Carsten Hoop

Caspar rund das Meer spricht Englisch


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zur Konversation.

      „Wissen sie denn nicht, welche Gefahren in den Bergen lauern, Arian? Die Wilden skalpieren alle, die von Süden über die Pässe der Bergkette kommen!“

      „Nun mach aber mal einen Punkt, Henrietta! Die Wilden hinter der Bergkette unterscheiden sich von denen vor der Bergkette nur dadurch, dass die Einen mit uns verbündet sind und die anderen nicht! Mister Kock ist bereits quer durch Amerika gereist und hat noch sämtliche Haare auf dem Kopf, oder vielleicht nicht?“ In dem Moment bereute Benjamin Smith endgültig, die bewährten Tischsitten gelockert zu haben. Sein sich verdunkelnder Gesichtsausdruck ließ keine andere Schlussfolgerung zu. Henrietta Smith verstummte leider, obwohl ihre Mimik den nächsten Satz verriet, den sie parat in der Vorbereitung hatte. Bedauernswerte Stille breitete sich stattdessen am Tisch aus und ich überlegte, ob ich nun noch aus anderen Bereichen des Lebens von der Familie unzensierte Antworten erhalten würde. Doch soeben hatte der Hausherr mit nur einem brummigen Knurren die alte Tischordnung wieder hergestellt. Mit dürftiger Authentizität unserer Gastgeber war im weiteren Verlauf des restlichen Abends zu rechnen.

      Die jüngste Tochter Jannis errötete, als Arian sie unverblümt lange anschaute. Jannis saß Arian direkt am Tisch gegenüber und hatte keine großen Chancen seinem neugierigen Blick auszuweichen. Eine viel zu große Kopfhaube aus weißen Leinen mit Spitzen verdeckte ihr zartes Antlitz, wie die ledernen Scheuklappen eines Zugpferdes. Ihre Eltern konnten durch die Sichteinschränkungen der Haube keinen Verdacht schöpfen. Schon bald senkte sie ihren Blick als letzten Ausweg, um dann doch noch einmal kurz zu schauen, ob Arian ihr gegenüber standhaft geblieben war. Dann wurde das kurzweilige Schauspiel abrupt unterbrochen. Hannes hatte Arian einen kräftigen Tritt unter dem Tisch verabreicht, der einerseits berechtigt, aber andererseits meiner Neugierde die Nahrung entzog. Letztlich hatte Arian seine gerechte Strafe erhalten, denn Jannis hatte sich die Zwänge der strengen Erziehung nicht ausgesucht und konnte nur als Verliererin dastehen. Aber dennoch schien sie an Arian nicht uninteressiert zu sein.

      Der Gastgeber bat uns abschließend in den Salon, seine Stimmung stieg nun zusehends. Er wollte den Abend in Eintracht mit seinen weit gereisten Gästen verbringen, ohne uns mit Widrigkeiten zu konfrontieren. Seine Frau und die Kinder verschwanden lautlos in den Wirtschaftsräumen des großen Hauses, als ob sie gar nicht da gewesen wären.

      Am nächsten Morgen verließen wir mit dem Segler Adventure den Bostoner Hafen. Beladen mit Gerätschaften, Saatgut und Lebensmitteln für den Außenposten Fort Western am Kennebecfluss, unserem ersten Ziel auf der Suche nach Jacob, irgendwo in der Wildnis Richtung Nord-Nordost.

      Wir segelten entlang der schroffen felsigen Ostküste, die mich eher an die Azoren, als an das Amerika erinnerte, was ich vorhergesehen hatte. Der Eigner und Kapitän Mister Dwight war ein bärbeißiger Mann in den besten Jahren. Schweigsam stand er am Steuer seines Schiffes und ich hatte den Eindruck, dass er die Begegnung mit uns rein geschäftlich verstand. Schließlich sollte er uns nur ins Kennebectal bringen. Es war zu viel verlangt, von jedermann mit offenen Armen empfangen und mit bedingungsloser Wissbegier und Herzblut erdrückt zu werden. Es war Krieg in diesem Land. Wenn auch noch nichts davon zu merken war, außer der Militärpräsenz der Rotröcke in der Stadt wie die Indianer die Briten vornehmlich nannten. Entscheidend für den weiteren Verlauf der Expedition nannte uns Mr. Dwight den Namen des Mannes, den wir im Fort Western für unsere Belange ansprechen konnten. Peter, Hannes, Arian und ich standen gespannt um das Steuerrad der Adventure herum und horchten den Ausführungen, mit der sich der gleichgültig wirkende Kapitän viel Zeit ließ. Dann aber zweifelsohne erstaunliche Sätze formulierte:

      „Sein Name ist Ernest Mansfield. Er hält sich als einer jener Pioniere dort auf, die als Wegbereiter der Zivilisation am Kennebec River anzusehen sind. Hin und her gerissen, zwischen Rot und Weiß, kennt man ihn im ganzen Tal des mächtigen Stromes. Sein Vater Jonathan Mansfield war der erste Weiße, der dort eine Handelsstation aufbaute und freundschaftlichen Kontakt mit den beheimateten Abenaki-Stämmen pflegte. Schon bald nach Gründung des Standortes verliebte er sich in eine der bronzefarbenen Schönheiten, die die Wilden zweifelsohne vorweisen können. Sie halfen beim Aufbau der Handelsstation, in der Hoffnung in Frieden leben zu können. Was blieb ihnen auch anderes übrig? Jonathan Mansfield brachte mit der Indianerin namens Sally-the-sun vom Stamm der Cussenock-Indianer den Sohn Ernest Mansfield, dem späteren Grenzgänger der Kulturen, hervor. Ernest oder auch Nightowl, so wie er im Kennebec Tal später ehrfürchtig genannt wurde, bringt euch vielleicht sogar selbst sicher über die Berge nach Kanada. Er ist der Mann für alles: Händler, Fallensteller, Pelzhändler, Fährtenleser, Postkurier und Kundschafter. Alles in einer Person!“

      „Mr. Dwight, was meinen Sie mit Grenzgänger der Kulturen?“, wollten wir zwar alle wissen, doch Hannes, der gelassen seinen grauen dünnen Pferdeschwanz verknotete, traute sich prompt mit seinem gereiften Selbstbewusstsein als Ältester von uns diese Frage zu stellen. Sein Englisch hatte sich beeindruckend entwickelt, sodass er uns allein deshalb überraschte.

      „Ein Halbblut hat halb weiße - halb rote Hautfarbe. Ein Halbblut ist, zumindest theoretisch, teils in der christlichen, wie andernteils in der indianischen Welt zuhause. So einfach ist das. Der arme Kerl kann ja nichts dafür!“ Verdutzt schauten wir uns an. Hatte Mr. Dwight Mitleid mit Mr. Mansfield, weil er ein Mischling war oder was meinte er?

      „Ist er denn nicht reich an übergreifendem Wissen, kulturellem Bewusstsein und reichhaltigen Erfahrungen? Könnte er nicht Missverständnisse ausräumen?“, fragte ich Kapitän Dwight vorsichtig, der mich nicht verstanden hatte oder nicht verstehen wollte.

      „Kann er denn nicht viel zur friedlichen Verständigung beider Völker und Lebensformen beitragen?“, formulierte ich den Satz um.

      „Frieden wird es mit denen nie geben, Fremder! Und Mansfield wird eher das Problem haben, dass ihn niemand als halber Mensch akzeptiert, sondern er eben nur wegen seiner beruflichen Fähigkeiten zu Recht kommt!“, entgegnete Mr. Dwight zielsicher und blickte gleichzeitig selbstzufrieden über das Steuerrad der Adventure, als hätte er die Welt als einziger verstanden. Wurde er doch soeben in seinem seichten Umgang mit uns bestätigt, nämlich, das eine tief greifende Unterhaltung über das Land und die Leute mit diesen Fremden, also uns, sinnlos sei. Wir guckten uns an und hatten verstanden. Wenig später hörte Peter einer merkwürdigen Unterhaltung zwischen dem Kapitän und seinem Bootsmann zu. Piet hatte den Kapitän ablösen wollen. Kurzum fragte James Dwight ihn hinter vorgehaltener Hand. Ganz so wie kleine Kinder, die sich vor anderen interessant machen wollen. Dann brüllte er doch los, um gegen denn heulenden Wind, der in der Takelage der Adventure tanzte, gegen anzukommen.

      „Sind die Ketzer aus Europa weit genug von der Ladung entfernt? Die müssen nicht alles sehen, was wir dabei haben!“

      „Wieso sind es Ketzer, Kapitän. Sie sind doch keine katholischen Bastarde?“, sagte der Bootsmann verdutzt und James Dwight antwortete erneut in seinem speziellen Flüsterton, der alles andere als leise war.

      „Sie sind fast noch schlimmer als die scheinheiligen Franzosen, denn sie haben gar keine Moral und glauben an nichts. Ich glaube auch nicht, dass sie in weiter Ferne ein Familienmitglied suchen. Vielleicht wollen sie unsere Truppenstärke am Kennebec ausspähen, wer weiß das schon? Wie soll ich ihnen da den Rücken zudrehen?“

      Wir waren einen Moment sprachlos und schockiert.

      „Würde der knochige Kapitän trotzdem sein Versprechen einhalten oder hatte er vor, uns irgendwo über Bord zu schmeißen?“, fragte Hannes und traf damit den Kern unserer Befürchtungen.

      „Eigentlich müsste er doch seinem Freund Mr. Smith trauen, oder?“, meinte ich enttäuscht.

      „Komisches Volk, diese Puritaner!“, beschwerte sich Hannes, „aber wir wollen hier sowieso keine Wurzeln schlagen, stimmt es?“

      „Sie haben sich ihre kleine böse Welt aufgebaut und die Aufgeschlossenheit zivilisierter Leute abgelegt. Vielleicht sind sie zu viel alleine in der Wildnis!“, fügte Peter an und Arian nickte zustimmend.

      „Die Besatzung der Adventure könnte uns auch für Saboteure halten, schließlich ist Krieg in Amerika! Also, lasst uns weiter geduldig unsere Aufgabe verfolgen und uns nicht weiter darum kümmern. Dann