Else Ury

Professors Zwillinge in Italien


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noch nicht wieder zurecht in der Wirklichkeit. Wieso war es denn so finster in der Kinderstube? Es war doch sonst immer ganz hell, wenn er in die Schule ging.

      »Giorno – Mattina – Giorno – Mattina –«, klang das Geschrei von der Straße herauf.

      Nanu?

      Plötzlich zerriß auch der Vorhang, der den Jungen vom Traumland zur Wirklichkeit schied. Das waren italienische Laute – er war ja gar nicht mehr in Berlin – hurra – er war ja in Italien beim Vater!

      Der dunkle Stoffvorhang vor dem Fenster wollte nicht schnell genug, von ungeduldigen Jungenhänden gezerrt, zur Seite weichen. Ach, das war ja gar kein Fenster! Eine große Glastür war es, die hinaus zur Terrasse führte. Weißer Sonnenglanz lag über der weißen Terrasse. Blumen blühten. Vögel sangen und jubilierten da draußen.

      Aber die Glastür wollte nicht aufgehen, überall stieß Herbert heute auf unvorhergesehenen Widerstand. Der Mechanismus war anders, als er das von daheim her kannte. Er begann an der Tür aus Leibeskräften zu rütteln, während es von der Straße jetzt »limone – limone –« heraufschallte.

      Suse war inzwischen auch von dem Geschrei munter geworden. Wieso schlief sie denn heute am Fenster? Sie kam ja mit dem Kopf immer in die Gardine. Nach welcher Seite sie sich auch wandte, überall war die alte Gardine im Wege. Aber Suse besann sich nicht lange. Sie machte es so, wie sie es von klein auf im Dunkeln gemacht hatte. Sie rief aus Leibeskräften: »Mutti – Mutti!«

      Mutti hörte nicht. Das Schlafzimmer der Eltern lag auf der andern Seite des Hauses. Aber hell wurde es trotzdem in dem dunklen Zimmer. Die Tür zum Nebenraum, in dem Herbert geschlafen hatte, öffnete sich, und die Stimme des Bruders erklang tröstend: »Guten Morgen, Suse. Warum blökste denn so laut?«

      »An meinem Bett ist solche dumme Gardine, ich kann gar nicht raus. Und so finster ist es hier in dem alten Italien.« Suse hatte inzwischen bei dem vom Nebenzimmer hereinfallenden Tageslicht die neue Umgebung erkannt.

      »Die Gardine, das ist ja das Moskitonetz, Suse. Meins habe ich schon zerrissen. Komm, ich helf' dir.« So, nun war auch die Suse glücklich aus dem Bett heraus.

      »Der Fußboden ist ja so kalt!« Sie waren daheim trotz mütterlicher Vorhaltungen meist barfuß herumgelaufen, hatten sich nicht die Zeit genommen, erst in die Morgenschuhe zu schlüpfen.

      »Hier in Italien haben die Häuser Steinfußboden«, belehrte sie Herbert, der, trotzdem er genau so alt war, alles besser wußte als sein Zwillingsschwesterchen. »So, da sind deine Morgenschuhe. Und dann komm und hilf mir die Balkontür aufmachen. Die ist hier doll fest verschlossen.«

      Suse, die Geschicktere von beiden, hatte den fremden Mechanismus bald heraus, da sie nicht, wie der Bruder, mit Gewalt daran ging, sondern mit Überlegung.

      Ach, war das schon zu dieser frühen Morgenstunde herrlich warm auf der sonnenbeschienenen Terrasse. Über seltsame Bäume, die sie nicht kannten, blickten die Kinder neugierig hinweg auf die Straße. Eine Herde meckernde Ziegen, die von einem braunen Hüterbuben die Straße entlang getrieben wurde, war das erste, was sie erblickten. Dunkelhäutige, halbwüchsige Jungen mit Zeitungen liefen dazwischen, auf und ab, noch immer laut schreiend: »Mattina – Giorno – Giorno – Mattina.« Ein Wagen mit gelben Früchten schob sich langsam den Fahrdamm entlang, während der kleine Verkäufer ohne Atempause »limone – limone« ausrief.

      »Ob das Limonade heißt?« überlegte Herbert.

      »Die Früchte sehen eigentlich wie Apfelsinen aus«, meinte Suse.

      »Es sind aber Zitronen«, kam eine Stimme von irgendwoher.

      Ja, woher denn? Die Zwillinge sahen sich erstaunt um. Ach, da mündeten ja noch mehr Glastüren auf die Terrasse hinaus. Und an einer derselben stand der Vater, das ganze Gesicht mit Seifenschaum beschmiert, denn er rasierte sich gerade. »Schlagsahne« pflegte Suse, als sie noch klein war, den Seifenschaum immer zu nennen.

      »Vati – liebes Vatichen – wie schön, daß wir wieder bei dir sind!« Da flog die warmherzige Suse auch schon zärtlich auf den Vater zu. Sie empfand das Wiedersehensglück heute aufs neue.

      »Nicht so ungestüm, Wildfang, sonst schneide ich mich. Na, haben meine beiden Hemdenmätze gut in der neuen Heimat geschlafen?« Der Vater strahlte über das seifenschaumige Gesicht vor Freude, daß er seine Zwillinge wieder hatte.

      »Ja, Vati, bloß das olle Moskitonetz muß abgenommen werden. Da findet man sich ja gar nicht im Bett zurecht. Ich habe meins schon abgerissen«, erklärte Herbert. Er hatte für alles Neue ringsum mindestens solch Interesse wie für den Vater.

      »Na, du bist tüchtig«, schmunzelte der Vater. »Wenn ihr kein Netz habt, könnt ihr gar nicht schlafen. Denn da stechen euch die Moskitos und Zanzare.«

      »Sind das Mücken, Vater?« Herberts Interesse für alles, was krabbelte und flog, erwachte.

      »Ja, mein Junge. Eine Stechmücke, die hier in den südlichen Ländern eine große Plage sein kann, wenn man nicht Vorkehrungen dagegen trifft.«

      »Und dann schreien die Jungs auf der Straße hier morgens so laut, daß man gar nicht schlafen kann«, beschwerte sich Suse.

      »Sie rufen die Zeitungen aus. Hört ihr › Mattina‹, das heißt Morgen und › Giorno‹, das heißt Tag. Es sind die gelesensten Zeitungen hier in Neapel«, erklärte der Vater.

      »Und was heißt › Limone‹?«

      »Limone ist eine Zitrone. Kleine Zitronenverkäufer bieten ihre Ware an.«

      »Ulkig«, meinte Herbert. »Ich möchte auch mal so schreien.«

      »Du schreist schon laut genug«, lachte es aus einem Bett. Die Mutter, die eigentlich gern noch ein wenig nach der anstrengenden Reise geschlafen hätte, war von der Unterhaltung aufgewacht. »Kinder, ihr werdet euch da draußen im Nachthemd einen Schnupfen holen«, warnte sie besorgt.

      »Hier in Italien, wo es selbst im Winter warm ist?« ereiferte sich der Herr Sohn. »Auf italienisch gibt's überhaupt gar keinen Schnupfen.«

      »Du mußt's ja wissen«, lachte der Vater. »Gerade hier am Meer, wo abends manchmal starke Abkühlungen nach glühend heißen Tagen vorkommen, kann man sich leicht erkälten. Aber nun marsch, wascht euch und zieht euch an, daß wir zusammen frühstücken können. Ich habe mich heute in der Sternwarte, Observatorium sagt man hier, beurlaubt, um euch erst mit der fremden Umgebung vertraut zu machen.«

      »Famos!« rief Herbert. Während Suse sich ein wenig zaghaft erkundigte: »Müssen wir denn nicht in die Schule, Vatichen?«

      »Erst müßt ihr Italienisch, die Landessprache, erlernen. Ihr bekommt Privatunterricht. Ich möchte, daß ihr hier später das Gymnasium weiterbesucht.«

      »Natürlich, wir sind doch schon in der Waldschule in die Quinta versetzt worden«, pflichtete Herbert dem Vater bei.

      »Da käme eine internationale Schule in Betracht oder eine italienische«, überlegte der Vater, zur Mutter gewandt, weiter.

      »Ich gehe in eine italienische Schule,« Herbert war bereits vor den Eltern mit seinem Entschluss fertig – »du auch, Suse?«

      »Ich gehe dahin, wo du hingehst.« Von klein auf war das schon so. Suse war der getreue Schatten des Zwillingsbruders, der sich stets als ihr Beschützer fühlte.

      Während sich die Kinder wuschen und anzogen, hatte Pietro draußen auf der Terrasse einen großen roten Schirm gegen die Sonne aufgestellt. Wie eine rote Riesenblume stand er in der blauen Luft. Teresina deckte darunter den Frühstückstisch. Als die Kinder ausgeschlafen und frisch am Kaffeetisch erschienen, lag auf jedem Platz eine herrliche Rose zum Empfang. Pietro hatte sie der Mutter und ihnen zum Willkommen verehrt. Teresina aber hatte frischen Maiskuchen für die »Engelchen« gebacken.

      Herbert biß sogleich erwartungsvoll hinein und – spuckte den Bissen, obgleich das gar nicht anständig war, sogleich wieder aus.

      »Pfui Deibel!« rief er in seiner derben Jungensprache. »Pfui, das