Jürgen Heller

Was zu beweisen wäre


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Schlüssel hat, ist extra noch mal rüber gegangen und hat nachgeschaut. Nichts Auffälliges. Sie haben letzten Mittwoch, also am 10. März gegen 11:00 Uhr Innsbruck mit dem Auto verlassen und sind ja auch nachweislich kurz nach dem Mittag im Hotel angekommen. Das Auto steht seitdem unberührt auf dem Parkplatz. Der Schlüssel ist an der Rezeption hinterlegt. Carlas Eltern fahren hier im Tal nicht mehr so gern mit dem Auto. Sie nehmen lieber den Bus oder gehen zu Fuß."

      "Red mal mit dem Busfahrer, vielleicht hat der ja wirklich etwas gesehen."

      Bruno stimmt ihm zu. Morgen soll das Wetter ja ohnehin nicht so toll werden, da kann er auf 's Skifahren gerne verzichten. Und wenn Carla nicht mit will, geht er eben allein. Hans beschreibt ihm noch genau den Leiter der Bergwacht, Hermann Gleyer.

      "Ich habe mit ihm zusammen die Landwirtschaftsfachschule besucht. Er hat danach noch ein Ingenieursstudium absolviert. Er ist wirklich der beste, den wir haben. Wirst sehen, der versteht sein Fach und gibt immer alles. Verlangt seinen Leuten auch immer alles ab, kannst Robert fragen. Der hat auch schon die ersten Erfahrungen mit ihm gemacht."

      Es ist inzwischen 23:30 Uhr geworden und beide sind müde. Sie stellen die Gläser weg und Hans entsorgt noch die leeren Flaschen.

      "So kann keiner sehen, wieviel wir getrunken haben."

      "Und Hans, machst du dir keine Gedanken wegen Anna? So, wie die sich aufgebrezelt hat..."

      "Nein, da muss ich keine Sorgen haben. Sie ist eine junge Frau und macht sich gerne zurecht. Dabei bleibt es auch. Vielleicht kokettieren sie auch mal ein wenig, das gehört bei den Frauen dazu. Wir sind ja keine Hinterwäldler. Tiroler waren schon immer ein lebenslustiges Volk, es gibt sogar Lieder darüber und übrigens, ich mag auch gerne schöne Frauen."

      Hans sieht ihn grinsend an.

       Was meinst du denn jetzt?

      "Gute Nacht Hans, vielen Dank für den schönen Abend und den vorzüglichen Wein."

      "Gute Nacht Bruno, bis morgen."

      Bruno schläft unruhig, träumt von Carla in einem schwarzen, hautengen Kleid. Sie steht mit dem Rücken zu ihm. Er möchte sie umarmen und greift nach ihr, kann sie aber nicht erreichen. Immer, wenn er zugreifen will, fehlt ihm die Kraft in den Armen. Endlich gelingt es ihm, aber Carla schreit auf. Sie windet sich in seinen Armen, versucht sich zu befreien, dabei dreht sie sich zu ihm um. Es ist ein schrecklicher Anblick. Carla hat kein Gesicht.

      Neustift, Sonntag, 14.03.2010

      11

      Bruno hat doch noch ein paar Stunden geschlafen und fühlt sich eigentlich gut. Der Traum ging verloren. Er hat nur ein vages Gefühl, so als ob ihm etwas unangenehmes widerfahren ist. Es ist Sonntag, das heißt, keine Rasur. Diese Angewohnheit pflegt er seit Jahrzehnten und obwohl er keinen starken Bartwuchs hat, empfindet er sie als zusätzliche Freiheit. Er hat frisch geduscht, neue Sachen angezogen und fühlt eine gewisse Spannung ob der Ereignisse, die vor ihm liegen. Als er den Frühstücksraum betritt, ist es genau 8:00 Uhr und er ist der einzige. Es sind auch keine weiteren Tische eingedeckt, offenbar sind alle Gäste schon unterwegs.

      Anna stellt, gutgelaunt und strahlend, den Tee auf seinen Tisch. Sie trägt ein Dirndl, in blau und rot, mit einer weißen Bluse und hat das Haar hochgesteckt. Sie wirkt frisch und munter, keine Spuren einer zu kurzen Nacht. Er kann kaum den Blick abwenden, besonders als er im Vorbeigehen ihren Duft wahrnimmt.

      "Na, wie war euer Frauenabend? Bist du mir treu geblieben?"

      "Ich bin die treueste Frau der Welt, was glaubst' denn. Ich weiß nur nicht, ob dir das etwas nützt."

       Danke, das hat gesessen. Ich glaube, ich muss mich wirklich etwas bremsen.

      "Entschuldige bitte, ich wollte nicht unverschämt werden. Es geht mich auch nichts an. Ich hoffe nur, ihr hattet einen schönen Abend. Wir Männer hatten jedenfalls einen."

      "Komm Bruno, nicht so zimperlich. Ich verstehe ja deinen Humor. Keine Sorge, dass ich dich zu ernst nehme."

      Helles Lachen, Bruno ist beeindruckt und wechselt schnell das Thema.

      "Ich gehe nachher zur Bergwacht, um die Adresse des Busfahrers rauszukriegen. Mal sehen, was daraus wird."

      "Bruno, nicht eingeschnappt sein. Ich habe es nicht böse gemeint und unser Frauenabend war sehr lustig. Es gab keinerlei Stress, auch nicht mit einem Mann. – Ich hoffe, dass du in der Sache weiter kommst. Geht Carla mit?"

      „Ne, ich denke nicht.“

      Bruno ist mit dem Frühstück fertig und geht auf sein Zimmer, um sich fertig anzuziehen. Dann wirft er einen Blick auf sein Handy.

       Scheiße, wieder ist der Akku leer. Immer, wenn man das Ding mal braucht.

      Er klettert in sein Auto und fährt in den Ort. Direkt an der Zufahrtstraße zur Elfergondel befindet sich das Gebäude der Bergwacht. Es ist 9:15 Uhr und er betritt das Haus. Er befindet sich in einem langen, quer liegenden Flur. Auf beiden Seiten befinden sich Türen. Er geht willkürlich auf die erste beste zu und versucht das Namensschild neben der Tür zu entziffern.

      DI Hermann Gleyer

      Leitung

       Oh, ein Berufskollege, das muss ja gut gehen.

      Er klopft moderat aber deutlich hörbar an und will die Klinke drücken. Die Tür ist zu. Er schaut sich um, keiner zu sehen. Ein vertrautes Geräusch bringt ihn zum lächeln, eine Klospülung. Dann hört er noch einen Händetrockner, einen von diesen Turbotrocknern, die zwar laut aber auch sehr schnell sind, 10 Sekunden und die Hände sind trocken. Und so lange dauert es bis Diplom-Ingenieur Hermann Gleyer mit dynamischen Schritten auf ihn zukommt.

      Der Leiter der Bergwacht bietet ihm den Platz vor seinem Schreibtisch an, hinter dem er selber Platz nimmt. Einen Kaffee lehnt Bruno dankend ab. Nun sitzen sie sich gegenüber. Hermann Gleyer sieht sehr sympathisch aus, hat dieses typische Alpinistengesicht, von der Sonne gebräunt aber eben auch markante Falten um Augen und Mund. Deshalb tut sich Bruno auch mit der Alterseinschätzung schwer, sein Gegenüber könnte unter 50 aber auch über 60 sein. Er schaut Bruno aus dunklen Augen interessiert an.

      "Du bist also der Bruno aus Berlin. Habe schon viel von dir gehört, bist ja sozusagen schon fast ein Stubaier. Was darf ich für dich tun, wie kann ich helfen?"

      Bruno ist etwas verunsichert, weiß nicht ob er jetzt auch du sagen soll und versucht die direkte Anrede zu vermeiden.

      "Nun es geht um die Vermissten, Herr und Frau Weißensee. Das sind die Eltern meiner Lebensgefährtin. Wir sind extra aus Berlin hierher gekommen, weil es hieß, die beiden wären am Gletscher verunglückt. Aber nun hat man sie noch nicht gefunden und ich wollte Sie fragen..."

      "Also jetzt hörst du mir erst einmal zu. Erstens heiße ich Hermann, auch für dich. Schließlich bist du ein Freund von Hans und Anna und die sind auch meine Freunde. Und nun zu den beiden Verschollenen. Wir haben unmittelbar nach der ersten Vermisstenmeldung, am Freitagabend um ca. 21:00 Uhr mit der Suche begonnen. Wir hatten 32 Männer im Einsatz mit Lampen und Ortungsgeräten. 5 Kollegen waren mit ihren Hunden dabei. Wir haben bis nach Mitternacht mit Unterstützung der noch anwesenden Mitarbeiter der Gletscherbahn und einigen Leuten von der Dresdner Hütte gesucht, ohne auch nur eine Spur zu finden. Dann mussten wir abbrechen, die Leute waren erschöpft und es gab auch keinen einzigen Hinweis, wo wir noch hätten suchen sollen. In höhere Regionen zu steigen, wäre in der Dunkelheit zu gefährlich gewesen. Gestern morgen haben wir um 6:00 Uhr weiter gemacht. Ab 7:00 Uhr war der Hubschrauber im Einsatz, mit allem technischen Equipment, einschließlich Wärmebildkamera. Die Leute sind wirklich sehr professionell. Sie haben auch den ganzen Umkreis Richtung Ötztal mit einbezogen. Keine einzige Spur, einfach nichts. Wir müssen dabei beachten, dass es sich ja