Ernst Meder

Gegen die Vergangenheit


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Leute zu verhaften, um sie dann in eines der Konzentrationslager zu bringen.

      Wir hatten die Dimension dessen, was auf uns noch zukommen sollte, nicht erfassen können, den Warnungen nicht geglaubt, wir konnten uns nicht vorstellen, wozu Menschen fähig sein würden.

      Als sie damals begonnen hatten die Bücher zu verbrennen, die nicht in ihr Weltbild passten, da war mir ein Zitat von Heinrich Heine eingefallen. "Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen", aber geglaubt hat es damals niemand.

      Die Enge unserer Wohnung störte mich nicht, wir waren verliebt, wir brauchten nicht viel Platz, um glücklich zu sein, wir fühlten uns sowieso immer zueinander hingezogen. Ephraim hatte in seinem Privatlabor begonnen Forschung an unterschiedlichen Projekten zu betreiben, die in der Firma unerwünscht waren.

      Um sich sein Labor leisten zu können, hatte er eine Rezeptur für Naturkosmetik entwickelt, die er in jüdischen Apotheken verkaufte. Bald kamen auch einige Nichtjuden in die Apotheken um die Kosmetik kaufen zu können, oder sie ließen sich diese von ihren jüdischen Hausangestellten mitbringen.

      Er hatte mir das bereits erzählt, kurz nach unserem Kennenlernen, wobei er das nicht sonderlich ernsthaft betrieb, er wollte nur so viel damit verdienen, damit er sich sein Labor leisten konnte. Unter anderem erzählte er, dass er die Creme in einem großen Tiegel zum Apotheker brachte, der diese dann in kleinen Behältern weiter verkaufte. Ich hatte mir schon vor unserer Heirat Gedanken gemacht, wie wir damit mehr Geld verdienen können, um für schwierige Zeiten etwas zurückzulegen.

      Auch Ephraim hatte sich Gedanken gemacht, wie es weiter gehen könne, welche Gefahren für uns bestehen. Es war ihm nicht entgangen, dass immer häufiger Übergriffe auf jüdische Bekannte und Freunde diese nach und nach aus dem Land vertrieben.

      Am Wochenende nach unsrer Hochzeit haben wir uns zusammengesetzt, um uns unsere Gedanken und Vorstellungen zu erzählen. Ich wollte ihm sagen, wie ich mehr Kosmetik verkaufen wollte, er hielt sich bedeckt, wollte es mir erst am Wochenende sagen.

      Ich habe begonnen, von meinen Plänen zu erzählen, die Creme bei mehr Apotheken, auch bei Nichtjüdischen, anzubieten, außerdem wollte ich kleine Tiegel besorgen, um die Creme auch den Drogerien anzubieten.

      Meine Pläne haben ihm gefallen, ich konnte alle umsetzen, der Erfolg in den nächsten Jahren war einfach unvorstellbar. Wir konnten sehr gut leben, seine Forschung machte ihm noch mehr Freude, nachdem ich ihm die alltägliche Arbeit abgenommen hatte.

      Seine Gedanken waren weniger erfreulich, er glaubte zwar nicht, dass uns sehr viel Schlimmeres als das, was wir bisher erlebt hatten, passieren würde. Aber er hatte sich insgeheim eingestanden, dass er mit seinen Prognosen einige Male daneben gelegen, dass er sich geirrt hatte.

      Deshalb wollte er eine Rückversicherung, wenn er sich tatsächlich nochmals irren sollte, so wollte er die Möglichkeit haben, an einem anderen Ort eine neue Existenz aufzubauen. Er wollte, dass wir das Geld, welches wir erübrigen konnten, auf ein Schweizer Konto bringen sollten. Er hatte deshalb bereits mit einem Freund gesprochen, der häufig geschäftlich in die Schweiz fuhr.

      Dieser würde unser Erspartes mitnehmen, um es auf ein Konto von uns einzuzahlen. Sollten wir es nicht in Anspruch nehmen müssen, so war es für die Ausbildung unserer Kinder sowie für unser Alter vorgesehen. Sollten wir tatsächlich auswandern müssen, so hatten wir, zusammen mit seinen Forschungsergebnissen, eine Basis, um neu zu beginnen.

      Während er in der Firma und zu Hause forschte, klapperte ich nach und nach Apotheken und Drogerien ab, um unsere Creme anzubieten. Bald stand in fast allen Geschäften unsere Naturkosmetik, auf der natürlich nichts darauf hinwies, dass diese von Juden hergestellt wurde.

      Unser Glück waren die Olympischen Spiele, überall wurde Zurückhaltung geübt, man wollte schließlich vor den ausländischen Gästen als weltoffen dastehen. Man wollte der Welt beweisen, dass die allseits beschriebene Hetze gegen Juden ein Hirngespinst war, ein Lügengebilde, welches vor der Weltöffentlichkeit zusammenstürzen würde. Wir konnten unser Geschäft aufbauen, tagsüber belieferte ich die Geschäfte, abends bereitete ich nach Anleitung vom Ephraim die Naturkosmetik her, während er in seinem Labor an seinen Projekten forschte.

      Trotz unserer vielen Arbeit nahmen wir uns immer Zeit für uns. Während seine Eltern ausgewandert waren, hatten sich meine Eltern immer mehr aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Häufig trafen wir sie am Sabbat in der Synagoge, aber eigentlich wollten sie immer weniger mit uns zu tun haben, desto gläubiger sie und liberaler wir wurden.

      Meinem Vater war von seiner Schule gekündigt worden, man wollte nicht, dass deutsche Kinder durch ihn infiltriert werden, sie hatten Angst, dass es jemanden geben könnte, der Verständnis oder Mitleid mit den Juden hat.

      Je schlimmer man ihnen zugesetzt hatte desto mehr beteten sie, versteckten ihre Angst hinter ihrem Glauben. Allerdings weigerte sich mein Vater standhaft, sein Heimatland zu verlassen. Er sagte immer, wenn es denn sein muss, dann sollen sie ihn hier begraben. Nicht einmal das bekam er, beide wurden nach Majdanek deportiert, wo sie später umgebracht wurden.

      Bei uns bestätigte sich, was wir seit unserem ersten Zusammentreffen gewusst hatten, wehmütig erzählte sie weiter, wir hatten gewusst wir gehören zusammen, jetzt bestätigte sich dies Tag für Tag. Ephraim hatte mir zu meinem Geburtstag etwas gesagt, was als Lebensmotto für unsere Zukunft gelten sollte. „Tempus fugit Amor manet“, als ich ihn gefragt habe was das bedeutet hat er es für mich übersetzt, „die Zeit vergeht, die Liebe bleibt“. Eigentlich war es zu wenig, denn unsere Liebe blieb nicht, sie wuchs, sie steigerte sich, sie wurde immer mehr.

      Auch in der Firma lief alles gut für Ephraim, nachdem es diesem Parteisoldaten, diesem Bloch nicht gelungen war, ihn aus der Firma zu drängen, hatte er scheinbar Frieden mit ihm geschlossen. Ephraim konnte bei ihm die Rohstoffe kaufen, die er für seine private Forschung benötigte, die er sonst als Jude nur über viele Umwege bekommen hätte. Er hat zu dem Zeitpunkt nicht verstanden welche Motive diesen bewogen von sich aus auf Ephraim zuzugehen, um ihm dieses Angebot zu unterbreiten.

      Das Olympiajahr war sehr gut für uns, wir konnten über Ephraims Freund schon eine erkleckliche Summe in die Schweiz schmuggeln. Ephraim kümmerte sich nicht mehr darum, er verließ sich in diesen Dingen auf mich. Wenn ich gelegentlich darüber reden wollte, sagte er nur, behalte es für Dich, was ich nicht weiß kann ich nicht verraten. Es war so, als hätte er etwas geahnt, dass irgendwann etwas auf ihn zukommen würde, es dann besser war, nichts zu wissen.

      Das Olympiajahr war für uns das Jahr, in welchem wir meist unbeschwert lebten, wir spürten die Zurückhaltung, wenn wir unterwegs waren, die Pöbeleien waren meist nur unterschwellig. Es machte sich bemerkbar, dass die Nationalsozialisten dem Ausland demonstrieren wollten, “seht her, bei uns ist alles in Ordnung, sogar Juden können bei uns normal leben“. Leider hatte auch dieses Jahr, obwohl es ein Schaltjahr war, nur dreihundertsechsundsechzig Tage. Lieber wäre mir gewesen, wenn dieses Jahr dreitausend Tage gehabt hätte, dann wäre uns viel erspart geblieben.

      Schon bald nach Neujahr war es leider vorbei, das war auch das erste Mal, als wir zu zweifeln begannen, ob wir richtig gehandelt haben. Dieser Himmler sprach von einer „Entjudung Deutschlands“, die durch die Mobilisierung des „Volkszorns“ und Ausschreitungen erreicht werden sollte. Unterstützt wurden diese Hassreden mit immer neuen Artikeln in ihrer Lieblingszeitung von Julius Schleicher „Der Stürmer“. Diese hatte auf seiner ersten Seite immer „Die Juden sind unser Unglück!“ geschrieben, um gleich zum Beginn die Leser über die Schuldfrage aufzuklären.

      Auch wir spürten die antisemitische Stimmung sehr schnell, meine Lieferung in arische Geschäfte konnte ich nur noch sehr früh oder spät abends machen. Man wollte nicht, dass tagsüber eine Jüdin in ihrem Geschäft gesehen wird. Auf unsere Kosmetik wollten sie nicht verzichten, damit konnten sie immer noch sehr viel Geld verdienen. Es war mühsamer, gefährlicher, wenn man abends spät oder morgens früh unterwegs war, aber wir verkauften immer noch so viel, dass wir Ersparnisse in die Schweiz bringen lassen konnten. Wir hatten begonnen, uns einzuschränken, so viel es ging zu sparen, damit wir wieder neu anfangen konnten.

      Die Übergriffe wurden wieder schlimmer,