Conny Schwarz

Spuk im Reihenhaus


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Brot und Pizza gebacken wurde. Alles um ihn herum war grau, wie aus Blei gegossen: der Boden der Terrasse, Tisch und Stühle, sogar die grünen Sträucher und der weiße Ofen. Doch über ihm schwebte eine funkelnde Decke, ein so prächtiger Sternenhimmel, wie er ihn noch nie zuvor gesehen hatte. Hier gab es sicher tausend Sterne mehr als zu Hause und alle leuchteten sie viel heller, staunte Tobias.

      Als er sich an den Sternen satt gesehen hatte, raffte der Junge sein bisschen Mut zusammen und schlich um das Haus herum. Zögernd betrat er die kleine Straße, auf der nie Autos fuhren, denn auf dieser Insel gab es nur Esel und Mopeds. Doch zu dieser Uhrzeit waren die kleinen Gassen wie ausgestorben. Nur am Wegrand starrten Tobias zwei kleine grüne Augen an. Vermutlich bloß eine Katze, redete der Junge sich ein, atmete tief durch und ging einfach weiter.

      Die kleine Straße führte aufwärts, weg vom Meer in Richtung Kirche, deren Glockenturm sich deutlich gegen den Berg abzeichnete. Tapfer setzte Tobias einen Fuß vor den andern, automatisch wie ein Roboter. Ihm war selbst nicht geheuer, was er da tat, aber er konnte nicht anders.

      Die Glocken waren inzwischen verstummt. Doch es war nicht etwa still um ihn herum. Die Geräusche der Nacht begleiteten ihn. Von allen Seiten hörte er es rascheln, fiepen, knistern und knacken. Und alles schrecklich nah.

      Als Tobias endlich den leeren Marktplatz erreichte, der friedlich im Mondschein lag, setzte er sich erschöpft auf die Stufen, die zum Eingang der Kirche führten. Er war so müde, dass er befürchtete, auf der Stelle einzuschlafen.

      Doch plötzlich durchzuckte es ihn. Am Himmel, dicht über dem Gipfel des Bergs, hatte er einen roten Funken gesehen. Oder hatte er etwa schon geträumt?

      Im Nu war Tobias hellwach. Er starrte so lange in die Nacht, bis er die Umrisse der Vulkanspitze ausmachen konnte und brauchte gar nicht lange warten: Wieder spritzte es glühend Rot in den nächtlichen Himmel. Tobias erschrak, als ihm klar wurde, was er da sah: Lava war das. Flüssiges Gestein aus den Tiefen der Erde, das aus dem Krater des Vulkans in den nächtlichen Himmel schoss. Wieder und wieder, mal schwach, ein anderes Mal umso kräftiger. Und wenn eine Weile gar nichts passierte, wurde Tobias schon nervös und fieberte dem nächsten Ausbruch entgegen.

      Plötzlich erinnerte er sich daran, was die italienischen Kinder an Bord der Fähre gerufen hatten, als sie sich dem Vulkan näherten: „Una eruzione, una eruzione!“ Ihr Ruf hatte überhaupt nicht ängstlich geklungen, sondern fröhlich.

      Je länger Tobias dieses unheimliche Schauspiel beobachtete, desto besser gefiel es ihm. Jeder Spritzer glühende Lava ließ sein Herz wild hüpfen, nun aber vor Freude. Es war wie ein kleines Feuerwerk, nur für ihn allein. Stunde um Stunde saß Tobias still da und staunte fasziniert, wie der Berg sein glühendes Inneres gegen den Himmel spuckte.

      Erst als die Morgenröte am Horizont des Meeres zu dämmern begann, erhob sich Tobias schwerfällig und schleppte sich zurück in die alte Fischerhütte, die nun ihre Ferienwohnung war. Seine Eltern schnarchten friedlich. Todmüde, aber seltsam zufrieden, fiel Tobias sofort in einen traumlosen Schlaf. Die kleinen schwarzen Krabbler hatte er gar nicht weiter beachtet. Wer einen echten Vulkanausbruch erlebt hatte, konnte über die Furcht vor kleinen Käfertieren doch nur lachen.

      Als Tobias am nächsten Morgen aus der Tür in Freie trat, war die Insel wie verzaubert. So musste das Paradies aussehen: Bei strahlend blauem Himmel konnte man bis zum grünen Meer hinuntersehen, die weißen Häuschen leuchteten in der Sonne und alle Wege und Terrassen waren gesäumt von buschigem Grün mit prächtigen rosa- und lilafarbenen Blüten.

      Doch nicht nur die Insel, auch seine Eltern waren wie verwandelt. Der Vater brachte vom morgendlichen Strandspaziergang einen riesigen Tintenfisch mit, den er so stolz präsentierte, als hätte er ihn selbst gefangen – und nicht einem Fischer direkt von Boot abgekauft. Und die Mutter lachte darüber und freute sich aufs Kochen, obwohl die Zubereitung ziemlich eklig werden würde. Dann pfiff sie weiter eine flotte italienische Melodie, während sie vergnügt den Frühstückstisch auf der Terrasse deckte. Als sie Tobias erblickte, fragte sie ihn munter: „Na, mein Großer, gut geschlafen?“

      „Na klar“, antwortete Tobias. Verstohlen blickte der Junge zum rauchverschleierten Gipfel des Vulkans hinauf und fühlte sich so erschöpft, als wäre er letzte Nacht dort oben gewesen.

      „Und einen Riesenhunger hab ich“, ließ er seine Mutter wissen.

      Mehr aber verriet er nicht.

       Der Fluch der roten Jacke

      „Willst du, dass ich Pickel kriege?“, fragte Emma ihre Mutter wütend und sah sie dabei an, als würde sie ihr zumuten, nackt in eine volle Mülltonne zu steigen. Seufzend hängte die Mutter die rote Winterjacke zurück auf den Ständer. Ihre Hände wühlten sich flott weiter durch andere Jacken. Die meisten aber waren zu klein für Emma, die für ihre elf Jahre schon recht groß geraten war. Und auch ziemlich frech, wie ihre Mutter fand.

      Trotzdem ließ sie sich nicht entmutigen und suchte weiter nach einer warmen Jacke für die Tochter. Denn von einem Tag zum andern war das Wetter umgeschlagen. Morgens, wenn man aus dem Haus trat, war es bereits so herbstlich kalt, dass man seinen Atem bewundern konnte. Und da Emmas Mutter wenig Zeit und kaum Geld hatte, war sie mit ihrer Tochter gleich nach der Schule zu dem kleinen Geschäft an der Ecke gegangen. Im Second-Hand-Laden „Alter Hut“ gab es gute Kleidung für wenig Geld.

      Die rote Jacke sah aus wie neu und war innen gefüttert, also bestimmt mollig warm. Emma wird sich schon an sie gewöhnen, dachte die Mutter, griff noch einmal nach der Jacke und hielt sie ihrer Tochter vor die Nase.

      „Probier sie doch wenigstens mal an“, forderte die Mutter und wollte Emma die Jacke in die Hand drücken. Die aber wich zurück, als würde sie sich daran ihre Finger verbrennen, so dass die Jacke auf den Boden fiel.

      „Sofort aufheben!“, schrie die Mutter und Emma wusste, dass sie den Bogen überspannt hatte. Um ihre Mutter nicht noch wütender zu machen, probierte sie die Jacke an. Sie passte perfekt. Und wurde gekauft.

      Wieder schlug das Wetter um, die Sonne kam noch einmal heraus und lächelte müde vor sich hin. Ein paar Tage hing die rote Jacke achtlos an der Garderobe im Flur. Dann aber kam es umso heftiger: Über Nacht hatte es Frost gegeben und Morgennebel kündigte eine grauen, feuchtkalten Tag an.

      Als Emma früh wie immer mit ihrem grünen Kapuzenpulli aus dem Haus huschen wollte, fing ihre Mutter sie an der Tür ab und sagte, sie solle sich bloß warm anziehen! Mürrisch zog Emma die rote Jacke über und verschwand.

      Im Klassenzimmer hatte Emma eine ganze Bank für sich allein. Ein paar Mädchen aus der Klasse hatten einen komischen Baum-Club gegründet, in den alle Mädchen aufgenommen werden wollten. Bloß Emma fand diesen Club mit seinen Ausweisen, Anwesenheitslisten und solch bürokratischem Kram einfach nur idiotisch. Auch eine alberne Geheimschrift hatten sich die Mädels ausgedacht – wie im Kindergarten. Nein, da hielt sich Emma lieber an die Jungs. Mit denen kam sie besser aus, zumindest mit Marek und Franz.

      Mit Franz ging sie auch an diesem Tag nach Hause. Emma schimpfte über ihre neue Jacke und auf ihre Mutter, bis es „platsch“ machte. Sie war ausgerutscht und lag nun mitten in einer Pfütze. Franz, der ihr beim Aufstehen half, musste sich das Lachen verkneifen. Und Emma, die nun aussah wie ein Matschmonster, gab auf der Stelle ihrer blöden Jacke die Schuld daran.

      Am Abend entdeckte die Mutter die Bescherung und stopfte die rote Jacke schimpfend in die Waschmaschine. Dann kramte sie den grauen Wintermantel vom letzten Jahr hervor, dessen Ärmel längst zu kurz waren. Doch das war Emma komplett egal, denn sie liebte diesen Mantel. Und der Tag, an dem sie ihn trug, wurde ein rundum angenehmer Tag, an dem nichts Blödes passierte, nicht einmal die Mädchen stänkerten mit ihr herum.

      Bereits am übernächsten Tag aber war die verhasste Jacke wieder trocken und so sauber, dass ihr Rot so grell wie das einer Ampel leuchtete. Auch auf dem Schulhof. Und als eine Lehrerin nach den Schülern suchte, die dauernd Steinchen gegen die neuen Turnhallenfenster warfen, sah sie nur Rot. Emma wurde ins Sekretariat bestellt und bekam einen Tadel – und das, obwohl sie bloß daneben gestanden