Alexander L. Cues

Die Ketzer von Antiochia


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wenn der Kyrios wiederkommt, auch die Könige und Propheten, die Gott seinem Volk geschenkt hat.“ „Hat der Ewige seinen Bund mit Abraham gemacht oder mit eurem Gesalbten?“ „Es ist derselbe Bund. Er hat seinen Geist ausgegossen über alles Fleisch.“ Der Onkel war entrüstet: „Ihr nehmt für euch in Anspruch, was euch nicht gehört. Gott wird euch strafen dafür, dass ihr die Tora in die Hände der Götzenanbeter gebt.“ Damit war das Gespräch mit Jakob ben Zakkai beendet. Für Menachem war es vorerst die letzte Begegnung mit ihm, da dieser sich auch geweigert hatte, der für ihn unrechten Hochzeit beizuwohnen. Mit einer Mischung aus Trauer und Zorn berichtete er seiner Mutter von dem Gespräch mit dem Onkel. Diese teilte seine Gefühle und Empfindungen, was für Menachem sehr wichtig war: „Wie kann er nur die Menschen einteilen in solche, die erwählt sind, und solche, die er für verfluchte Götzendiener hält? Er kennt Berenike nicht einmal! Da ist viel Neid dabei, wenn er so redet. Du solltest dich davon nicht irre machen lassen. Dein Vater wäre stolz auf dich, da bin ich mir ganz sicher.“ So von seiner Mutter bestärkt, kehrte er zurück zu Berenike, um die Hochzeit zu planen. Es war gar nicht so einfach, die Gästeliste zu erstellen. Angesichts der Stellung Menachems in der Gesellschaft Antiochias mussten viele bedacht werden, die ihnen nicht nahestanden, aber wichtige, einflussreiche Persönlichkeiten waren. Sie baten deshalb Euodius, ihnen bei der Auswahl der Gäste behilflich zu sein. Als das erledigt war, konnten sie daran gehen, den Ablauf der Trauzeremonie zu planen: „Wir brauchen zwei Zeugen, die bei der Übergabe des Ehevertrages anwesend sind. Ich möchte gern Lavinia danach fragen,“ meinte die junge Braut. Euodius aber riet ihnen, davon Abstand zu nehmen, eine Freigelassene zur Zeugin zu machen, weil Menachems Stand das nicht zuließe. So baten sie Silvia und Simon um diesen Dienst. Mit ihrem Ehevertrag, der angesichts der Stellung Menachems üblich war, regelten die Brautleute die Anteile des Vermögens für beide, aber auch die Möglichkeiten von Scheidung und Rückkehr der Braut in ihre eigene Familie. Es traf sich gut, dass sie in diesen Tagen durch Vermittlung des Schiffbauers Philo aus Seleukia drei Sklavinnen kaufen konnten, die sich von nun an zusammen mit Apollonios und Meleagros um Haus und Garten kümmerten. Am Abend vor ihrer Hochzeit trafen sich die Eheleute im Atrium des neuen Hauses und freuten sich auf ihren großen Tag, der nun nach all den Verschiebungen endlich gekommen war: „Wir werden viele Gäste begrüßen müssen, auch solche, die wir gar nicht kennen,“ meinte Menachem. „Ich fürchte mich ein wenig vor den vielen Menschen,“ erwiderte Berenike. Menachem machte ihr Mut: „Du wirst sie alle für dich einnehmen. Ich bin stolz und glücklich, meine schöne junge Frau an meiner Seite zu haben.“ Er hatte die richtigen Worte gefunden, denn sie antwortete: „Ich kann mein Glück nicht fassen. Der Baumeister der großen Stadt Antiochia ist mein Geliebter. Der Höchste segnet uns nach einer Zeit des Unglücks. “ Das Haus war an dem großen Tag prächtig hergerichtet und alles gut vorbereitet für das Fest. Die Hochzeit fand in Anwesenheit der Familien Menachems und Berenikes, des Legaten Ummidius und zahlreicher Adliger und Ratsmitglieder statt, aber auch viele Freundinnen und Freunde des Brautpaares nahmen teil. Aus der Gemeinde der Christusgläubigen hatten sich Simon, Silvia und Deborah, die Prophetin, eingefunden. Zu Beginn der Zeremonie zahlte Menachem nach alter Sitte einen Brautpreis von fünfzig Goldstücken an Alexander, seinen neuen Schwager. Der übergab daraufhin seine Schwester Berenike der Schwiegermutter Rahel, die sie ihrem Sohn zuführte. Nachdem sie sich das Heiratsversprechen gegeben hatten, überreichte Menachem seiner jungen Frau Berenike den Ehevertrag und sprach einen Segen: „Gott, wir bitten dich um deinen Segen für unser Haus und für alle, die darin leben werden. Frieden soll zwischen seinen Wänden wohnen und Freude soll zu hören sein hinaus durch die Fenster. Dein Friede beschütze dieses Haus.“ Nach jüdischer Sitte zertrat der Bräutigam einen Becher, was von allen Gästen mit großem Jubel beantwortet wurde. Jetzt galten beide nach der Lex Iulia des Kaisers Augustus als ein Ehepaar. Die Gäste zeigten sich angerührt vom Glück des jungen Paares und bezeugten durch großzügige Geschenke ihre Sympathie und Verbundenheit. Überwunden schien die Not, die das Erdbeben der Stadt und ihren Menschen zugefügt hatte. Für Menachem und Berenike hatte nun endgültig eine neue Zeit begonnen, die sie schon so lange herbeigesehnt hatten. Im Atrium ihres Hauses veranstalteten sie danach ein Gastmahl mit den leckersten Köstlichkeiten der Region, das von vortrefflichen musikalischen und komödiantischen Darstellungen eingerahmt wurde und bis in den frühen Morgen dauerte. Die Gäste waren begeistert von den Darbietungen der Tänzerinnen und Schauspieler, die sie im Garten genießen konnten. Auch der Untersuchungsrichter Antigonos gehörte zu ihren Gästen. Er bat Simon und Alexander um eine Unterredung einige Tage später: „Es besteht kein Anlass, dass ihr Euch Sorgen macht. Ich bitte Euch um ein vertrauliches Gespräch, das mit meiner Tätigkeit als Richter nichts zu tun hat.“ Die beiden Männer waren erstaunt und versprachen Geheimhaltung. Was konnte das bedeuten? Ob der Magistrat nun doch neue Untersuchungen gegen Gruppen wie ihre angeordnet hatte? Jedenfalls gab es in jüngster Zeit Gerüchte in der Stadt, wonach die Behörden gegen Gruppen ermittelten, die die bevorstehenden Saturnalien missbrauchen wollten, indem sie durch übermäßigen Weinkonsum die öffentliche Ordnung störten. Auch den Christianern schrieb man solche Praktiken zu, aber konnte das der Grund für die Einladung des Untersuchungsrichters sein? Wollte er sie warnen oder drohte ihnen bereits eine Strafe? Derart verunsichert suchten Simon und Alexander den Richter einige Tage später in seinem Privathaus auf. Sie waren jedoch äußerst erstaunt, auf einen Mann zu stoßen, der sich sichtlich beeindruckt zeigte von der Lebensweise und vom Glauben der Christusanhänger und mehr darüber erfahren wollte: „Ich habe mich an den Glauben meiner Väter gehalten, an die Philosophie der Tugend und der Mäßigung. Den Göttern habe ich gegeben, was ihnen zustand. Eigentlich aber kann ich auf sie verzichten. Ihr verehrt nur einen Gott, den ihr den Ewigen nennt. Aber was ist mit eurem Kyrios, dessen Wiederkunft ihr erwartet? Was gibt er euch?“ Simon antwortete mit bewegter Stimme: „Wir halten uns an ihn, weil er der wahre Mensch Gottes war, Fleisch und Blut wie wir. Er fühlte und litt wie das Menschengeschlecht. Darum ist es gut, dass er uns nahe ist.“ „Und woher nehmt ihr die Gewissheit, dass er nicht ein Dämon, ein Verführer und ein Gaukler war?“ Alexander antwortete: „Er war ein Judäer, und darum finden wir in ihren heiligen Schriften die Hinweise auf ihn. Ihre Propheten haben die Hoffnung auf sein Kommen aufrechterhalten. So der Prophet Jeremia, wenn er spricht: In jenen Tagen und zu jener Zeit will ich dem David einen gerechten Spross erwecken.“ „Aber ich gehöre nicht zum Volk der Judäer. Wie kann ich teilhaben an solchen Verheißungen?“ fragte der Richter. „Wir sind durch die Taufe zu einem neuen Volk aus Judäern und Heiden geworden,“ meinte Simon, „in jedem Volk, wer ihn fürchtet und recht tut, der ist ihm angenehm.“ Antigonos, der Richter, gab ihnen zu verstehen, dass er in ihrem Glauben viel Gutes sehen könne – wenn es doch eine Möglichkeit gäbe, das Opfer für den Kaiser auch als Christusgläubiger zu vollziehen. „Wir stehen dem Kaiser bei durch unsere Gebete,“ sagte Alexander, „ein Opfer aber können wir ihm nicht bringen, weil die Ehre der Anbetung allein dem gehört, der Himmel und Erde geschaffen hat.“ Es war nicht zu übersehen, dass der Richter Sympathien hegte für ihre Überzeugungen: „Ich weiß, dass ihr den Menschen dieser Stadt Gutes tut. Ich würde gern einer von euch werden, allein mein Amt macht es mir unmöglich, dem Princeps das Opfer zu verweigern.“ Damit schieden sie im Wissen voneinander, dass sie einen Glauben teilten, der in dieser Welt andere Opfer verlangte.

      XVII In der Folgezeit bis zum Jahre 63wuchs die Bevölkerung Antiochias stark. Eine Ursache dafür war der Zuzug der Legio Fulminata, die ihr Feldlager vorläufig außerhalb der Stadt am Osttor aufgeschlagen hatte. Der Legat betrieb im Sinne des Imperiums auch den Zuzug von Menschen aus der ganzen Provinz Syria, aus Asia minor, aus Iudaea und Nordafrika. Sein Ziel war, die Zahl der Bewohner auf dreihunderttausend zu erhöhen. Mittlerweile drängten sich viele Menschen in den knapp werdenden Wohnungen der neu errichteten Insulae, da sie sich vom Leben in der Stadt Arbeit und Broterwerb erhofft hatten, aber oftmals enttäuscht wurden. Manche waren Handwerker oder betrieben einen kleinen Handel, was ihnen zumindest ein regelmäßiges Auskommen sicherte. Die meisten jedoch waren in ihrer Heimat Kleinbauern und mussten sich jetzt als Tagelöhner verdingen, was aufgrund ihrer hohen Zahl zu immer niedrigerer Bezahlung führte. Die Einheimischen empfingen sie zudem keineswegs mit Freundlichkeit, mussten sie doch die Konkurrenz der Zuzügler fürchten. Mit den neuen Bewohnern nahmen die Probleme in der Stadt sichtlich zu.