Christine Boy

Sichelland


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Beemas Weinlaune auszunutzen.“

      „Ehrlich gesagt lege ich auf ihr Geschwätz keinen Wert, selbst wenn sie neue Informationen hat.“ sagte Lennys kalt. „Wenn du glaubst, ihr Wissen sei von Nutzen, dann frag du sie doch. Ich halte mich lieber an zuverlässige Quellen oder noch besser – ich verlasse mich auf das, was ich selbst sehe und höre.“

      Menrir beschloss, nicht weiter auf das Thema einzugehen. Er hätte wissen müssen, dass die Cycala in irgendeiner Form ihren Willen durchsetzen würde, auch wenn ihr dieses Mal der Zufall zur Hilfe gekommen war. Und es war gefährlich, sie weiter zu reizen, obgleich er nach wie vor überzeugt war, dass seine Sichtweise der Dinge mehr Verständnis verdiente.

      „Was hast du heute vor?“ fragte er dann resigniert. „Willst du vielleicht nach Goriol? Hio fährt mit dem Pferdewagen hinunter und könnte uns mitnehmen. Soweit ich weiß, treffen dort heute mehrere gefragte Händler ein, wir würden sicher einige nützliche Dinge finden.“

      „Geh hin, wenn du willst und kauf, was du für nötig hältst.“ erwiderte Lennys gleichgültig. „Aber hoffe nicht auf meine Gesellschaft, ich habe etwas anderes vor.“

      „Und was, wenn ich fragen darf?“

      „Ich will mir etwas ansehen. Es ist nicht nötig, dass du mitkommst.“

      Menrir wusste, dass es keinen Sinn hatte, weiter nachzufragen. Und obwohl er nicht ernsthaft damit gerechnet hatte, Lennys in den nächsten Tagen auf allen Wegen begleiten zu dürfen, fühlte er sich verletzt. Er fragte sich, ob diese Abfuhr eine Art Antwort auf das misslungene Fest des Vorabends war, das Lennys ihrer Meinung nach nur seinetwegen hatte ertragen müssen.

      Noch bevor er den Versuch machen konnte, dem Gespräch doch noch eine freundliche Note zu verleihen, wurden sie unterbrochen. Schritte näherten sich hinter dem Waschhaus und gleich darauf erschien Sara hinter ihnen. Sie blieb einige Meter entfernt stehen, doch Lennys ignorierte ihre Anwesenheit.

      „Falls du nach Goriol gehst, kannst du Akosh sagen, dass ich ihn in den nächsten Tagen aufsuchen werde. Sorge aber dafür, dass es sonst niemand mitbekommt. Wenn du lieber hierbleiben willst, soll es mir auch recht sein.“ sagte sie weiter an Menrir gewandt.

      „Du brauchst mich also den ganzen Tag nicht?“

      „Nein, ich denke nicht. Ich werde kaum vor dem frühen Abend zurück sein, schon allein, damit Beema mir nicht diese entsetzliche Tempelführung aufdrängen kann. Der gestrige Abend in ihrer Gesellschaft war mehr als genug.“ Dann warf sie einen Seitenblick auf Sara, als hätte sie sie erst in diesem Moment bemerkt. „Geh nach oben und warte dort.“

      Die Novizin nickte und verschwand wieder und Menrir ergriff die Gelegenheit, die Unterhaltung doch noch ein wenig fortzuführen.

      „Und? Ist sie so eine verzogene 'Göre' wie du befürchtet hast?“ fragte er neugierig, aber statt einer Antwort runzelte Lennys nur die Stirn.

      „Wieso interessiert dich, was ich über diese Leute hier denke? In ein paar Tagen bin ich von hier verschwunden und bis dahin habe ich Besseres zu tun als mich um deine Lieblinge zu kümmern. Wehe, du hetzt mir noch mehr davon auf den Hals!“

      „Also ist sie gar nicht so übel, habe ich das richtig herausgehört?“ grinste Menrir .

      „Genau das ist dein Problem. Du siehst Gespenster und hörst, was du hören willst.“ Mit diesen Worten machte Lennys auf dem Absatz kehrt und ließ den Heiler allein im Hof zurück.

      Auf dem Weg zurück ins Schlafzimmer begegnete Lennys niemandem. Die meisten Tempelbewohner waren noch beim Morgengebet versammelt oder bei den Frühstücksvorbereitungen in der Küche zugange. Es würde nicht mehr lange dauern und die Flure waren wieder bevölkert von diesem geschwätzigen und neugierigen Volk. Sie beschleunigte ihren Schritt, um dieser Aussicht möglichst zu entgehen.

      Sara wartete wieder in dem kleinen Vorraum, in dem sie schon die Nacht verbracht hatte und als Lennys den Raum betrat, stand sie nur wortlos auf und schloss die Tür hinter der Cycala.

      „Und?“ fragte Lennys ohne Umschweife. Sara holte zwei Pergamentrollen hervor.

      „Baramon hat den Schlüssel zum Archiv wohl mit zum Gebet genommen. Es gab nur zwei Karten, die nicht eingeschlossen waren. Diese hier...,“ Sie reichte Lennys die kleinere der beiden Rollen, „...zeigt das Gebiet rund um den Tempel bis zu den ersten Gipfeln von Valahir. Aber sie ist sehr genau und scheint auch recht neu zu sein. Die andere zeigt das gesamte östliche Mittelland, aber nicht einmal der Nebeltempel ist darauf eingezeichnet und sie scheint auch sonst einige Fehler zu haben.“

      „Was für Fehler?“

      „Hier, im Drei-Morgen-Wald soll laut dieser Karte ein Friedhof sein oder eine religiöse Stätte. Aber ich bin schon mehrmals in der Gegend gewesen, so etwas gibt es da ganz sicher nicht.“

      Überrascht nahm Lennys ihr die zweite Karte aus der Hand und starrte auf das fleckige Pergament. Ihr Blick verfinsterte sich.

      „Wir nehmen diese. Die andere nützt nichts, ich nehme an, dass du dich gut genug hier auskennst, so dass wir auf sie verzichten können.“

      Sara sah erstaunt auf.

      „Ist etwas?“ fragte Lennys ungeduldig als sie die Verwunderung der Novizin bemerkte.

      „Nein... ich... ich dachte nur, ihr würdet lieber alleine gehen?“

      „So, dachtest du das. Das würde ich auch lieber, da kannst du dir sicher sein. Aber möglicherweise bist du heute noch einmal nützlich und zurückschicken kann ich dich immer noch. Und jetzt beeil dich, oder willst du etwa so in den Wald?“ Sie musterte den feinen Stoff aus dem Saras dunkelrote Kutte gewebt war.

      Die Novizin schüttelte den Kopf.

      „Na also. Zieh dich um und komm dann zum Nebeneingang. Und sage niemandem, wo du hingehst. Wenn du schnell bist, sind wir draußen, bevor alle in der Halle herumlungern und Stielaugen kriegen.“

      Nachdem Sara hinausgegangen war um die Kleidung zu wechseln, beugte Lennys sich noch einmal über die Karte Mittellands. Sie sah nicht ganz so neu aus wie das andere Pergament, doch etliche Flecken und auch einige Risse an den Rändern ließen sie älter wirken als sie eigentlich war.

      Östlich des Mondsees hatte jemand tatsächlich eine Raute mit einem Kreuz darin in den Wald gemalt – das Zeichen für eine Begräbnis- oder Zeremoniestätte, wie Sara bereits richtig erkannt hatte. Das Symbol war noch an einigen anderen Stellen zu finden, allerdings fiel dieses aufgrund seiner Größe am meisten auf.

      Lennys wusste, dass sie diese Zeichnung nicht zurückgeben würde. Sie war vielleicht die einzige ihrer Art und die Tatsache, dass der sonst so gewissenhafte Bibliothekar sie offen liegengelassen hatte, beunruhigte sie. Beemas gestrige Erwähnung über das geschichtlich bedeutsame Tempelarchiv hatten Lennys auf die Idee gebracht, Sara in den frühen Morgenstunden nach Karten der Umgebung suchen zu lassen, solange Baramon noch an den Gebeten teilnahm. Allerdings hätte sie nicht gedacht, dass ein Dokument wie dieses jemals ungeschützt in einem Raum herumliegen würde, in dem normalerweise halbwüchsige Mädchen ihre Kräuterverzeichnisse wälzten.

      'Das wird es in Zukunft auch nicht mehr' dachte sie dann mit grimmiger Zufriedenheit und rollte die Karte wieder zusammen.

      Kaum hatte Lennys den Kräutergarten durch die Seitentür erreicht, öffnete diese sich erneut. Sara hatte nicht lange auf sich warten lassen.

      Die Novizin trug ebenfalls robuste Stiefel, darüber eine hellbraune Arbeiterhose aus grobem Leinen und eine einfache lose Bluse aus gebleichter Baumwolle, die von einem breiten Ledergürtel zusammengerafft wurde. Über ihre Schulter spannte sich der Riemen einer abgenutzten Tasche, wie Kräutersammler sie tragen und auf der ein zusammengerollter Reiseumhang aus brauner Wolle festgeschnürt war.

      Lennys musste sich eingestehen, dass Sara den bevorstehenden Marsch wohl nicht vollkommen unterschätzte und wusste nicht recht, ob sie damit zufrieden sein sollte oder verärgert, dass sie an dieser Stelle keine zurechtweisende Bemerkung loswerden konnte.

      „Gehen