Carsten Hoop

Caspar rund das Meer spricht Englisch


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unserem Schiff, als ob sie ein Weltwunder zu bestaunen hätten. Sie hatten mit großer Sicherheit noch nie einen so hässlich angestrichenen Walfänger gesehen. Der Hafenmeister gab das Schiff frei und wies uns einen Platz im Hafen zu, wo die begehrte Fracht in Zeiten des Mangels gelöscht werden konnte. Wir legten also wieder ab und nur langsam löste sich die Versammlung der Neugierigen und Taugenichtse auf der Brücke auf. Peter hatte einen Laufburschen zur Company geschickt. Einer von vielen, die hier für ein Trinkgeld auf Botengänge warteten. Doch oftmals erreichte die Nachricht unserer Ankunft den Handelspartner schon vorher.

      Kurz darauf erschien der Importeur der Fishbones, Mister Benjamin Smith. Ein stattlicher Herr um die 50, mit langen grauen Koteletten und einem strengen Ziegenbart, der seine ernsten Wesenszüge unterstrich.

      „Endlich lerne ich einen der Söhne meines Freundes Mortimer kennen. Herzlich willkommen in Amerika! Du müsstest der geschäftige Peter sein, wenn ich es noch richtig in Erinnerung habe.“

      „Ja, der bin ich. Auch mich freut es außerordentlich hier sein zu dürfen, Mister Smith!“, antwortete er mit freudiger Begeisterung. Peter stellte uns vor, während die restliche Mannschaft ins nahe Quartierhaus für Seeleute zog. Das ungewöhnliche Schiff sorgte auch bei Benjamin Smith für leichte Verwirrung, sodass Peter schnell alles aufklärte, was er zu diesem Zeitpunkt für notwendig erachtete. Nicht ohne eine Einladung zum Abendessen bei Familie Smith verließen wir die Hafenanlagen von Boston. Peter hatte das Privileg, als Gast bei Mister Smith wohnen zu dürfen. Schon bald würden wir auf der Weiterreise nicht sehr komfortabel untergebracht sein, da wäre eine Ablehnung von Peter schon deshalb töricht gewesen. Zudem diente sie nicht der Förderung der wichtigen Amerikakontakte, die es galt weiter auszubauen und in die nächste Generation zu tragen.

      Wie nach einer Atlantiküberquerung in Bostons Handelshäusern üblich, wurde die Führungsmannschaft mit einem Festessen von der Familie Smith verwöhnt. Leicht irritiert lernten Peter Fishbone, Kapitän Broder, mein Bruder Hinrich, Jan Behrens und ich die ausführlichen Tischgebete der Puritaner kennen, die strengen Regeln unterlagen. Peter hatte uns auf die Eigenarten englischer Kolonisten, die der reformierten englischen Kirche angehörten, hingewiesen. Ihre Art der Religionsauslegung bestimmte kompromisslos ihr gesamtes Leben. Grundsätzlich war für die Puritaner, die die Bibel wörtlich nahmen, jeder Mensch verdorben. Zeit seines Lebens musste er gegen das Höllenfeuer ankämpfen, indem unbedingte Frömmigkeit oberstes Gebot auf dem Weg zum guten Menschen unerlässlich war. Die dadurch gebotene Lebensart machte sie misstrauisch, weil sie hinter jeder weltlichen Begebenheit den wahrhaftigen Teufel vermuteten, der sie auf ihrem Weg zu Gottes Auserwählten abfangen wollte. Nicht gerade die besten Voraussetzungen fremde Handelspartner aus Übersee zu bewirten. So mochte wohl Smith seine Arbeit als schwere Prüfung im Kampf gegen das Böse verstanden wissen.

      Benjamins Frau, sowie deren fünf Kinder nahmen ebenfalls am Schmaus teil. Die strengen Zöpfe der fast erwachsenen drei Töchter, ihre Demutshaltung und die scheuen Blicke beherrschten meinen ersten Eindruck im Hause unseres Gastgebers. Der eigenwillige Bart des Importeurs Smith bildete sozusagen das männliche Pendant zu den Zöpfen der Kinder. Erst nach dem Essen, das nach einer langen Seefahrt keine Wünsche offen ließ, war eine ausführliche Unterhaltung im Arbeitszimmer Benjamins gewünscht. Wir hielten die Spielregeln ein. Sie führten uns vor Augen, wo wir selbst standen. Es konnte Menschen nicht schaden, ab und zu einen Spiegel vorgesetzt zu bekommen. Nachdem der Hausherr unsere ganze Geschichte inklusive unseres Anliegens gehört hatte, erhofften wir offene Worte des Wohlwollens von Mr. Smith zuhören. Jedoch nach einer Weile des Schweigens, sagte er nur barsch mit nachdenklicher Miene:

      „Wir haben keine eigenen Schiffe, meine Herren. Wir sind keine Reeder!“

      „Kennen Sie denn jemanden?“, fragte Peter kurzum und Smith guckte böse.

      „Allerdings denke ich, ihr könntet auf einem Schiff meines Freundes James Dwight euer abenteuerliches Vorhaben angehen. Das zu organisieren wäre nicht schwierig, vorausgesetzt James ist einverstanden.“

      „Wieso wäre es nicht schwierig - in diesen Zeiten - Mr. Smith?“, wollte ich wissen.

      „Dazu kommen wir noch, junger Herr! Ich wüsste nur nicht, wie es für Sie weitergehen könnte. Schauen wir einmal auf die Karte.“ Mister Smith holte eine Amerikakarte hervor, die anders aussah, als die mir bekannten französischen Karten. Nach intensivem Studium hatte ich des Rätsels Lösung gefunden; die dreizehn Neuengland-Kolonien waren im Verhältnis größer eingezeichnet, als die französischen Besitzungen der Nachbarschaft. Oder meinetwegen auch umgekehrt. Die Neufrankreichkarten waren größer auf den französischen Karten eingezeichnet. Die beiden europäischen Mächte hatten sich wie Pfauen aufgeplustert, um den jeweils anderen zu imponieren. Kein Wunder dachte ich, dass uns damals die Landkarten so oft im Stich ließen! Mr. Smith fuhr fort:

      „Ihr habt zwei Möglichkeiten: Zu Massachusetts gehört das nordöstlich gelegene Maine. Seht, hier oben.“ Er zeigte auf eine kleine Stadt der nördlichen Ostküste.

      „Von Portland in Maine mit Schiffen den Kennebecfluss nach Norden. Vielleicht könnt ihr am Kennebec im Fort Western oder weiter oberhalb im Fort Halifax, kurz vor der Grenze am Mount Mégantic, versorgt werden. Dort kann man von Waldläufern oder Pelzhändlern Kanus erwerben. Es gibt dort eine kleine Garnison. Über den Mégantic-Pass der Appalachen geht es weiter Richtung Norden zum Sankt Lorenz Tal nach Quebec. Der Chaudière River führt, wie ihr auf der Karte sehen könnt, zum Sankt Lorenz und mündet dort als großer Wasserfall in den großen Strom. An seinem Unterlauf ist der Fluss von Franzosen besiedelt. Bis dahin sind es von der Mündung des Kennebec in den Atlantik ungefähr 230 Meilen. Nach eurem Maß sind es ungefähr 370 Kilometer. Nun zur zweiten Möglichkeit: mit dem Schiff nach New York und von da aus den Hudson River hoch nach Albany. Dieser Weg hätte den Vorteil, dass ihr in Albany erfahrene Männer findet, die euch in das Gebiet führen könnten. Obwohl über Albany eine längere Strecke zu segeln ist. Mein Freund James Dwight fährt beide Strecken, sowohl nach Portland, als auch nach Albany über New York. Was soll ich ihm sagen?“

      Peter und ich schauten nochmals auf die Karte. Plötzlich hatte Smith es sehr eilig. Fast schon beinahe seltsam mit anzuschauen wie seine aufgesetzte Freundlichkeit und seine ungehörige Ruppigkeit harmonierten. Hing von unserer Entscheidung doch eine Menge ab. Hinrich, Jan und Kapitän Broder hielten sich heraus, guckten aber etwas wunderlich. Es ging hier eben nicht um den anstehenden Walfang mit der Konstanze, den sie zu bewältigen hatten.

      „Gibt es zwischen Portland und dem Oberlauf des Kennebec keine weitere Stadt, die mit Albany vergleichbar wäre?“, fragte ich Mister Smith.

      „Eine äußerst gute Frage, Mr. Kock. Sie haben genau die Lücke in meinen Erläuterungen gefunden! Die Antwort ist: vielleicht! In den Forts Western und Halifax werdet ihr auch Männer finden, die euch weiter helfen können. Die Standorte sind jeweils noch im Aufbau beziehungsweise im Wiederaufbau. Wo gestern drei Holzhäuser standen, können es morgen schon sechs sein. Vor Ort gibt es kleine Nester mit Handelsniederlassungen der Boston-Company, die aber auf der Karte nicht eingezeichnet sind. Bevor ich es vergesse, sollten wir noch über einen anderen wesentlichen Punkt sprechen. So wie sie sagen, wäre es denkbar, dass die Gruppe um ihren Cousin von Indianern entführt worden ist.“

      „Ja, anders ist es nicht zu deuten, was wir von der Mannschaft der Konstanze erfuhren“, bestätigte ich.

      „Dann werden die Irokesen wahrscheinlich dafür verantwortlich sein. Sie streifen oftmals durch die französischen Siedlungsgebiete am Chaudière River entlang. So wie die Verbündeten der Franzosen, die Abenaki, im Gegenzug bei uns Terror und Schrecken verbreiten. Jedoch liegt das Stammesgebiet der Mohawks, dem östlichsten Irokesenstamm, ursprünglich weiter westlich im Mohawk Tal, sehen sie hier auf der Karte. In der Gegend um Albany eben. Vielleicht wäre es deshalb sinnvoller gleich in Albany mit der Suche anzufangen, verstehen sie?“

      „Es ist vernehmlich, was sie meinen, Sir. Kommt es denn oft vor, dass die Indianer Weiße verschleppen?“, wollte Peter wissen.

      „Ja, leider häufig. Zwei Cousins von mir wurden vor drei Jahren in den Bergen entführt. Traditionell füllen die Indianer ihre eigenen Reihen, die vorher im Kampf gefallen waren mit ausgesuchten Kindern oder besonders tapfer kämpfenden