Heidi Hollmann

Der Debütant im Ruhestand


Скачать книгу

hätte kommen können. Herzinfarkt!

      Lotte lief fast täglich zum Grab ihres Mannes, leistete Abbitte und hatte ihren Anton nur in allerbester Erinnerung. Er war sozusagen durch sein Ableben zur rechten Zeit, von jetzt auf gleich zum Engel mutiert, obwohl Lotte an seiner Seite zwar ein Luxusleben, dafür aber das der mehrfach betrogenen Ehefrau geführt hatte, was sie nicht im Geringsten zu stören schien.

      „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“ war der Leitspruch der molligen Lotte, die stets Optimistin geblieben war. Die anderen Damen hatten sich mokiert, waren nahezu schockiert gewesen, aber sie hielten sich zurück. Ganz sicher waren sie sich nicht. Möglicherweise wäre ihnen auch hier und da heiß unter ihrem Pony geworden, wenn sie von den Eskapaden ihrer Ehemänner gewusst hätten. Bekanntermaßen erfuhren die meisten Ehefrauen von den „Verfehlungen“ ihrer Männer zuletzt, oder zum Glück überhaupt nicht.

      Wie dem auch sei, Herta jedenfalls stünde etwas bevor, meinten die Damen einmütig und warfen sich Blicke zu, als bräche jeden Augenblick der dritte Weltkrieg über sie herein. Beim vierwöchentlichen Gedankenaustausch holte Herta sich die Informationen und Ratschläge, die sie brauchte. Sie war ja immerhin eine blutige „Anfängerin“, noch, jedenfalls. Aber alles praktisch Durchzuführende beruhte schließlich auf Theorien, oder? Herta war lernfähig.

      Wie an dem Freitag, an dem es in ihrem christlichen Haushalt Fisch gab. Rotbarsch, genauer gesagt. Rudolf stocherte lustlos im weichen weißen Fleisch des Fisches herum. Ihm fehlte augenscheinlich etwas. Hurtig sprang Herta zum Kühlschrank, gleich neben ihrem Essplatz und reichte ihm, wie eine geweihte Hostie, die rote Catchupflasche. Rudolfs Miene erhellte sich. Ohne ein „Dankeschön“, das war während der langen Ehejahre auf der Strecke geblieben, goss er den Inhalt der fast vollen Flasche auf den armen Fisch, begrub ihn regelrecht darunter. Auch die saftig grünen Frühlingszwiebeln verloren ihre schöne Farbe, wurden ebenfalls rot ertränkt. Es war für Herta, die nicht nur gern kochte, sondern auch gern aß, zum Verzweifeln. Wie sehr hatte sie sich bemüht, eine anständige Köchin zu werden. In der ersten Zeit ihrer Ehe hatte Rudolf alles, wirklich alles aufgefuttert, und damals, Respekt!, gab es noch keinen Catchup. Er verzog zwar manchmal den Mund, so dass er seinem kleinen Sohn der Spinat missachtete, auffallend glich, aber er spuckte nichts an die Wand. Auch später dachte er niemals daran, ihre mittlerweile respektablen Kochkünste zu loben. Lob konnte man von einem Mann wie Rudolf sowieso nicht erwarten, aber immerhin und ohne zu murren oder zu tadeln, hatte er seine Teller damals leergeputzt. Mal mit hoher Geschwindigkeit und mal piano, je nach Genießbarkeit. Herta hatte herausgefunden, wenn es ihm besonders gut schmeckte, er sich in wilder Besessenheit Gabel für Gabel in den Mund schob. Er benutzte dazu so gut wie niemals ein Messer. Wenn Herta sah, wie er sich verrenkte, um ohne Messer klarzukommen, ging ihr der Hut hoch. Sie nahm sich zusammen, versuchte ruhig zu bleiben, kam dennoch nicht umhin, ihm vorzuschlagen:

      „Ich würde es einmal mit einem Messer versuchen!“ Das war zu viel des Guten! Rudolf geriet außer sich.

      „Ich habe gelernt, mit Messer und Gabel umzugehen. Ein Messer benutzt man nur, wenn man Fleisch zu zerschneiden hat. Kein Fleisch, kein Messer!“ schrie er und war kaum zu beruhigen. Wutschnaubend düste er ab.

      „O.k.“ dachte Herta. „Wo er Recht hat, hat er Recht!“ Am nächsten Tag gab es Spaghetti, was für Rudolf eher die Ausnahme, als die Regel war. Er schwärmte nahezu in manischer Weise von Kartoffeln. Komischerweise schnitt er puppenlustig die langen Nudelfäden durch. Dazu musste er sich allerdings selbst um ein Schneidewerkzeug kümmern, denn kein Fleisch................................

      Zu Zeiten seiner Kindheit wurden ihm Speisen aufgezwungen, die er einfach nicht runterkriegen konnte. Ihm wurde der Teller so lange vorgesetzt, bis das Essen, Kohlrabi etwa, an dem Teller festklebte, wie vorverdaut aussah und nicht mehr genießbar war. Zwischendurch gab es natürlich nichts. Es sei denn, das Mädchen hätte vor lauter Mitleid dem ohnehin dürren Heranwachsenden, heimlich einen Bissen zugesteckt.

      Bei seinen beiden Kindern verstand Rudolf es kaum, dass sie essen durften, was ihnen schmeckte. Solchen Firlefanz gab es in seinem Elternhaus nicht. Der Vater, das wäre ja gelacht, hatte natürlich die Oberherrschaft. Kam er vom Amt, eilte ihm seine Angetraute mit angewärmten Pantoffeln an der Tür entgegen, um ihm die Puschen über seine knöchernen und stets kalten Füße zu stülpen. Sonntags schnitt der Herr Amtsrat den Braten auf und mit größter Selbstverständlichkeit jonglierte er das größte Stück auf seinen Teller. Erst dann reichte das Mädchen den anderen Familienmitgliedern das, was noch übrig geblieben war und ergatterte selbst meist nur noch ein winziges Stückchen, zu dem man fast eine Lupe gebraucht hätte, um es wahrnehmen zu können. Schmeckte Rudolfs Vater das Essen nicht, oder war ihm im Amt eine Laus über die Leber gelaufen, kippte er den ganzen „Salat“ unter Fluchen auf den Teppich, und scheute sich auch nicht, den nunmehr leeren Teller wie einen Diskus gegen die Wand zu schleudern. Einmal steuerte ein solches Geschoss auf die hübschhässliche „Idylle von Heiligenblut,“ einem Erbstück seiner verstorbenen Eltern, die sich womöglich im Grab herumgedreht haben würden, wären sie nicht eingeäschert worden.

      Auch Rudolf hatte nach einer Langmut von vielleicht drei Monaten in seiner jungen Ehe seinem Vater nachgeeifert und einmal einen Teller an die Wand geklatscht. Herta war zutiefst erschrocken, wäre aber eher gestorben, als dass sie den Teller aufgehoben hätte. Schließlich bückte Rudolf sich, sprang über seinen Schatten, weil es sonst niemand hätte für ihn tun wollen und beseitigte die Spuren seines unseligen geerbten Jähzorns.

      Ja der Jähzorn. Herta ging ihrem Rudolf gern aus dem Weg, obwohl sich im Lauf der vielen Jahre diese Charakterschwäche gelegt hatte, beinahe ganz verschwunden war, aber durch seine Pensionierung wieder aufzuflammen drohte.

      Wie sehr genoss sie es, sich im Kreis ihrer Freundinnen aussprechen zu können.

      Denen ging es auch nicht viel besser, nur dass sie einen erheblichen Vorsprung in Sachen Trouble mit ihren Pensionären hatten, wie schon erwähnt, Herta war die Jüngste. Sie wurde von den Damen nicht unbedingt wegen ihres Mannes an sich, aber um dessen anscheinend überdurchschnittliches technische Verständnis beneidet.

      VERFLIXTE TECHNIK

      Wie bei ihrem nächsten Treffen, an dem Herta zum besten gab, was Rudolf mit einer wie er behauptete, revolutionären Neuerung in ihrem Haus, mal wieder bewerkstelligt hatte.

      „Herta, du solltest dich nicht mehr so im Haushalt quälen, du bist ja nun auch nicht mehr die Jüngste!“ hatte er zu mir gesagt und erwähnte noch: „Ich habe mir etwas durch den Kopf gehen lassen!“

      „O Gott,“ habe ich gedacht, „welche Neuerung wird er dir jetzt wohl wieder antun?“

      Herta hatte sich so geduldig wie möglich, angehört, um was es ging. Sie nickte zustimmend, des lieben Friedens wegen, verstand aber leider wieder einmal nur Bahnhof. Rudolf machte sich also ans Werk. So nahmen die Dinge ihren verhängnisvollen Lauf!

      „Schellt seit dem in unserem Haus das Telefon mehr als dreimal, schaltet sich neuerdings der von mir besprochene Anrufbeantworter ein und belügt den Anrufer, niemand befände sich im Haus und man möge sich ihm anvertrauen,“ seufzte Herta.

      „Wie ihr alle wisst, Lügen liegen mir nun mal nicht,“ teilte sie augenzwinkernd ihren Freundinnen mit. Sie erklärte ihnen, ihr wäre nichts anderes übrig geblieben, als in drei, je nach Entfernung, auch manchmal in vier Sprüngen, zu versuchen, den Hörer noch vor dem vierten Klingelzeichen zu erreichen.

      „Mittlerweile bin ich so geübt, so dass ich locker mit einem Känguru konkurrieren könnte!“

      Gelächter ringsum. Herta geriet in Fahrt.

      Sie griff zu ihrem Sektglas, tat einen vollen Zug und berichtete weiter:

       „Läutet das verflixte Telefon mehr als dreimal, vernehme ich ein tiefes Brummen, als wenn ein brünstiger Bär mit mir anbändeln wollte. Mein verzweifeltes: Hallo, so melden Sie sich doch! bleibt ohne Wirkung, dafür springt aber unser Faxgerät an.

      Wisst ihr, ein weniger Versierter als Rudolf, würde einfach eine Weiche eingebaut haben, ließ ich mir sagen.