Christine Boy

Sichelland


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ich mich schon. Wie schön, dass wir die Kräuterküche jetzt noch für uns haben. Du solltest dich öfter von den Riten befreien lassen.“

      Tatsächlich kam Menrir der große dämmrige Raum merkwürdig fremd vor, wenn keine eifrigen Mädchen darin umherschwirrten und keine strenge Vorsteherin mit ihrer dröhnenden Stimme rief: „Und denkt daran, dass der Gelbwurz nicht zu dicht neben den anderen Kräutern getrocknet wird, sonst verliert er sein Aroma!“ Nein, diesmal war alles still und nur dann und wann raschelten einige Gräserbündel an der Decke, wenn ein Windhauch durch die kleinen Fenster hineinhuschte. Ein großer Becher dampfenden Feldblütentees erwartete den Heiler und sein angestammter Lehnstuhl war schon vor dem polierten Holztisch zurechtgerückt, auf dem normalerweise die Tagesernte des Gartens aussortiert wurde.

      „Das nenne ich einmal einen angenehmen Empfang.“ bemerkte Menrir lächelnd. „Mach das nicht zu oft, sonst gewöhne ich mich noch daran.“

      „Beema würde das als 'Einschmeicheln' bezeichnen...“ meinte Sara zweifelnd.

      „Und ich als 'zuvorkommend'. Ich danke dir. Nun, was hast du auf dem Herzen? Nein, lass mich raten. Es geht um den Gast, der heute hier eintrifft, nicht wahr? Wie ich erfahren habe, wird dir diesbezüglich eine große Ehre zuteil.“

      „Die Oberin hat mir die Aufgabe übertragen, mich um die Wünsche der Botschafterin zu kümmern. Eine Art Leibdienerin zu sein.“ Bei diesen Worten wirkte Sara allerdings eher bekümmert als stolz oder voller Vorfreude.

      „Das ist doch so üblich bei euch, wenn hohe Gäste eintreffen, dachte ich? Wird nicht immer Eine ausgewählt, die dem Besucher zugeteilt ist, um ihm den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen?“

      „Ja, das ist richtig. Aber normalerweise machen das Eria oder Ilele und nicht .. nicht jemand wie ich. Sie haben viel mehr Erfahrung in solchen Dingen und kennen sich auch viel besser mit den Hofprotokollen aus. Ich habe keine Ahnung, warum Beema ausgerechnet mich für diesen Dienst ausgesucht hat, vor allem, weil sie mir bestimmt keinen Gefallen tun will.“

      Menrir seufzte.

      „Ich will ganz ehrlich sein, Sara. Es war meine Idee.“

      „Deine?“ Die Novizin starrte ihn ungläubig an.

      „Ja, allerdings. Die Botschafterin, die heute hier eintrifft, nun ja..., ich kenne sie, wie du weißt. Und ich bin mir sicher, dass Menschen wie Ilele oder Eria nicht gerade das sind, was sie unter angenehmer Gesellschaft versteht. Ich dachte, du würdest sehr viel besser zu ihr passen. Also habe ich Beema darum gebeten, dieses Mal auf dich zurückzugreifen. Ich muss zugeben, dass sich ihre Begeisterung über meine Bitte in Grenzen hielt, aber ich konnte sie schließlich davon überzeugen, dass es besser ist, auf meinen richtigen Riecher zu vertrauen.“

      „Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee war...“ sagte Sara traurig.

      „Ich schon. Du wirst es sehen. Und ich verspreche Dir, dass du deine Sache gut machen wirst, auch wenn du jetzt noch daran zweifelst. Sollte ich mich irren – und ich irre mich ganz sicher nicht – werde ich dafür sorgen, dass dir niemand einen Vorwurf macht und dass niemand erfährt, wenn du einen Fehler machst. Aber das wird nicht passieren.“

      „Ich habe überhaupt keine Ahnung, was ich tun soll. Oder wie ich mich verhalten soll. Ich habe so etwas noch nie gemacht und ich bin auch nicht so... ich kann mir nicht vorstellen, dass ich wie Ilele um jemanden herumscharwenzle oder den ganzen Tag über die neuesten Moden in Goriol plappere wie Eria.“

      „Das hätte auch gerade noch gefehlt! Genau aus diesem Grunde wollte ich ja auch, dass du dich dieses Mal um euren Gast kümmerst und nicht diese beiden – verzeih mir – oberflächlichen Gänse. Sei einfach du selbst.“

      Sara lächelte schwach. „Das sagst du so leicht. Kannst du mir nicht ein paar....“

      „Ratschläge geben? Mmhmm, ja, das kann ich vielleicht. Und eigentlich ist dies auch der Grund, warum ich dich vorher noch sprechen wollte.“ Menrir stellte den inzwischen leeren Becher auf den Tisch und stand auf. „Lass uns ein wenig nach draußen gehen. Ich liebe den Geruch des Gartens um diese Uhrzeit. Außerdem sollen hier die Wände Ohren haben und ich habe lieber keine ungebetenen Zuhörer in der Nähe.“

      Süßer Belkrautduft erfüllte die Luft und vermengte sich mit dem würzigen Geruch des wilden Blaubuschs und der herben Note des Gallgrases. In der Tat schienen besonders die unscheinbaren Gewächse den neuen Tag laut- oder vielmehr geruchsstark begrüßen zu wollen, als wüssten sie, dass das Sonnenlicht später eher den Rosen und Lilien zur Bewunderung verhelfen würde. Die niedrige Gartenmauer, die das Gelbwurzbeet an der Ostseite begrenzte, gehörte zu Menrirs Lieblingsplätzen. Schon oft hatte er sich dort einige Minuten der Ruhe gegönnt, wenn es in der Küche gar zu laut zugegangen war und schon mancher Abend hatte hier bei einer gut gestopften Pfeife seinen Ausklang gefunden. Es war genau der richtige Platz, um das, was zu Kommen in Begriff war, auch derjenigen anzukündigen, die noch keine Ahnung von dem hatte, was sie erwartete.

      „Setz dich hier zu mir.“ Der Heiler wies auf die moosbewachsene freie Stelle neben sich. Dann sammelte er einen Moment lang seine Gedanken und als er sprach, sah er Sara nicht an, sondern starrte in die Ferne, wo sich im Dunst die Bergkette Valahir erhob.

      „Ihr erwartet eine Botschafterin aus Cycalas, doch ich glaube, niemand von euch, auch nicht Beema, haben eine wirkliche Vorstellung davon, was man darunter zu verstehen hat. Ehrlich gesagt, entstammt der Begriff „Botschafterin“ lediglich meiner Phantasie, leider weiß ich nicht, wie ich sie sonst bezeichnen könnte. Lennys ist aus Gründen hier, die sie niemandem nennen wird und sie wird gewiss keine politischen oder gesellschaftlichen Besuche in Goriol machen oder sich auf spirituelle Gespräche mit der Oberin einlassen. Unter einem „Gesandten“ versteht man immer gerne jemanden, der zwischen zwei Parteien oder Völkern vermittelt oder der die Verbindung stärken will. Das ist bei Lennys nicht der Fall. Sie ist nicht hier, um irgendwelche Kontakte zum Mittelland zu knüpfen, ihre Aufgabe ist anderer Natur. Ich habe versucht, es der Oberin zu erklären, aber ich weiß nicht, inwieweit sie es begriffen hat. Sie stellt sich wohl insgeheim vor, durch ihre Gastfreundschaft die Wegbereiterin für ein neues Bündnis zu sein. Aber du wirst hoffentlich nicht so naiv sein.“ Er atmete tief durch, aber Sara ließ die kurze Pause wortlos verstreichen.

      „Weißt du, Sara, im Prinzip braucht Lennys niemanden, der hinter ihr herkriecht, wenn du so willst. Sie würde auch gut allein klar kommen und vermutlich wäre ihr das auch lieber. Aber sie weiß, dass diese 'Leibdienerei' eine Sitte des Tempels und vor allen Dingen eine Geste der Höflichkeit ist und deshalb nimmt sie es hin. Wundere dich also nicht, wenn sie von dir keine große Notiz nimmt. Vielleicht wird sie dir auch sagen, was sie von dir erwartet – oder vielmehr nicht erwartet, aber hoffe nicht darauf. Deine Aufgabe ist es, ihr den Aufenthalt hier angenehm zu machen und ich fürchte, genau das ist das Problem. Das kannst du nämlich nicht.“

      „Warum nicht?“ fragte Sara niedergeschlagen.

      „Weil sie nicht gern hier ist. Im Gegenteil, die Tage im Nebeltempel sind eine Art notwendiges Übel auf ihrer Reise und sie wird froh sein, wenn sie es hinter sich hat. Warum, das kann ich dir jetzt nicht erklären und vielleicht tut es auch gar nichts zur Sache. Verstehst du langsam, warum Eria oder Ilele so ziemlich die schlechteste Wahl gewesen wären, die Beema hätte treffen können? Für jemanden, der am liebsten seine Ruhe hat und dem die prunkvollen Zimmerfluchten für Ehrengäste ein Graus sind, für jemanden, der das Festmahl, das heute abend gegeben wird, der lästigste Teil des Tages ist .. jemand, der keinerlei Interesse an albernem Geschwätz oder diplomatischem Austausch hat... glaubst du, so jemand würde sich in Gegenwart deiner Freundinnen wohl fühlen?“

      „Sie sind nicht meine Freundinnen.“

      Menrir lachte.

      „Nein, natürlich nicht, verzeih. Aber im Ernst... das Beste ist es, wenn du deine Sichtweise änderst. Versuche nicht, ihr etwas Schönes zu vermitteln, sondern versuche, das Unangenehme von ihr fernzuhalten. Weißt du was ich meine?“

      Sara nickte langsam. „Ich glaube ja. Aber...gibt es denn gar nichts, ... was sie mag?“