Lucy Darkness

Blutige Finsternis


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Anschließend rannte sie einfach fort und ließ das Geld auf dem Boden liegen. Danach hatte ich Jerina nie wieder gesehen. Der Jahrmarkt verschwand aus der Stadt und damit auch sie.

      Die nächsten Wochen liefen wie im üblichen Rhythmus. Ich arbeitete, machte Geld und hatte Erfolg. An Jerina hatte ich nur einmal kurz gedacht. An den Wochenenden suchte ich wieder nach dem gewissen Kick. Die Bars und Clubs gaben dafür immer wieder neues Frischfleisch her. So viele junge Frauen zog es in diese Stadt. Sie alle hofften auf eine Karriere im Showgeschäft oder darauf, sich einen reichen Mann zu angeln. Und sie alle wussten, dass sie dafür Opfer bringen mussten. Für mich war dieser Sündenfall ein richtiger Glücksfall. Die Namen kamen so schnell, wie sie wieder gingen. Emma, Sophia, Scarlett, Leslie ... sie alle waren bildhübsch, jung und sorgten für meinen Kick.

      Es gab Zeiten, da fragte ich mich, wieso ich keine Liebe empfinden konnte. In jeder dieser Frauen sah ich nur eins. Einen willigen Körper, schneller Sex und ein paar Stunden der Sünde. Alles andere interessierte mich nicht. Ich sah mich persönlich nie als ein Ehe- oder gar Familienmensch. Kinder konnte und wollte ich mir nicht vorstellen. Das Einzige was ich damit verband, war Krach und Ärger. Solange ich Erfolg hatte, wusste ich, dass ich meinen Kick jederzeit befriedigen konnte.

      Die Zeit verging. Der Winter kam. Hier in Los Angeles sackten die Temperaturen aber selbst im Winter nie unter 15 Grad am Tag. Dabei erschien der Weihnachtsbaum, der in manchen Häusern bereits ab Mitte Dezember stand schon beinahe kitschig. Mitten bei fast 22 Grad strahlten die Tannen mit ihren Lichtern in der Dunkelheit. Einzig die bunt geschmückten Shoppingmalls mit den riesigen Tannenbäumen und den tausenden von weihnachtlichen Ornamenten beeindruckten mich gelegentlich.

      Ich hingegen verzichtete auf diese Tradition. Meine Eltern, die bereits vor vielen Jahren verstorben waren, gaben mir an Weihnachten meine Geschenke, eingepackt in einer der Supermarkt-Plastiktüten. Die himmlische Atmosphäre dieser Tage kannte ich daher nur aus Filmen und Erzählungen.

      Es war aber zugleich die Zeit, in der ich meinen Jagdinstinkt vorübergehend einstellen musste. Über die Feiertage fanden sich in den wenigen Bars, die noch geöffnet waren, nicht wirklich lohnende Ziele. Für mich waren es daher die Tage, die ich nutzte, um meine Steuer vorzubereiten und meine Unterlagen aufzubereiten. Ich stellte mich auf ein paar langweilige Feiertage ein. Nicht einmal die Börse war an diesen Tagen geöffnet.

      ... es war mitten in der Nacht. Der 26.12 hatte erst seit 30 Minuten angefangen. Ich lag dösend in meinem Bett. Es klingelte an meiner Tür. Zunächst dachte ich mir nichts dabei. Ab und zu gab es mal Klingelstreiche. Das war nichts Ungewöhnliches. Selbst zu Zeiten mitten in der Nacht. Manchmal waren es Kinder oder Betrunkene, die seelenverloren in den Gassen herumirrten.

      Nach einem weiteren Klingeln verstummte der Ton und ich döste wieder ein. Doch kurz danach, nicht einmal 15 Minuten waren vergangen, schreckte ich wieder auf. Es pochte an meiner Tür. Wer zum Teufel konnte das sein?

      Das Pochen wurde zu einem lauten Hämmern, das wie ein Schrei durch meine Glieder zog. Für einige Sekunden war ich voller Schreck erstarrt. Ich griff nach meinem Revolver und näherte mich langsam der Eingangstür.

      Als ich vorsichtig den digitalen Türspion aktivierte, konnte ich auf dem Monitor außer Dunkelheit nichts erkennen. Normalerweise liefert die Cam auch in der Nacht ein zumindest schwammiges Bild. Doch in jener Nacht sah ich nur die Dunkelheit. Nicht einmal die Umrisse vom Flur oder dem Tisch, der dort stand, ließen sich erkennen. Ich stutzte ... Das Klopfen hatte ohnehin nachgelassen.

      Ich wollte gerade zurück ins Schlafzimmer, als es erneut heftig zweimal gegen die Tür schlug. So kräftig, als wollte jemand die Eingangstür einschlagen. Mit einer gewissen Beklemmnis schaute ich erneut auf den Monitor. Nur die reine Dunkelheit war wieder zusehen. Eine Schwärze, die so bedrohlich wirkte und keinen einzigen Blick zuließ.

      »Wer ist da? Ich habe eine Knarre!« Rief ich leicht verängstigt durch die geschlossene Tür.

      Niemand antwortete, keine Geräusche waren zu hören. Zögerlich öffnete ich die Tür. Für einen kurzen Moment schien es so, als würde die Dunkelheit in meine Wohnung ziehen. Als die Tür ganz offen stand, konnte ich bis weit in den Flur sehen. Die Schwärze hatte sich gelöst. Ich sah niemanden. Alles war ruhig. Hatte ich vielleicht nur geträumt?

      In dem Moment, als ich die Tür wieder schließen wollte, sah ich etwas auf dem Boden liegen. Erst als ich mich bückte, erkannte ich eine verwelkte Blume, die wie eine Träne wirkte. Ich versuchte, danach zu greifen, doch sie fiel einfach auseinander. Meinen Revolver hatte ich immer noch fest in der Hand.

      Mir gefiel das Ganze nicht. Ich schloss die Tür und blickte noch einmal durch den Monitor, der nun wieder alle Umrisse anzeigte. Mit einem komischen Gefühl ging ich zurück ins Bett.

      Ich lag noch nicht ganz, da hörte ich ein komisches Geräusch. Eine Art dumpfen Schritt, als würde jemand über den Boden schleifen. Eine Art Schlurfen, das aus der Ferne immer näher kam und in mir eine unglaubliche Beklemmnis auslöste. Ängstlich griff ich erneut zu dem Revolver.

      Ich durchsuchte die ganze Wohnung, konnte aber keinen Hinweis auf eine andere Person vorfinden. Erst als ich wieder in meinem Schlafzimmer stand, durchfuhr mich die Angst, wie ich sie noch nie zuvor erlebt hatte. Auf dem Boden war wieder jene vertrocknete Blume zu finden und daneben ein paar rote Spitzer, die wie Blut wirkten.

      Hatte ich zu viel gearbeitet, spielte mein Verstand verrückt? Ich konnte mir das nicht erklären.

      In diesem Moment hörte ich erneut Geräusche. Sie kamen aus meinem Büro. Als ich die Tür zu meinem Arbeitsraum aufstieß, mein Revolver fest in der Hand lag, war da wieder diese Dunkelheit. Diese Schwärze, die nichts, absolut nichts, freigab. Es dauerte fast zwei Minuten, bis ich nach und nach die Konturen meines Schreibtisches wahrnehmen konnte. Eine unangenehme Kälte durchzog mich in jenen Augenblicken.

      Ich war nicht alleine. Auf meinem Stuhl saß jemand. Noch immer konnte ich nur die Umrisse sehen, aber nicht erkennen, wer da saß.

      »Ich habe einen Revolver. Zeigen Sie sie sich! Ich schieße sonst!«

      Die fremde Person erhob sich. Ganz langsam. Ich wich zurück und zielte mit dem Lauf meines Revolvers. Erst jetzt bemerkte ich, dass die unbekannte Person von der Dunkelheit umgeben war. Wie ein Schatten haftete die Schwärze an dem Fremden.

      »Wer sind sie, was wollen Sie hier?« Meine Stimme klang unsicher und mein Finger lag zitternd auf dem Abzug.

      Die Person bewegte sich nicht. Doch plötzlich hallte ein schrilles Kichern zu mir rüber, das mich vor Entsetzen erstarren ließ. Auf einmal ging alles ganz schnell. Die Schwärze löste sich auf. Irgendetwas schubste mich, ich verlor den Halt, fiel zu Boden und verlor den Revolver.

      Als ich hochblickte, erkannte ich eine Frau. Sie hatte lange, gewellte Haare und stank aus dem Mund. Ihr Atem roch wie der Tod. Sie schaute mich an. Ihre Augen waren so dunkel, dass sie gleichsam abstoßend wirkten.

      Ich wich zurück, bis zur Wand. Sie kam immer näher. Sie ließ ein paar vertrocknete Blumen zu mir runter fallen und neigte sich zu mir. Erst jetzt konnte ich ihr Gesicht besser erkennen. Die Fremde war uralt, ihr Gesicht wirkte wie eine grässliche Schreckensgestalt, die immer noch schaurig kicherte.

      »Was willst Du? Geld?« Ich dachte zunächst, es sei eine Einbrecherin.

      »Geld?« Die Frau kicherte wie verrückt. Ein solches Kichern hatte ich noch nie gehört. Es drückte sich in meinen Körper und verursachte dort ein schmerzhaftes Kribbeln.

      Ich hatte in diesem Moment so viel Angst wie nie zuvor. Sie kniete vor mir. Die alte Frau, mit ihren zahlreichen Narben und Falten im Gesicht, schaute mich nun direkt an. Mit jedem weiteren Kichern drang ihr verfault stinkender Atem zu mir. Der Gestank raubte mir beinahe die Luft. Ich wollte mich wegdrehen, doch ihre knochigen Finger ergriffen meinen Kopf. Sie schaute mir direkt in die Augen. So tief, dass ich glaubte, die Schwärze würde in meine Seele ziehen.

      Sie summte meinen Namen: »Schau mich an Brad ... Brad ...«

      Die