Jürgen Heller

Was zu beweisen wäre


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die Frage ist wirklich zu beantworten, wie lange kann man da draußen aushalten? Man hört ja immer wieder davon, dass Menschen durch glückliche Umstände tagelang überlebt haben. Aber was sind schon glückliche Umstände? Haben wir die?

      Er bestellt sich noch einen Espresso, einen Grappa und bittet um die Rechnung. Die junge Kellnerin schaut etwas verwundert auf Carlas Teller, von dem so gut wie nichts gegessen wurde.

      "War es nicht gut?"

      "Doch, keine Sorge, meiner Frau geht es nur nicht so gut, sie hat ein wenig Fieber."

       Meine Frau ist gut...

      Auf dem Heimweg geht ihm die Geschichte mit Carla durch den Kopf.

       Wenn das hier vorbei ist, muss ich mit ihr darüber reden. So geht es jedenfalls nicht. Das ist keine Beziehung, das ist schlechter als gar nichts. Bei aller Rücksicht auf ihr Schicksal, ich bin schließlich auch noch da. Aber scheinbar bedeute ich ihr nicht wirklich etwas. Das zeigt die derzeitige Stresssituation klar und deutlich. Normalerweise müsste sie sich doch freuen, dass sie jemanden an ihrer Seite hat, der ihr helfen will. Vielleicht helfe ich auch nicht genug? Sollte ich noch heute Abend versuchen, den Busfahrer...?"

      Er verwirft den Gedanken sofort wieder, erstens weiß er ja nicht wie der heißt und wo er wohnt und zweitens verspürt er keinen richtigen Antrieb. Carla glaubt doch sowieso nicht, dass das eine richtige Fährte sein könnte. Er findet einen Parkplatz direkt an der Treppe, die zum Hauseingang führt. Beim Aussteigen wirft er einen Blick in Richtung Kuhstall. Da brennt Licht, also ist Hans noch bei seinen Kühen. Er hat ihn noch gar nicht gesehen, seit er hier ist. Na vielleicht trifft man sich ja heute noch, was gleichsam bedeutet, dass er sich noch in den Aufenthaltsraum setzt.

      Er geht kurz nach oben in sein Zimmer, zieht Jacke und Schuhe aus, steigt in seine Latschen und verlässt den Raum wieder. Dann geht er doch noch einmal zurück, kramt in seinem Rucksack, der noch gar nicht richtig ausgepackt ist, holt eine Flasche Chianti Riserva heraus und geht nun endlich, mit der Flasche in der Hand, wieder hinunter. Im Aufenthaltsraum, der auch Frühstücksraum ist, ist es dunkel, niemand da. Irgendwer hat aber das Radio angelassen. Er knipst das Licht an, dann sucht er und findet einen Korkenzieher. Er öffnet vorsichtig die Flasche und bindet um ihren Hals eine gefaltete weiße Serviette, um Rotweinflecken auf der Tischdecke vorzubeugen. Alte Erfahrungen mit Anna. Dann füllt er sich ein Glas ein und nimmt in seiner Lieblingsecke Platz. Es ist 20:30 Uhr und jeden Augenblick müssen Nachrichten kommen. Er ist gespannt, ob sie etwas über die Weißensees bringen werden.

      Die Nachrichten gehen sogar sehr ausführlich auf den Fall ein. Allerdings gibt es für ihn nichts Neues zu hören. Auf einen Hinweis mit dem Busfahrer hofft er vergebens, kein Wort darüber. Die einzig neue Information kommt durch einen gewissen Magister Ludwig Magreiter, der sich wie ein Wahlkämpfer sehr bemüht, deutlich zu machen, mit welchem "heldenhaften und unermüdlichen Einsatz" alle Rettungskräfte ihr Möglichstes tun und noch mehr..., selbstverständlich nur auf seine persönliche Intervention hin!

       Da wird ja Carla froh sein, dass es dich gibt, du Magister, du.

      Er lauscht dem Wetterbericht. Es bleibt tagsüber recht mild aber etwas unbeständig und über 1500 m kann es schneien, die Nacht bleibt kalt mit Temperaturen unter –5 Grad.

      10

      Bruno hat sich gerade noch ein Glas eingegossen, da öffnet sich vorsichtig die Tür und Hans schaut um die Ecke.

      "Hallo, grüß dich Bruno, ich gehe gerade mal den Geruch abduschen, dann komme ich gleich zu dir. Wir müssen doch einen Willkommenstrunk nehmen. Ich beeile mich."

      "Grüß dich Hans, lass dir Zeit, die Flasche ist noch fast voll."

      Der Geruch verrät eindeutig, wo Hans gerade herkommt. Bruno stört es nicht, er weiß aber, dass Anna nicht so begeistert ist, wenn das Haus nach Kuhstall riecht. Sie scheint übrigens in der Küche zu sein, zumindest glaubt er, ihre Stimmen zu hören. Ihm kommt wieder dieser Busfahrer in den Sinn. Wie kann er durch geschicktes Fragen herausbekommen, ob der wirklich die zwei Vermissten zurück in den Ort gefahren hat. Und wer war der ominöse Begleiter? Womöglich waren es ganz andere Leute. Bruno verfügt ja nicht mal über Fotos von Carlas Eltern, er muss also anders vorgehen. Schließlich will er keinem Phantom nachjagen.

      "Hans ist noch unter der Dusche, du musst derweil mit mir vorlieb nehmen."

      Er hat gar nicht bemerkt, dass Anna eingetreten ist. Sie hat ein kurzes schwarzes Kleid an, hochgeschlossen aber wie eine zweite Haut, dazu passend schwarze Strümpfe und schwarze Pumps. Er kennt nicht viele Frauen, die so etwas tragen können. Alles sehr dezent, aber für Bruno, man kann sagen: Erotik pur.

       Na das ist dir ja mal wieder gelungen...

      "Jetzt habe ich doch tatsächlich vergessen, dass wir verabredet sind. Da muss ich mich ja noch schnell umziehen."

      Sie lacht über seine Bemerkung, nimmt ein Glas aus dem Regal und setzt sich neben ihn.

      "Ich weiß nicht, mit wem du verabredet bist, mit mir jedenfalls nicht. Du kannst mir aber einschenken. Bitte nur ein halbes Glas, ich muss noch fahren. Wir haben heute Frauenabend."

      "Frauenabend, Samstag nacht? Wer ist denn eure Zielgruppe? Wenn die alle so aussehen wie du, bringt Ihr ja den ganzen Ort durcheinander. Kannst du mir nicht einen Tipp geben, wo ich euch finde?"

      "Wir reden nur über Männer und nicht mit Männern, sonst wäre es ja kein Frauenabend."

      Sie schlägt lässig die Beine übereinander. Das sieht natürlich auch nicht schlecht aus.

       Nichts anmerken lassen Bruno!

      "Da möchte ich mal Mäuschen sein, schon aus rein optischen Gründen, wenn die schönsten Frauen von Neustift unterwegs sind."

      "Das fehlte noch. Nicht mal unsere eigenen Männer dürfen auch nur in die Nähe kommen. Du stehst doch auch mehr auf Dirndl."

      Mit einem hellen Lachen steht sie auf, stellt das leere Glas auf den Platz vor der Durchreiche zur Küche. Bruno genießt den Anblick.

      "Ich wünsche euch einen schönen Abend und viel Spaß, Anna. Und wenn ihr mich braucht, Anruf genügt."

      Ihr Lächeln ist so ein Ding zwischen zauberhaft und ein wenig Provokation.

      "Ihr könnt euch doch auch einen schönen Abend machen, so unter Männern. Hans weiß, wo der Wein steht. Ciao Bruno, bis morgen."

      "Tschüss Anna, bis morgen."

      Wie auf Kommando erscheint Hans. Sie haben sich seit dem Weihnachtsurlaub nicht mehr gesehen und entsprechend viel zu erzählen. Hans ist immer sehr an Brunos Fotokenntnissen interessiert. Er ist zwar wesentlich besser ausgestattet als der, hat aber nicht die Erfahrung. So haben sie ein unendliches Thema, da würden Frauen nur stören. In dieser einen Stunde leeren sie auch die Flasche Chianti Riserva.

      "Warte Bruno, ich hole uns noch einen guten von drüben. Da habe ich noch einige Besonderheiten."

      Nach kurzer Zeit ist Hans zurück und hat einen seiner Schätze mitgebracht. Es ist ein Sangiovese, Jahrgang 2003, den mal ein Urlauber aus der Toscana mitgebracht hat. Sie stoßen mit neuen Gläsern an und stellen übereinstimmend fest, den kann man trinken! Ein sehr feiner Tropfen, der eigentlich mehr Aufmerksamkeit verdient hätte. Aber sie sind jetzt bei den beiden vermissten Weissensees gelandet.

      "Also eines kann ich Dir sagen Bruno, wenn die Bergwacht und die Hubschrauberbesatzung aus Innsbruck Zweifel haben, dass die Gesuchten auf dem Gletscher verunglückt sind, dann wissen sie, wovon sie reden." In den letzten 30 Jahren haben die noch jeden gefunden, der als vermisst galt. Ich würde an eurer Stelle woanders suchen. Haben die Eltern von deiner Freundin nicht eine Wohnung in Innsbruck?"

      "Ja schon,