die Gegenden um sie herum atmosphärisch oder architektonisch zu beleuchten, Denkmäler laden dazu ein, über die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit zu sprechen, während zeitgenössische Werke darauf verweisen, wie die Stadt oder die in ihr wirkenden globalen Unternehmen als Sponsoren das Gesicht Berlins durch öffentliche Kunst prägen.
Abgesehen von temporären Installationen sind Kunstwerke im öffentlichen Raum für die Ewigkeit gedacht; dennoch verschwinden manche aus verschiedenen Gründen. In dieser Sammlung sind auch Werke enthalten, die inzwischen nicht mehr zu sehen sind – schließlich gibt es auch gute Argumente dafür, Verwandte aus dem Familienalbum nicht zu entfernen, nur weil sie gestorben sind.
Die ästhetische Frage lautet: Was ist so außerordentlich anziehend an dieser grundsätzlich hässlichen Stadt? Auch wenn sie als Ganzes kaum existiert und in Stücke zerfällt, sind ihre Details unwiderstehlich und überwältigend. Sinn und Seele finden in ihr nie zur Ruhe. Sie hält Überraschungen bereit, schafft Spannungen, bleibt immer aufregend.
Die Anziehungskraft Berlins, einer Metropole mit provinziellen Zügen, entfaltet sich allmählich. Beginnen könnte man mit den Parks, den Friedhöfen oder nicht zuletzt mit den Kneipen. Betrachtet man allerdings die Kunst im öffentlichen Raum als das Selbstbildnis einer Stadt, kann man von Berlin angesichts seiner mehr als 2400 Plastiken und Reliefs, dieser gigantischen Ausstellung unter freiem Himmel, behaupten, es gebe wenige Städte in Europa, deren Gesichtszüge markanter ausgearbeitet sind. Berlin ist deshalb auch anhand seiner Kunstwerke auf den Straßen und Plätzen nacherzählbar.
Als sich die Frage stellte, wie die Texte angeordnet werden sollten, schien eine abwechslungsreiche Reihenfolge mehr Vorteile zu versprechen als eine systematische Gruppierung nach Themen, der historischen Zeit oder den jeweiligen Standorten der Skulpturen im Stadtraum.
Man könnte die bebilderten Texte als urbane Scherben bezeichnen. Sie liegen herum, nebeneinander.
Findling
1912
Im Schwarzen Grund
Der Findling
Am Anfang war der Stein. Der Stein der Kunst. Man zeichnete darauf, bemalte, bewunderte und betete ihn an. Zu Recht steht also auch dieser hier am Anfang, stellvertretend für alle Kunstwerke Berlins im öffentlichen Raum. Ein Stein, der nichts sagen will und doch viel bedeutet.
Im hiesigen Sand, wo man sonst nur Kartoffeln und Spargel findet, wurde jeder Stein als ein kleines Wunder betrachtet und geschätzt. Bereits der Name Findling weist auf etwas Unerwartetes und Überraschendes hin. Die Berliner wussten ihn sich auch zu Nutze zu machen: Seit 1763 hatte jeder Brandenburger Bauer, der in die Stadt kam, zwei Feldsteine für den Bau von Straßen und Häusern in seinem Wagen mitzubringen.
Dieser Findling mit einem Gewicht von fünfzig Tonnen tauchte 1912 im Süden der Stadt, in Dahlem, beim Bau der U-Bahn auf. Zunächst konnte er nicht einmal mit 16 Zugochsen bewegt werden. Mittels Flaschenzügen und Rundhölzern wurde er schließlich in zwei Wochen vierzig Meter weiter, zu seinem heutigen Standort geschleppt.
Beträchtlichere Findlinge in Berlin sind denkmalgeschützt. Ihre kunsthistorische Bedeutung lässt sich kaum bestreiten. Es ist zum Beispiel anzunehmen, dass dieses Exemplar die BalloonFlower von Jeff Koons inspirierte. Nur wurde die aus dem Findling strömende wilde Sexualität durch die künstlerische Bearbeitung zu einer erotischen Ausstrahlung gemildert. Offenkundig ist auch die Verwandtschaft der Form mit dem Houseballvon Claes Oldenburg, und nicht einmal die Mobilität von diesem stellt einen Widerspruch dar, wenn man in Betracht zieht, dass die Unbeweglichkeit der Findlinge in historischem Maßstab nur eine Scheinbare ist.
Erstens wanderten sie, als solche noch Moränen genannt, während der Eiszeit aus Skandinavien und dem Baltikum hierher. In Fachkreisen ist es außerdem ein offenes Geheimnis, dass die Findlinge sich immer noch bewegen, sich gegebenenfalls auf den Weg machen. Man hält es allerdings für eine allzu kühne Deutung, dass eine Art Sehnsucht nach menschlicher Gesellschaft der Grund dafür wäre.
In diesem Zusammenhang soll die neueste Geschichte des seit je von Legenden umwobenen Dahlemer Findlings wie folgt zurückgegeben werden. Man beruft sich dabei auf einen Gast einer benachbarten Kneipe. Er saß dort einsam und dachte gerade über die Vergänglichkeit der Zeit nach, als zu später Stunde der Findling in den Raum dröhnte und ihm Fragen nach dem Preis der hiesigen Schnäpse stellte. Nach jeder Antwort zuckte er zusammen und rollte schließlich mit überraschender Geschwindigkeit hinaus. Am nächsten Tag stand er wieder auf seinem gewohnten Platz. Seitdem hat man aus ihm kein Wort mehr herausbekommen.
Andreas Schlüter
Reiterstandbild des Großen Kurfürsten 1700
Schloss Charlottenburg, Ehrenhof
Der erste Reiter
Vor dem Schloss Charlottenburg verdient das dortige Exemplar der Reiterstandbilder, die man normalerweise nicht einmal eines Gähnens würdig findet, einen respektvollen Blick. Das Werk Andreas Schlüters war die erste Reiterstatue nicht nur in Berlin, sondern auf deutschem Boden. Sie erinnert an die Jahre um die Wende des 17. zum 18. Jahrhundert, als das Fürstentum Preußen-Brandenburg die ersten Schritte auf dem langen, mühsamen Weg unternahm, Europa nicht nur militärisch, sondern auch kulturell ebenbürtig zu werden.
Um diese Zeit wird in Berlin die Kunst- und die Wissenschaftsakademie gegründet und anstelle von Italienern oder Franzosen – wie in anderen deutschen Fürstentümern auch – ein deutscher Künstler, eben Andreas Schlüter, zum Hofbildhauer ernannt. Mit anderen Worten steht man hier vor dem Beginn der Selbstständigkeit der bildenden Künste in Berlin.
Das Denkmal für Friedrich Wilhelm (1640–1688), den Großen Kurfürst, bietet dem heutigen Betrachter das angenehme Gefühl zu erkennen, was hier dargestellt wird: oben ein Reiter und unter ihm vier Figuren in verschiedenen Posen. So einfach war es aber auch damals nicht, die Kunst zu verstehen. Das Pferd spricht noch einigermaßen für sich, aber dem lebensnahen Profil und der zeitgetreuen Perücke des Fürsten widersprechen die gepanzerte Weste und die antike Hülle. Zur Erklärung müsste man also vor Augen halten, dass Schlüter eine Tradition fortsetzte, die das Reiterstandbild Mark Aurels auf dem Platz vor dem Kapitol in Rom begründete. Auch die vier Figuren, die nach einem mittelalterlichen Motiv aus Italien als Sklaven identifizierbar wären, hätten im 17. Jahrhundert in Brandenburg nicht viel zu suchen gehabt, wenn Schlüter die Gestalten aus der Kriegsbeute nicht zu Symbolen der vier Grundtypen von Gemütsarten erhoben hätte.
Das Werk, das ursprünglich im Zentrum Berlins stand, wurde im Zweiten Weltkrieg abgebaut und außerhalb der Stadt in Sicherheit gebracht. Seine Rückkehr im Jahre 1947 führte zu einem Fiasko: Die mehrere Tonnen schwere Statue versank im Wasser, als man sie auf dem Seeweg nach Berlin transportieren wollte. Etliche Jahre später wurde sie geborgen, und trotz des aus Ost-Berlin angemeldeten Anspruchs nicht in die sowjetische Besatzungszone gebracht, sondern vor dem Schloss Charlottenburg im britischen Sektor zur Ruhe gesetzt.
Henry Moore
Liegende, 1956
Hanseatenweg 10
Unsere Ruinen
Die Plastiken Henry Moores waren unter den ersten modernen Werken, die in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts aus den Museen unter freien Himmel kamen, wo sie dann zum Opfer vom Vandalismus wurden. Eine sitzende Figur wurde mit Pech vollgeschmiert und mit Federn bestreut. Eine andere, ähnlich wie das auf dem Foto gestaltete Liegende, mit blauer Farbe übergossen. Sie wurde damals in einem Leserbrief mit einer verstümmelten