Veronika Wlasaty

Das Vertrauen der Erde in die Samen


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Suppe endgültig auslöffeln und in einer komplett neuen „Küche“ etwas ganz Neues, Innovatives kreieren, hegen, denke ich, viele. Auch mangelt es nicht an Bereitschaft und Einsicht in die Notwendigkeit einer Reform. Solange sich darin jedoch das gegenwärtige Menschenbild spiegelt und der Mensch nach seiner (ökonomischen) Nützlichkeit für die Gesellschaft bewertet wird, werden wir auch durch noch so ambitionierte Reformen keine wesentliche Änderung erzielen. In jedem Gedanken, jeder Intervention, jeder Reform drückt sich eine menschliche Grundhaltung aus. Genau diese Haltung macht den Unterschied aus und entscheidet, ob eine Reform die beklagten Phänomene, vor allem aber die Reformer selbst im erstrebenswerten Sinn verändert oder ob wir im neuen Kostüm die Alten bleiben.

      Direktiven wie Bewertung und Beurteilung, Fächerkanon und Lehrplan, das Eingebundensein in rigide Strukturen und Rahmenbedingungen ließen mich in der Vergangenheit öfter als mir lieb war mit dem System Schule hadern. Heute weiß ich, dass gerade dieses Hadern, diese Unzufriedenheit mit Bestehendem enorme Bindungskraft hat und man nur im Frieden gehen kann, möchte man nicht mit altem Gepäck reisen. Zum Zeitpunkt meines Ausscheidens aus dem Schuldienst hatte sich diese Voraussetzung erfüllt. Dankbar für das viele Gute, das mir meine langjährige Tätigkeit als Lehrerin beschert hatte, konnte ich den Anspruch innerhalb der „Systemmauern“ etwas ändern zu müssen versöhnlich loslassen – im Vertrauen darauf, dass das, was ich tue, unabhängig vom Standort auf das Ganze wirkt und jeder Wandel sich mühelos wie von selbst vollzieht, ohne dass man um ihn kämpfen müsste, wenn seine Zeit gekommen ist. Und das ist dann, wenn ein breites Umdenken stattgefunden hat und wenn das bestehende (alte) Paradigma einem neuen Bewusstsein gewichen ist: einem Bewusstsein, das Kontrolle, Bewertung und Vergleich – kurz Schule, wie sie heute ist – nicht mehr als notwendig erachtet. Wir müssen die Schule nicht reformieren, wir müssen sie von einem neuen Menschenbild her denken.

      Zum Beispiel so:

      Einer anderen Zukunft wegen

      Tim kann zeichnen,

      Lisa singen,

      Paula backen,

      Kurt hoch springen.

      Ich kann schreiben,

      du gut rechnen,

      Franz hält immer sein Versprechen.

      Pia fühlt, wie´s jemand geht,

      Max weiß, wann man Pflanzen sät.

      Tim ist Tim und Lisa Lisa,

      Franz ist Franz und Pia Pia.

      Max ist Max schon seit Geburt

      so wie Paula und auch Kurt.

      Alle sind so, wie sie sind,

      einzigartig, jedes Kind.

      Niemand besser als ein andrer,

      so ergänzen wir einander.

      Erst wenn wir zur Schule gehen,

      dann gibt man uns zu verstehen:

      du genügst nicht, wie du bist,

      erst wenn du auch perfekt liest,

      alle Aufgaben erfüllst

      und auch fleißig üben willst,

      vor allem, was du nicht gut kannst,

      da gibt´s wenig Toleranz.

      Freu dich, dass man dich vergleicht,

      dann weißt du selber, ob es reicht.

      Wenn du dich auch tüchtig plagst

      und den Zweck nicht hinterfragst,

      du uns sehr willkommen bist,

      wenn du deine Rolle spielst.

      Jeder muss mal Opfer bringen

      und den Schweinehund bezwingen!

      Unsrer Wirtschaft sollst du nützen

      und ihr Wachstum unterstützen.

      Denk nicht –

      tu nur deine Pflicht,

      denn das lohnt auf lange Sicht!

      Dann hast du was, dann bist du wer,

      dann schätzen wir dich wirklich sehr.

      Wachet auf aus dieser Mär!

      Tim, Kurt, Paula, Franz und Pia

      sind so, wie sie sind, in Ordnung,

      Stärken, Schwächen – nur Bewertung!

      Defizite – ist ein Wort,

      nur in unserem Kopf vor Ort.

      Wollt ihr Leistung als Wert vermitteln,

      müsst ihr einmal um Gnade bitten.

      Großer Max und große Lisa

      sehen dann mit unseren Augen,

      werten dann, ob wir noch taugen.

      Fahren fort, wie einst gelehrt,

      dies Vermächtnis uns nicht ehrt.

      Jetzt ist Hoch-Zeit umzudenken,

      diese Welt sinnvoll zu lenken.

      Einer anderen Zukunft wegen

      lasst uns unsere Herzen pflegen!

      Träumt ruhig einen anderen Traum

      nährt ihn mit Liebe, gebt ihm Raum!

      Lasst ihn zur Wirklichkeit erwachen,

      dann kann das Leben Freude machen.

      Darfst du sein, so wie du bist,

      niemand dich an anderen misst,

      hörst du auf, wen zu beneiden,

      bist du ganz du, ohne Leiden.

      Ohne uns nach Wert zu reihen,

      kann der Friede in uns gedeihen.

      Nur, wenn wir dies auch verstehen,

      kann´s gut mit uns weitergehen.

      Kein Weg vorbei

      Die in den letzten Jahren geradezu unüberschaubar große Zahl an Büchern, die zum Thema Bildung und Schule/Schulsystem veröffentlicht wurden, zeugt von hohem gesellschaftlichem Interesse an dieser Thematik, aber auch von großer allgemeiner Sorge im Hinblick auf die Zukunftsperspektiven nicht nur unserer Kinder, sondern der Gesellschaft als Ganzes. Und das aus verständlichem Grund: An der Schule kommt niemand vorbei. Von wenigen Ausnahmen (private Unterweisung) abgesehen muss jeder hierzulande diese Institution durchlaufen. Möglicherweise ist es genau das, was nicht nur Pädagogen, sondern auch Menschen anderer beruflicher Herkunft dazu bringt, sich an der Debatte zu beteiligen. Sind es doch neuerdings vor allem Neurobiologen, Gehirn- und Genforscher, Kinderärzte, Psychologen, Philosophen und Wissenschaftler anderer Provenienz, die sich diesem Thema in Zeiten von Pisa, Schulreformen und Reformschulen durchaus erfrischend kritisch und den Diskurs belebend aus der Perspektive ihres jeweiligen Fachgebietes annähern. (Gelegentlich die Außenperspektive einzubeziehen macht auch Sinn, hält sie doch müheloser die kritische Distanz, die innerhalb des Systems allzu leicht dem „Blinden Fleck“ zum Opfer fällt. Dennoch sollte der „Klient“ als Experte seiner selbst nicht übergangen werden.)

      Viele, die die Schulzeit bereits hinter sich haben, tragen mitunter noch ein Bild von Schule in sich, das reichlich Anlass zur Vergangenheitsbewältigung gäbe. Das wird immer wieder deutlich, wenn Eltern, Jahre nach Ablauf der eigenen Schullaufbahn, mit Beginn der Einschulung ihrer Kinder erneut in diese Lebenswelt eintauchen. Denn diese ist für viele immer noch mit eigenen, unverarbeiteten, zum Teil traumatischen Erfahrungen verbunden, welche