Stell dir vor, dein Leben wäre ein Fluss, dessen Lauf nach externen Erfordernissen reguliert wird.
Würdest du dich freiwillig verbiegen (lassen)?
Traum
Stell dir vor, ein Couturier bekäme den Auftrag, dir etwas auf den Leib zu schneidern, das dir in Größe, Form und Farbe voll und ganz entspricht.
Würdest du aus diesem Traum erwachen wollen?
Liebe
Stell dir vor, du hättest die Fähigkeit, jedes Kind mit Gottes Augen zu sehen.
Welche Schule, welche Bildung würdest du ihm anbieten?
Reden wir über Vertrauen
Wenn ich ein Rezept für die Gesundung der Schule verschreiben müsste, dann wäre es auf eine hohe Dosis Vertrauen ausgestellt: Vertrauen in die Selbstentfaltungskraft menschlichen Potentials, die die natürliche Entwicklung jedes Einzelnen mühelos in Fluss hält. Oder in anderen Worten: Vertrauen in eine höhere Intelligenz – auch Gott genannt –, die uns geschaffen hat und ihre Schöpfung in und durch uns aufrechterhält und weiterführt. Ans „Machen“ gewöhnt, ist uns das Gottvertrauen abhanden gekommen. Dieses Vertrauen, das sich durch Nicht-Eingreifen auszeichnet und uns schon deshalb Angst macht, weil wir meinen, die Dinge würden aus dem Ruder laufen, wenn wir dieses erst mal aus der Hand geben oder anderen überlassen. Dabei geht es nicht darum, die Hände in den Schoß zu legen oder Dinge an andere zu delegieren, sondern um die Fähigkeit, zur Seite zu treten und den Dingen ihren natürlichen Lauf zu lassen – im Wissen um die intelligente Selbststeuerungskraft, die der Natur und damit uns allen, nicht nur physisch (Atmung, Blutkreislauf, Verdauung…), innewohnt (darüber später mehr). Dass wir, wenn wir um uns und in die Welt hinaus blicken, oft an einer intelligenten Kraft zweifeln, liegt nicht daran, dass es sie nicht gäbe, sondern vielmehr an unserem „Machertum“. All die Missstände und beklagten Übel unserer Zeit sind nicht einem Zuviel an (blindem) Vertrauen geschuldet, sondern einem Mangel an eben diesem. Dort wo Misstrauen und Kontrolle die Vorherrschaft übernehmen und „Macher“ auf den Plan treten (deren es mehr gibt als die Welt verkraftet), mehrt sich all das, was wir durch Kontrolle zu unterbinden hoffen – von Unehrlichkeit und Betrug über Aggression und Rebellion bis hin zu Verbrechen und Terrorismus. (Studien zufolge steigt die Zahl der Verbrechen dort, wo das Polizeiaufgebot (=Kontrolle) erhöht wird; terroristische Anschläge haben seit deren Bekämpfung sichtlich nicht ab- sondern zugenommen…). Wir wurden schon als Kinder (auch in der Schule) gelehrt und lehren wiederum unsere Kinder zu beten „Dein Wille geschehe…“ und fürchten doch nichts mehr als den Verlust der Kontrolle. Ein Misstrauensantrag an Gott – wer sich mit dem religiösen Begriff schwer tut: ein Misstrauensantrag an unsere eigene (menschliche) Natur. Vertrauen ist eine freie Entscheidung. Eine Entscheidung, für die es nie zu spät ist und die ich jeden Tag neu treffen kann. Deshalb sehe ich zuversichtlich gestimmt immer noch die volle Hälfte des Glases, lasse mich, meinetwegen zu optimistisch oder naiv-vertrauensvoll nennen und hierin keines Besseren belehren. Inmitten (nicht nur) pädagogischen Gestrüpps und festgefrorener Strukturen sehe ich farbenfrohe Blüten als hoffnungsvolle und Mut spendende Zeichen dafür, dass es „Frühling“ werden könnte.
Die Verantwortung der Blüten für den Frühling
In jedem System bedarf es zwecks Erhalt und Stabilisierung des ideologischen Grundgerüsts und Überbaus (Normen, Werte, Überzeugungen, Unternehmensphilosophie...) einer Übereinkunft bezüglich bestimmter zu erbringender Leistungen und Haltungen seiner Mitglieder. Immer wieder wird Nicht-Entsprechendes dem Fortbestand gesellschaftlicher Systeme zuliebe in systemverträgliche Bahnen gelenkt und Nonkonformismus „absozialisiert“. So wie die etablierten Systeme selbst, hat auch diese Methode aufgrund der moralisch-sozialen Bindung des Einzelnen an das Ganze und der damit verbundenen Vorteile (Sicherheit, Beständigkeit, Orientierung, Belohnung…) lange Zeit funktioniert.
Die zunehmende, oft beklagte Emanzipation des Individuums vom Kollektiv, wird meist gleichgesetzt mit egoistischer, persönlicher Selbstverwirklichung und Selbsterfüllung auf Kosten anderer. Gut für sich selbst zu sorgen hat jedoch richtig verstanden nichts mit Egoismus zu tun, sondern mit eigenverantwortlichem Denken und Handeln. Eigenverantwortung ist nicht von der Verantwortung für das Gemeinwohl zu trennen: soziale Verantwortung für die Mitmenschen, die Systeme, in die man eingebettet ist, für die Umwelt – für alles, an dem man irgendeinen Anteil hat. Wer diese Teilhaberschaft (an)erkennt, der versteht, dass er bei all seinen Überlegungen, Entscheidungen und Ausführungen alle und alles mitbedenken muss. Der wird anderen die Behandlung angedeihen lassen, die er gerne für sich selbst beanspruchen möchte. Der wird sich im Wahrnehmen seiner anteilsmäßigen Mitverantwortung im „Winter“ für den „Frühling“ engagieren, auch wenn er selbst „warm angezogen“ ist (oder in anderen Worten: Der wird sich für die Behebung von Missständen einsetzten, selbst wenn sie ihn nicht persönlich betreffen). Systemische „Kosmopoliten“, wie es sie in jedem System gibt, kommen, dank ihrer hohen Resilienz, Toleranz und Anpassungsfähigkeit, oft vereint mit bedingungsloser Pflichterfüllung, in nahezu allen Systemen auch unter widrigsten Bedingungen gut zu Rande. Allesamt vorteilhafte Tugenden, die sich für das persönliche Wohlergehen förderlich (in totalitären Systemen als lebensrettend) erweisen können. Auf die Schule gemünzt: Pflichtgetreue (Muster-)SchülerInnen sind allerorts erwünscht und geschätzt. Dem experimentierfreudigen Lehrer gestatten sie Versuch und Irrtum und damit den unverzichtbaren Erwerb von Erfahrung und Übung auf dem pädagogischen Parkett. Für und durch sie gestaltet sich der Schulalltag reibungslos. Pädagogische „Schnitzer“ verzeihend und jede an sie gerichtete Erwartung widerstandslos erfüllend, gewährleisten sie einen ungehinderten Unterrichtsablauf und eine problemlose Weiterführung des gewohnten Gehabt-wie-bisher. Dadurch tragen sie – freilich unabsichtlich – dazu bei, dass das System über Jahre hinweg in einer längst nicht mehr zeitgemäßen und für andere „weniger Tugendhafte“ lebensfeindlichen Form überdauern kann. (Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Ich bin allen je unterrichteten pflichteifrigen SchülerInnen von Herzen dankbar, haben sie mich doch im Schulsystem zunächst einmal praxisschockfrei ankommen und Fuß fassen lassen und mir ermöglicht, mich „pädagogisch zu entfalten“). In einem baufällig gewordenen Gebäude, wie es auch das Schul- und Bildungssystem bildlich gesprochen ist, wird jedoch von Seiten der Verantwortlichen keine Notwendigkeit einer Renovierung wahrgenommen, solange sich dessen Bewohner auch nur einigermaßen gut mit den bestehenden Mängeln arrangieren. Schulverweigerung, Verhaltensauffälligkeiten, ADHS, Mobbing, Zunahme an Krankenständen und Burnout-Symptomen bei LehrerInnen wie auch SchülerInnen aufgrund von Leistungsdruck, Überforderung, Versagensängsten…, um nur einige systemisch mitverursachte Gründe zu nennen, weisen schon seit langem darauf hin, dass dieses „Gebäude“ in einem Zustand ist, dem keine Reparatur in Form von „Flickwerk“ mehr zu einer lebensförderlichen Sanierung verhelfen kann. Die Stimmen, die sich für einen Totalabriss mit komplettem Neuaufbau aussprechen, mehren sich. Aber vor allem das „indirekte Votum“ wird immer lauter und unüberhörbarer: die Stimmen all jener SchülerInnen, die eine sich über Direktiven hinwegsetzende Aufmüpfigkeit an den Tag legen, als mehr oder weniger unbewussten Widerstand gegen inhaltlich und formal nicht mehr kompatible Bedingungen. Aber auch die Stimmen derer, die durch bewusst kritisches Hinterfragen und Verweigern unzumutbar empfundener Anforderungen auf sich aufmerksam machen und mitunter eher selbstschädigende Konsequenzen in Kauf nehmen als ihren Widerstand aufzugeben. Gerade diese „Aufbegehrer“ sind Hoffnungsträger der Erneuerung, des „Pädagogischen Frühlings“. Einzelkämpfer allesamt, ungeeint und im unorganisierten Widerstand, auf sich allein gestellt, ohne jede Befugnis, weg wollend, aber nicht wissend wohin, brauchen sie Verbündete, die über ausreichende Orientierung verfügen – nicht, um ein Zurück, eine Umkehr zu ermöglichen. Um ein Vorwärts auf neuen Wegen anbieten zu können, die für alle gut begehbar sind. Ganz verschiedene, demokratisch aushandelbare Wege, die wir ebenfalls so verschiedenen PädagogInnen