in Berlin, die du mir geschickt hast, Vati, sind viel niedlicher.«
»Kakteen heißt die Mehrzahl von Kaktus, Herzchen«, verbesserte der Vater.
»Na, es heißt doch auch die Nuss – die Nüsse«, beschwerte sich Suse.
Aber die Feigenbäume mit ihren rundgezackten Blättern, die fleischigen, blaugrünen Blätter der Agaven mit ihren herrlichen Blüten und die grauen Olivenbäume waren Suse fremd. »Ach, Kastanien«, rief sie freudig, daß sie wieder etwas Bekanntes sah.
»Ja, Edelkastanien, Suschen. Ihre Früchte sind die Maronen, die unten in den Straßen auf Feuer geröstet und verkauft werden.«
Suse konnte schon gar nicht mehr gucken. Sie schloß ermüdet die Augen, trotzdem der Blick auf die Stadt, das Meer und die Berge, je höher man kam, sich um so herrlicher gestaltete.
Und als man dann auf der von Orangengärten umbuschten Glasterrasse vor der Speisekarte saß, mußte man seinen müden Kopf auch noch anstrengen.
»Was wollt ihr essen, Kinder? Ihr dürft euch heute das erste mal, wo wir wieder beisammen sind, etwas auswählen«, sagte der Vater.
»Au fein! Richtig nach der Speisekarte, Vater?« Professors Zwillinge waren noch nicht oft in ihrem zehnjährigen Leben in einem Restaurant gewesen.
»Mit der Speisekarte werdet ihr nicht viel anzufangen wissen«, meinte der Vater lächelnd. »Sie ist italienisch. Ihr versteht sie nicht.«
»Na, Suppe und Braten verstehen wir doch, das kann doch in Italien auch nicht anders schmecken als in Deutschland«, erklärte Herbert.
»Aber es heißt hier anders. Such' dir nur was aus, mein Sohn, wenn du so schlau bist«, scherzte der Vater.
Da saß nun Herbert vor der großen italienischen Speisekarte mit lauter fremdländischen Namen. Himmel, war denn da gar nichts drauf, was er herauskannte? Aber seine Unwissenheit eingestehen, das tat er doch zu ungern, trotzdem er die italienischen Bezeichnungen der Speisen gar nicht kennen konnte.
»Pollo«, sagte er schließlich auf gut Glück, weil es das leichteste und kürzeste Wort war, was er fand.
»Sieh mal an,« lachte der Vater, »du bist gar nicht so dumm. Fränzchen, dir rate ich Fritto misto zu essen. Das ist gemischtes Gebackenes, aus Leber, Kalbsmilch, Artischocken bestehend – eine italienische Spezialität, die besonders zu empfehlen ist.«
»Ich dachte, Misto heißt Mist«, sagte Herbert laut.
»Aber Junge –!« Es war nur gut, daß die Umsitzenden kein Deutsch verstanden. »Und was will unser Suschen essen?«
»Was Schönes.« Suse war viel zu müde, um selbst etwas zu wählen.
»Risotto, risotto alla Milanese, das wird dir gewiß schmecken.« Der Vater rief: »Cameriere« – worauf der Kellner erschien, der die Bestellung entgegennahm.
»Warum nennst du den Kellner Kammer-Jöre und nicht Ober?« verwunderte sich Suse.
»Cameriere – das heißt Kellner auf italienisch. Mit einer Kammer oder gar mit einer Jöre hat das Wort nichts zu tun.« Der Vater hatte lange nicht so viel gelacht wie heute über seine Zwillinge.
»Ich habe Hunger«, sagte Herbert. »Wo bleibt mein Pollo?« Er tat sehr großartig vor Suse.
»Weißt du denn, was Pollo ist, Herbert? Pollo ist Hammelbraten«, sagte der Vater neckend, denn er erinnerte sich noch, daß sein Sohn Hammelfleisch nicht gern aß.
»Nee, ach nee! Wirklich, Vati? Dann muß Suse den ollen Pollo essen oder Bubi. Suse, tauschst du mit mir? Ich kriege deinen Otto oder wie das Zeug heißt, ja?«
»Risotto, Herbert.« Vater und Mutter lachten, daß sie Tränen in den Augen hatten.
»Na, meinetwegen.« Suse war teils aus Gutmütigkeit, teils aus Müdigkeit mit allem einverstanden.
Da brachte der Kellner die Speisen. »Pollo«, sagte er.
»Hier, für das kleine Fräulein«, erklärte der Vater italienisch. »Risotto bekommt mein Sohn. Das andere hierher.«
»Nanu?« sagte Herbert, mit langem Gesicht auf seinen Reis blickend und dann auf den Teller seiner Schwester. »Nanu? Das ist ja ganz gewöhnlicher Reis, und Pollo ist überhaupt kein Hammel, sondern Huhn. Das esse ich sehr gern.« Er weinte beinahe vor Enttäuschung.
»Siehst du, Herbert, das kommt davon, wenn man eine Unwissenheit nicht eingestehen mag. Man muß nicht immer alles besser wissen, alles verstehen wollen. Kein Mensch ist zu alt, um noch zu lernen. Und ein kleiner, zehnjähriger Junge hat noch sehr viel zu lernen.«
»Komm, Herbert, wir tauschen wieder zurück«, sagte die gute Suse, trotzdem das schön gebratene Huhn sie recht anlachte. Sie zog den Duft wie Bubi, der sachverständig und schwanzwedelnd den Gang der Dinge verfolgte, prüfend ein.
»Nee, dann teilen wir – wir sind ja Zwillinge!« rief Herbert rot werdend. Suse war doch viel besser als er.
Und so geschah's. Pollo und Risotto wurden unter die Zwillinge geteilt, und die Knochen bekam Bubi.
Bänkelsänger mit Gitarre, Geige und Harfe sangen zum Mahl italienische Volkslieder.
»Funicoli – funicoli, funicoli – cola«, – oh, das kannten die Zwillinge. Ausgelassen sangen sie den Refrain mit. Denn der feurige Vesuvwein, den sie kosten durften, hatte sie wieder ganz übermütig gemacht. Dann spielten sie, während die Eltern bei dem herrlichen Rebensaft noch die Aussicht genossen, in den alten Felsmauern des ehemaligen Kastells Versteck.
Ein Kastell ist ein italienisches Schloß, so hatte ihnen der Vater erzählt. Es war ein sehr altes Schloß, grau und verwittert. Suse konnte sich vorstellen, daß Dornröschen darin den hundertjährigen Schlaf schlief. Zwischen dem alten Mauergestein sprießte und blühte es – Kletterrosen wuchsen da in üppiger Fülle, ganz wie bei Dornröschen. Suse verbarg sich in einer Mauernische, während Herbert sich die Augen zuhielt, um sie zu suchen.
Das kleine Mädchen saß in seinem Versteck, blinzelte in das silberflirrende Mittagslicht, lehnte das Köpfchen gegen die Steinmauer und – schlief ein. All das Neue, was es kennengelernt, die Mittagswärme und der Vesuvwein noch obendrein machte müde. Mitten unter Kletterrosen schlief die Suse wie Dornröschen. Aber ihr Schlaf dauerte zum Glück keine hundert Jahre. Herbert stöberte sie nicht auf. Der suchte sie vergebens. Aber ein anderer kam, das schlafende Dornröschen zu wecken. Ein Prinz war es zwar nicht, der sie wachküsste – nur Bubi, der sie mit kalter, schwarzer Hundenase beschnupperte.
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