie nur stumm in sein Gesicht. Dafür murmelt er etwas. Das wie Hallo klingt. Darum sagt sie auch leise Hallo. Dann ist es wieder still. Beide warten darauf, dass der andere etwas sagt. Doch weder Leo noch Luzian trauen sich so recht und sind daher ziemlich erleichtert, als der Herr Lehrer Luzian ein paar Zeilen in die Hand drückt, die er Leo diktieren soll. Leonie mag keine Ansagen. Doch auf persönliche Befindlichkeiten wird in der Schule leider keine Rücksicht genommen.

      „Konrad, das Krokodil“, beginnt Luzian leise.

      „Was für ein Rad?", will Leo wissen, da sie den ersten Teil nicht genau verstanden hat.

      „Konrad, das Krokodil", wiederholt der Junge etwas lauter.

      „Was soll denn das sein, ein Kon-Rad?", legt Leo ihre Stirn in Falten.

      „Das ist ein Name, der Name eines Krokodils", erklärt Luzian ernst.

      „Konrad soll