Heidi Hollmann

Der Debütant im Ruhestand


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Und „Es muss auch ohne gehen!“

      „Ein paar Tage später, ich hatte mich gerade dieser Neuerung angepasst, geschah wieder etwas, was mich fertig machte.

      Ich habe voller Frühlingsahnen unseren kleinen Garten begutachtet und war erstaunt, wie fleißig die Natur schon wieder in diesem Jahr war. Bei all dem Grünen und Blühen überfiel mich eine ungewohnte Heiterkeit. Die Luft wie Seide, dieser Blütenduft, ich kann euch sagen, mein Glücksgefühl schmiss mich fast um und auch das merkwürdige Rumpeln, das aus der Richtung unseres Wohnzimmers kam. Ich sah, dass sich unser alter Rollladen wie von Geisterhand mit ziemlicher Geschwindigkeit herab senkte.

      „Um Himmelswillen,“ schrie ich verzweifelt. Mir blieb nur noch der erprobte Känguruspurt!

      Die Türöffnung wurde kleiner und kleiner. Im allerletzten Augenblick stürzte ich im wahrsten Sinne des Wortes ins Zimmer. Ich landete schmerzhaft auf meinen Knien. Ringsum völlige Dunkelheit. Mit vorgestreckten Armen tastete ich mich voran, in Richtung Kamin, wo ich die Fernbedienung für den Dimmer vermutete.

      Sie lag Gott sei Dank griechisch-römisch an der Stelle, wofür ich diesmal Rudolf dankbar war. Mit zittrigen Händen betätigte ich die Tasten. Nach und nach flammten die Lampen auf und im gleichen Augenblick hörte ich, wie sich der Schlüssel im Schloss drehte.“

      Herta nahm noch einen kräftigen Schluck, ihr Gesicht rötete sich mehr und mehr.

      „Na ist mir die Überraschung gelungen?“ fragte Rudolf erwartungsvoll.

      „Das Leuchten in seinen Augen hättet ihr sehen sollen. Ich kann es euch nicht beschreiben!

      „Und ob“ konnte ich nur wahrheitsgetreu keuchen und war völlig am Ende mit meinen Nerven.

      „Ich habe dir einen Motor eingebaut, bist ja wirklich nicht mehr die Jüngste. Du sollst dich ab heute nicht mehr so mit dem Rollladen abplagen müssen! Und noch etwas, Ich habe sogar eine Zeitschaltuhr eingebaut! Da bist du sprachlos, was?“ hörte ich Rudolf frohlocken.

      „Ihr kennt mich, ich war tatsächlich sprachlos und ihr wisst, was das bei mir bedeutet!“

      Herta wurde von einer Hitzewelle überrumpelt, als sie den Rest ihrer Episode vom technischen Genie raus ließ.

      „Rudolf war ziemlich bepackt. Unter anderem hielt er zwei prall gefüllte Tragetaschen mit der Aufschrift „Dortmunder Baumarkt“ in den Händen. Ich habe geschockt nur noch denken können:

      „Welche revolutionäre Neuerung wird es demnächst wieder geben?“

      Solche und ähnliche Geschichten über ihr „Genie“ gab Herta gern zum besten. Auch betonte sie stets, ihre bessere Hälfte meine es ja nur gut!

      „Ich hab noch vergessen zu erwähnen, dass wir seit Rudolfs Pensionierung neuerdings einen „sprechenden“ Briefkasten haben!“ Die mollige Lotto meinte sich verhört zu haben.

      „Einen sprechender Briefkasten?“ fragte sie verdutzt.

      „In der Tat, sobald ein auch noch so leichtes Fitzelchen Papier eingeworfen wird, gibt das Ding Alarm, was mich schon einige Male fast zu Tode erschreckt hat!

      Rudolf muss wohl unter großer Langeweile leiden. Er hat es sich zur Gewohnheit gemacht, klammheimlich und mehrmals am Tag etwas in den Kasten zu werfen, der sofort zu plärren anfängt und mir den allerletzten Nerv raubt!“

      HOPPLA HOPP

      Wenn Rudolf abgelenkt sein würde, seinem Tag wieder Struktur zu geben vermochte und somit unsinnig oder nicht, Beschäftigung fände, würde alle Unbill, die vor allem auf ihre Kappe ging, vergehen, so hoffte Herta jedenfalls.

      Sie und er waren schon immer von starken Gegensätzen geprägt. Deshalb war der Bestand dieser Ehe Eingeweihten ein Rätsel. In ihrem Umkreis gab es Scheidungen wie Sand am Meer bei Leuten, die an sich ganz manierlich miteinander umgegangen waren.

      „Gegensätze ziehen sich an,“ wie der Volksmund sagt, in ihrer beider Fall schien das zu stimmen. Allerdings bestätigt die Ausnahme die Regel, wobei sie wohl die Ausnahme waren.

      Viele Ehen waren aus vielschichtigen Gründen gescheitert. Kaum aufzuzählen. Die Witwenschaft hatten nur wenige Frauen erreicht, deren Männer zu Staub zerfallen waren, der Rest hatte sich aus dem Staub gemacht.

      Man wunderte sich deshalb, dass gerade diese beiden Menschenkinder, die so extrem unterschiedlich in allem möglichen waren, überhaupt miteinander konnten. Sie konnten offensichtlich, wie die langjährige Ehe bewies.

      „In drei Jahren könnten wir, wenn nicht der Teufel einen von uns beiden schon vorher holen wird, die Goldene feiern,“ gab Herta mit einem Seufzer, aber nicht ohne Stolz von sich, wobei sie stets mit der Bewunderung ihrer Freundinnen rechnen konnte.

      Rudolf war ziemlich kompliziert, wie sie fanden. Keine von ihnen wäre mit ihm auf Dauer ausgekommen, waren sie sich einig. Das banden sie aber der Herta nicht auf die Nase.

      Erst neununddreißigjährig war Herta Großmutter geworden und ihr Mann mit seinen vierundvierzig Jährchen ein noch jugendlicher Opa, was zu ihrer Zeit fast einer kleinen Sensation gleich kam.

      Genauso sensationell und dazu auch noch ehrenrührig war es zu ihrer Zeit gewesen, mit gerade mal achtzehn Jährchen, Mutter zu werden. Hertas eigene Mutter hatte sich nach der „Offenbarung“ und dem gemeinsamen sonntäglichen Mittagessen, das ihre unselige Tochter wieder „ausgespuckt“ hatte, aufs Sofa geschleppt. „Das überlebe ich nicht,“ hauchte sie und wartete liegend auf ihren Tod. Diese Schmach!

      „Was werden die Leute dazu sagen,“ war ihre bange Frage und ihr einziger Kommentar, nachdem ihr bewusst wurde, überlebt zu haben.

      Natürlich wurde hoppla hopp geheiratet, was soviel hieß wie: Mit Rückenwind! Schließlich war Rudolf ein Mann, ein Ehrenmann. Gerade diejenige, die den Schock überlebt hatte, ließ diesem ersten Enkel später alles durchgehen, was ihm überhaupt nicht gut bekam. Als der kleine Knirps um die zwei Jahre alt war, meinte seine Großmutter unvermittelt eines Tages in ihrem rheinischen Dialekt:

      „Ich mach nit mehr lang!“ was auch immer sie darunter verstand. Dieser Enkel hat die Fünfzig bereits überschritten und seine Oma erfreut sich bis auf wenige Zipperlein immer noch bester Gesundheit. Lang ist ein relativer Begriff. Aber das Getue mit dem erstgeborenen Enkel war keineswegs relativ. Herta dachte gar nicht gern an die vielen Eskapaden zurück. Eine in den Enkel vernarrte Großmutter ist schlimmer als ein Erdbeben der Stärke Sieben der nach der oben offenen Richter Skala, stellte sie immer wieder fest.

      DIE NICHSNUTZE

      Rudolf war ein Eigenbrötler geblieben. Erst recht nach seinem beruflichen Ausscheiden. Er tüftelte weiter an revolutionären Neuerungen an ihrem gemeinsamen kleinen Reihenhaus.

      Seine beiden Katzen beschäftigten ihn mindestens so, wie seine technischen Dinge. Neben Freude machten sie ihm viel Arbeit und bereiteten ihm auch so manchen Kummer. Auf jeder Etage standen für die hohen Herrschaften Schüsseln aufdrapiert, wie bei reichen Leuten chinesische Mingh-Vasen. Seine Lieblinge konnten nach Herzenslust ihre Exkremente dort hineinpurzeln lassen, ganz nach Belieben. Sie hatten die freie Auswahl! Gefiel es ihnen im Parterre nicht, hatten sie noch weitere Möglichkeiten auf der ersten Etage und wenn es genehm war, auch noch unter dem Dach ihre Duftwolken verströmen zu lassen.

      Neuerdings begann sich ihre Verdauung mit ziemlicher Regelmäßigkeit um fünf Uhr morgens zu regen. Mit anhaltendem scharren wurde diese Prozedur eröffnet. Herta nahm sie im Halbschlaf wahr. Den Langschläfer Rudolf trieb der bestialische Geruch aus den Federn. Er sprang auf, was für einen Morgenmuffel ein hartes Geschäft ist. Flugs beseitigte er das, was ihm Übelkeit verursachte. Herta duselte wieder ein und wusste, gleich wird sich der Geruch verflüchtigen. Jeden Morgen dasselbe Spielchen. Sie wunderte sich über Rudolfs Geduld, aber was blieb ihm anders übrig? Er war nicht unbedingt