Christine Boy

Sichelland


Скачать книгу

      „Von wem denn? Von dieser Oberin vielleicht?“ erwiderte Lennys spöttisch.

      „Mhmm, du solltest sie nicht unterschätzen, was das angeht. Sie hat ihre Ohren überall und erfährt vieles, wenn sie die Dörfer im Umkreis besucht.“

      „Eigentlich habe ich gedacht, dass ich dich dafür habe.“

      „Es kann nicht schaden, wenn wir sie ein bisschen aushorchen. Mag sein, dass ich gut informiert bin, aber das heißt nicht, dass sie nicht auch Interessantes zu berichten weiß.“

      „Das bezweifle ich.“ Sie richtete sich auf und sah Menrir jetzt sehr viel ernster an. „Es wäre kein gutes Zeichen, wenn sie von diesen Dingen wüsste“

      „Früher oder später.... es wird nicht ewig verborgen bleiben.“

      „Je länger, desto besser. Solange nicht darüber geredet wird, macht sich auch keiner Gedanken darüber, welcher Meinung er sein könnte.“

      „Du fürchtest also, das manche Menschen diese Ereignisse gutheißen könnten?“

      „Und sich wieder so leicht beeinflussen lassen wie damals. Ja, das glauben wir. Und wir glauben, dass das denen, die für das alles verantwortlich sind, wohl nicht ungelegen käme. Was gäbe es Besseres als eine Horde dummer Bauern, die für sie die Arbeit erledigen?“ In Lennys' Stimme schwang Verachtung mit.

      „Es wird schwierig sein, das herauszufinden.“ meinte Menrir. „Ich meine, wer die ...Arbeit gemacht hat. Du hast von der Sache in Thau gehört?“

      „Natürlich. Aber unsere Informationen sind vage. Was weißt du darüber?“

      „Wohl auch nicht viel mehr. Drei Häuser wurden niedergebrannt, darunter auch das des Weinhändlers Morell. Acht Tote hat der Anschlag gefordert und Morell selbst wird seinen Verletzungen wohl ebenfalls erliegen. Es heißt, eine Diebesbande aus dem Drei-Morgen-Wald hätte das Verbrechen begangen, aber wer glaubt das schon ernsthaft? Dass gewöhnliche Banditen den weiten Weg auf sich nehmen, um in einem verschlafenen Dorf drei Häuser abzufackeln, in denen es außer ein paar Flaschen Wein nichts zu holen gibt? Aber natürlich kann kaum jemand den wahren Grund erahnen. Acht Tote – Morell nicht eingerechnet. Acht, von denen sieben im Sichelland geboren sind. Und der achte hat eine Cycala geheiratet, wohl von ihrer Herkunft wissend. Wahrscheinlich werden nur die beiden Söhne Morells überleben, und das nur, weil sie diesen Abend bei Oyla auf der anderen Seite des Dorfes verbracht haben. Zwei Familien wurden nahezu ausgelöscht und dass die Scheune mit abgebrannt ist, spielte für diese Mörder wohl einfach keine Rolle mehr.“

      Sara horchte überrascht auf. Sie hatte ebenfalls von diesem Zwischenfall gehört, aber niemand hatte gewusst, dass dieser Anschlag beinahe ausschließlich Menschen aus Cycalas getroffen hatte. War die Botschafterin deshalb hier? Aber warum war sie dann nicht nach Thau gegangen, wo das Verbrechen begangen worden war? Lennys' Stimme riss sie wieder aus ihren Gedanken.

      „Konnte Morell noch etwas dazu sagen?“

      „Nein. Man hat ihn bewusstlos und halb verbrannt aus seinem Haus holen können, kurz bevor es endgültig zusammenstürzte. Er ist seitdem nicht wieder aufgewacht, aber die Heiler dort rechnen mit dem Schlimmsten. Vielleicht ist es auch besser für ihn, wenn er von den Qualen erlöst wird.“

      „Wer hat das Gerücht in die Welt gesetzt, es wäre eine Diebesbande gewesen?“

      „Morells Söhne. Sie dachten, es wäre besser, wenn niemand einen Zusammenhang zwischen dem Mord und ihrer Herkunft herstellt. Deshalb erfanden sie irgendeine Geschichte und jetzt glaubt jeder, dass sie sich mit ein paar Banditen angelegt hätten, die sich dann gerächt haben. Manche Menschen sehen nur das, was sie sehen wollen, Lennys. Und Morells Familie hat ihre Abstammung immer geheim gehalten. Niemand würde von allein darauf kommen, warum das alles wirklich geschehen ist.“

      „Wir hätten es vielleicht auch nicht für möglich gehalten. Wäre Thau ein Einzelfall, könnte man auch nach anderen Erklärungen suchen. Aber jetzt nicht mehr.“ Lennys stand auf. „Wieviel Zeit haben wir noch bis zu diesem... Essen?“

      „Nicht mehr allzu viel, denke ich.“ Auch Menrir erhob sich. „Vielleicht noch eine Stunde. Möchtest du dich vorher noch ein wenig ausruhen?“

      Ungläubig zog Lennys die Brauen hoch. „Ausruhen? Wie kommst du denn auf diesen Unsinn?“

      Menrir lachte. „Das frage ich mich auch gerade. Wir könnten noch ein wenig nach draußen gehen, wenn du magst.“

      Lennys sah schweigend durch einen Spalt im Vorhang hinaus. Die letzten Sonnenstrahlen tauchten die Hügel in ein goldenes Licht und verliehen der Landschaft ein selten freundliches Gesicht. Nicht mehr lange und der Nebel würde wieder aufziehen und alles verschlingen und damit all Jene in ihre Häuser treiben, die sich auch vor den Geistern der Nacht fürchteten. Dann würde es still sein draußen, während sie, Lennys, sich im Großen Saal des Nebeltempels dem Geschwätz der Tempeloberin aussetzen musste. Menrir freute sich auf den Abend, er mochte solche Gesellschaften. Er würde keine große Hilfe sein, wenn es darum ging, möglichst schnell wieder zu verschwinden.

      „Nein, ich bleibe hier.“ sagte die Cycala schließlich. „Sei in einer Stunde wieder da, ich habe keine Lust, mich alleine mit Beema herumzuärgern.“

      „Oh... ich muss nicht unbedingt spazieren gehen.“ lenkte Menrir schnell ein. „Wir können uns auch hier weiter unterhalten.“

      „Ich möchte jetzt aber nicht weiter darüber sprechen. Komm in einer Stunde wieder.“ Ihr Tonfall duldete keinen Widerspruch.

      „Gut...“ Der Heiler war verwirrt. „Dann bis später.“

      Schon die Hand an der Tür, fiel ihm Sara ein, die noch immer stillschweigend in der Ecke saß. Obwohl Lennys ihm weiter den Rücken zuwandte und aus dem Fenster sah, schien sie sein Zögern zu bemerken. Als sie dennoch nichts sagte, zuckte Menrir ergeben die Achseln und ließ die beiden Frauen allein.

      Kaum hatte der Heiler den Raum verlassen, drehte sich Lennys um und setzte sich wieder aufs Bett.

      „Komm her.“

      Sara verwünschte ihre eigene Nervosität und trat aus dem Vorraum heraus.

      „Du wolltest das hier nicht machen, richtig?“ Die Frage klang streng, vielleicht auch herausfordernd, aber nicht wirklich böse. Trotzdem war sich Sara sicher, dass sie nur falsch antworten konnte. Sie schwieg.

      „Zumindest lügst du mich nicht an.“ sagte Lennys nach einigen Augenblicken. „Das solltest du auch nie versuchen. ...Wann verlässt Beema normalerweise Feierlichkeiten wie die heute abend?“

      Sara dachte einen Moment nach. „Erst sehr spät. Sie bleibt fast immer bis die letzten Gäste die Gesellschaft verlassen.“

      „Und Menrir vermutlich auch.“

      „Ja.“

      Lennys atmete tief durch, doch sie sagte nichts weiter. Diesmal war es Sara, die das Schweigen brach.

      „Wenn ihr das Fest früh verlassen wollt, ist es das Beste, zu warten, bis Beema und Menrir hinausgehen.“

      „Wie bitte?“ Lennys war sich nicht sicher, was sie mehr verblüffte – dass Sara ohne zu fragen gesprochen hatte, oder das, was sie gesagt hatte.

      „Es ist sehr warm gewesen heute und die Luft im Großen Saal wird heiß und stickig sein. Beema verträgt das nicht sehr gut. Wenn sie dazu heute abend auch noch Wein trinkt, wird ihr sicher bald recht unwohl und in solchen Fällen bittet sie Menrir, sie kurz an die frische Luft zu begleiten.“

      „Wieso gerade ihn?“

      „Sie mag ihn, ... glaube ich. Und er ist Heiler. Manchmal gibt er ihr dann ein Pulver oder ein paar Tropfen und es geht ihr gleich darauf wieder gut.“

      „Und was hat das mit mir zu tun?“

      „Wenn beide – Menrir und Beema – nicht im Saal