Ernst Meder

Gegen die Vergangenheit


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so sehr davon überzeugt, dass er das Leben des Juden darauf verwettet hätte. Käme es zu einer Ablehnung, kam es auf die Form der Ablehnung an, im besten Fall würde nur der Jude verschwinden, im schlimmsten Fall würde er als Judenfreund dessen Schicksal teilen.

      Nervös betrachtete er seinen Freund, er war doch noch sein Freund, jetzt würde es sich entscheiden, was würde dieser jetzt sagen. Sollte er noch mehr erklären oder sollte er ihm die Zeit geben, die dieser offenbar noch benötigte.

      Er rückte auf seinem Stuhl, dann beugte er sich zu ihm, ich bin mit zehn Prozent daran beteiligt, sonst möchte ich nichts damit zu tun haben. Wenn Du auffliegst, Dich jemand anschwärzt, dann bin ich außen vor, werde alles leugnen, was mich damit in Verbindung bringt.

      Er war froh, dass sein Gegenüber die Steinlawine nicht hören konnte, die ihm vom Herzen fiel, wobei er versuchte, einen gleichgültigen Eindruck zu hinterlassen. Einverstanden, aber ich brauche Deine Hilfe trotzdem noch mal, Deine Horden sollen ihn, sowie seine Familie so lange in Ruhe lassen, bis sie ein Zeichen erhalten.

      Was machst Du, wenn er ausreisen möchte, wenn er die Firma verlässt, damit sich Deiner Kontrolle entzieht.

      Daran habe ich auch schon gedacht, zuerst wollte ich ihn mit seinen Eltern unter Druck setzen, aber meine Situation hat sich seit Kurzem verbessert. Der Jude hat nämlich geheiratet, die Zufriedenheit in seiner Stimme ließ nichts von seinen vorherigen Ängsten spüren.

      Er hatte mehr geschwitzt, als er erwartet hatte, die Hoffnung und der Glaube ein Vermögen, ohne große Leistung zu erhalten, hatte ihm geholfen. Wäre Fritz aus einer reichen Familie gekommen, wäre Geld oder Vermögen keine Motivation zur Zurückhaltung gewesen, dann hätte er nach einem anderen Opfer suchen müssen.

      Den Weg nach Hause trat er leicht angetrunken aber beschwingt an, hatte er doch den Rückhalt, den er bisher vermisst hatte, der ihm die Sicherheit gab, von einem mit Reichtum erfüllten Leben zu träumen.

      Irgendwann in näherer Zukunft würden die Juden sein Heimatland verlassen, die unbewegliche Habe, wie Häuser, Geschäfte oder Fabriken würden aber hier bleiben. Er musste nur aufpassen, dass beim Verteilen des Kuchens auch bei ihm etwas hängen blieb. Er betrachtete die gesamte Situation realistischer als sein Freund Fritz, der sich kritiklos allem anschloss, was die Partei oder besser der Führer von sich gab.

      Das tausendjährige Reich, von dem die Fanatiker träumten, das war für ihn irreal, aber zehn oder zwanzig Jahre, die traute er diesem Österreicher schon zu. In dieser Zeit musste er sich so viel angeeignet haben, dass er und eventuelle Nachfahren ausgesorgt haben würden.

      Seinen Druck auf den Juden musste er unbedingt erhöhen, bisher hatte er nichts Substanzielles von dessen Forschung erfahren, keinen Hinweis, in welche Richtung dieser forschte. Er würde auf das neue Jahr warten, dann sollte dieser ihn kennen, wenn es nicht anders ging, auch fürchten lernen.

      Die Weisung, während der Olympischen Spiele, keine offensichtlichen Handlungen gegen Juden zu begehen, war von höchster Stelle ausgegeben worden, schließlich sollte die Welt die Gastfreundschaft des Deutschen Reiches loben.

      Er spürte die Lebensmittelknappheit ebenso wie alle anderen, auch wenn er sich, durch seine Verkäufe von Rohstoffen an den Juden, mehr leisten konnte als andere. Goebbels Propagandasprüche, dass die Lebensmittelknappheit im Deutsch Reich belanglos sei, weil „man zur Not auch einmal ohne Butter, nie aber ohne Kanonen auskommen könne“, galt zwar für alle, aber auch da gab es Ausnahmen, er gehörte inzwischen dazu.

      Nachdem er ihm die zugesagten Rohstoffe verweigert, mehrfach die bereitgelegten Listen ignoriert hatte, sprach ihn der Jude in einem unbeobachteten Augenblick daraufhin an.

      Sie haben gegen unsere Vereinbarung verstoßen, solange Sie ihren Verpflichtungen, mich über Ihre Forschung zu informieren, nicht nachkommen, werden Sie keine weiteren Rohstoffe oder sonstige Materialien für ihre Forschung erhalten.

      Dieser hatte ihn so verwirrt angesehen, dass ihm klar geworden war, er hatte diesen Teil ihrer Vereinbarung offensichtlich verdrängt. Sie sollten mich über den Stand sowie über die Richtung in die Sie forschen informieren, ich überlege, ob ich ihr Privatlabor nicht melde, da Sie sich illegal Rohstoffe beschafft haben.

      Damit haben Sie das deutsche Volk geschädigt, während das deutsche Volk hungert, haben sie sich Dinge beschafft, die Sie als Jude überhaupt nicht besitzen dürfen. Durch diese Schädigung des Deutschen Reichs werden Sie, aber auch Ihre Familie auf Grundlage des "Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Reich" in eines der Konzentrationslager verbracht. Dort können Sie mit Ihrer Familie in Ruhe über ihre Vergehen nachdenken.

      Er hatte gehofft, dass diese Ansprache die erhoffte Wirkung zeigen würde, er sollte Angst bekommen, damit er künftig freiwillig zu ihm kommen und seine Fortschritte melden würde. Das Erbleichen des Juden zeigte ihm, dass er genau das erreicht hatte, was in seiner Absicht gelegen hatte. Es konnte doch nicht sein, dass so ein Scheiß-Jude sich alles erlauben konnte, während dieser ihn ignorierte, ihn auf die Stufe eines profanen Lieferknechts reduzierte.

      Seine anfänglich wenig ausgeprägte Abneigung gegenüber Juden wuchs mit jedem Vorgang, den diese verursachten, um ihn zu ärgern. Er hatte es ernsthaft in Erwägung gezogen, diese ganze Sippe verschwinden zu lassen, wenn er sich nicht noch Ergebnisse von ihm erhofft hätte.

      Ich bitte Sie um Verzeihung, es lag keineswegs in meiner Absicht, Sie zu verärgern, aber ich bin doch erst am Beginn meiner Forschung.

      Diese Winselei, seine erkennbare Angst, die Erkenntnis seine Grenzen überschritten zu haben, obwohl diese fließend waren, sich genau da befanden, wo er sie zog. Das war es, er konnte sich ein innerliches Grinsen nicht verkneifen, obwohl seine Mine keine Veränderung zeigte. Das war meine letzte Warnung, seine Stimme war gefährlich leise, trotzdem erschauerte dieser, als er sich die Folgen vor Augen führte.

      Beim nächsten Mal werde ich die Konsequenzen ohne weitere Warnung vollziehen, wir können dann sehen, wie Ihrer Frau ein Aufenthalt in einem Konzentrationslager gefällt.

      Abrupt wandte er sich ab, verließ das Labor, damit verbarg er die Häme, die sich auf seinem Gesicht breitmachte, obwohl niemand da war, der es hätte sehen können. Sollte er ruhig schmoren, umso bereitwilliger würde er in Zukunft seine Ergebnisse mit ihm teilen, er konnte dann bestimmen, zu welchem Zeitpunkt er dem ein Ende setzen würde. In seinem Belieben lag es, die Grenze dahin verschieben würde, wo sein Vergehen offenbar wurde.

      Am nächsten Tag lag eine Beschreibung der beiden Hauptforschungsgebiete, die ihn besonders beschäftigten auf seinem Labortisch. Diese betrafen zum einen die Erforschung von Polychlorierten Biphenyle, wo er sich die Anwendung als Harze und Kunststoffe erhoffte, weitere Anwendungen waren möglich aber noch offen.

      Das zweite Gebiet betraf die Erforschung von Polymeren, das Ziel seiner Forschung war, die Abhängigkeit von Naturkautschuk zu reduzieren, eine Art künstlichen Kautschuk zu erstellen.

      Er hatte es gewusst, dieser Jude war ein Genie, auch wenn er nur auf einem Gebiet Erfolg haben sollte, so sah er bereits jetzt die Möglichkeiten, die sich ihm eröffneten. Trotzdem ließ er ihn noch eine Woche schmoren, bis er die Rohstoffe der letzten Liste an ihn weiterleitete.

      Diese Drohung hatte gewirkt, endlich kamen die Berichte über seine Forschung, auch wenn diese wenig erfreulich waren. Aber damit hatte er gerechnet, aus Erzählungen war ihm durchaus bewusst geworden, dass häufig jahrelange Forschungen erforderlich waren, um endlich am Ziel anzukommen.

      Die Juden spürten die Zurückhaltung wegen der ausländischen Gäste, erdreisteten sich, als sie nicht an den Wahlen teilnehmen durften, fühlten sich als Deutsche dritter Klasse. Auch die Besetzung des Rheinlandes, welches das Reich unbedingt brauchte, da die wesentlichen Firmen der Rüstungsindustrie dort angesiedelt waren, schien ihnen Angst zu machen. Allerdings erst, nachdem sie bemerkten, dass die Westmächte den Verstoß gegen den Schandvertrag von Versailles und Locarno duldeten.

      Als ein Zeichen war die Ernennung von Göring zu sehen, als dieser als Beauftragter für Rohstoff- und Devisenfragen bestellt wurde, damit endlich die Abhängigkeit von ausländischen Rohstoffen verringert werden sollte. Jetzt musste sein Jude nur noch liefern, auch wenn