kamen gar nicht nach mit der Ausweisung von genügend Neubaugebieten.
Zurück zum Kirschbaum. Der erlebte, wie die 'Mult' über Nacht zum Baugebiet erklärt wurde. Mein Postgassen-Großvater, der damalige Besitzer, wohnte bereits in einem eigenen Häuschen und gab den Acker schnell an seine Kinder und Enkel weiter. Die hatten schließlich genügend Schulbücher fürs 'Schiff'2 vom 'Paulmann'3 erworben und wie er dachte auch alle verstanden, so dass sie die jetzt anstehenden schwierigen Verhandlungen des Umlageverfahrens würden besser meistern können. Wie ein Wunder überlebte der Kirschbaum auch diese Episode und beobachtete zunehmend beängstigt, wie die Reihenhausbebauung um ihn herum in immer engeren Kreisen an ihn heran kam.
Die Strategie zur Zukunftssicherung habe ich wohl von meinem Postgassen-Großvater übernommen. So reifte sehr früh in mir die Idee, die Erträge der ersten Berufsjahre nicht auf einem Bankkonto, sondern in Form einer Immobilie für die Zukunft und die geplanten Kinder zu erhalten. Ich beschloss deswegen, auf dem Baugrundstück mit dem Kirschbaum einen Neubau zu errichten, zumal mich auch ein §7b der damaligen Steuergesetzgebung dazu ermunterte, der das Wohneigentum förderte. Alle fanden den Plan gut, besonders natürlich mein Postgassen-Großvater, der diese Aktion noch kurz vor seinem Lebensende wohlwollend wahrnahm, während er auf seiner Holzbank in der alten Sonne saß und die Wasser der Weschnitz zum Rhein fließen sah.
Der Bau des Hauses war dann allerdings der Tod des Kirschbaums, von dem ich mir jedoch unbedingt eine Erinnerung bewahren wollte. Das Sägewerk in der Grundelbachstraße - unweit des alten Krankenhauses, in dem ich noch als Zangengeburt auf die Welt gekommen war - zersägte mir damals seinen Stamm in Bretter.
Mein Engagement in einer internationalen pharmazeutischen Firma 'uff ´m Waldhof'1 hat mich, als das Haus gerade bezugsfertig war, weg von der Kurpfalz hinunter nach Oberbayern geführt. Erging es einem Kurfürsten nicht schon einmal ähnlich? Gerade als seine treuen Kurpfälzer ihm das schöne riesige neue Schloss in 'Monnem'2 fertiggestellt hatten, lockte ihn ein saftiges Erbe nach München.
Mir blieb die Immobilie zunächst ein Anker in der Heimat. Dann wird sie aber zunehmend ein Klotz am Bein bei der heutigen Vermieter feindlichen Handhabung der Gesetze. Ich veräußerte sie, damit sie einer jungen Familie ein neuer Anker in der Kurpfalz werden könnte.
Gott sei Dank sind mir die Bretter vom Kirschbaum als Andenken geblieben. Aus denen hat ein guter Freund, ein alter Klassenkamerad und, Ironie des Schicksals, ausgerechnet einer der heutigen Teilhaber der 'Fawarik' mir einen wunderbaren Schreibtisch in seiner Werkstatt in Berlin-Kreuzberg gebaut. Ihm ist ein richtiges Kunstwerk gelungen, an dem ich jetzt hier gerne sitze und Geschichten schreibe, die mir die freigelegten rötlichen Jahresringe des Holzes auf der Tischplatte aus meinem Weinheim und dem Rest der Welt erzählen.
Ist er mir jetzt ein Anker in meinem Leben geworden? Er hat nach seinem Bau schon wieder drei Ortswechsel erlebt und begleitete mich vom Pfaffenwinkel nach Thüringen und von da jetzt an die junge Donau im badischen Südosten.
Wird er da bis zu meinem Lebensende stehen bleiben dürfen?
Drei Sorten Kinder
Eva war eine tatkräftige und emsige Frau. Sie kam aus einer reicheren Familie. Ihr Vater, der später durch einen Sturz in einer Tabakscheune zu Tode kommen sollte, war Fuhrunternehmer in einer Zeit, wo die Lasten noch mit Pferden transportiert wurden. Der lokale Güterverkehr war in Evas Kindheit ein wichtiges und deshalb auch ertragreiches Gewerbe. Die Lasten kamen per Schiff über die Flüsse und mussten von den Häfen dann mit dem lokalen Güterverkehr weiter an ihr Ziel gebracht werden. Die kleine Stadt im Rhein-Neckar-Dreieck brauchte diesen Güterverkehr. Der Neckar war nur mit Mühen schiffbar, aber der Rhein nach seiner Begradigung war eine wichtige Verkehrsader und so transportierte Evas Vater zusammen mit ihren zwei Halbbrüdern aus erster Ehe des Vaters viele Waren mit den Pferden. Die Pferde hatten einen Stall und mussten verpflegt werden. Da reichte ein Dieseltank, wie es heute der Fall ist nicht aus. Deshalb war damals ein Fuhrunternehmer auch gleichzeitig ein landwirtschaftlicher Betrieb. Das Heu und der Hafer für die Pferde wurden natürlich selbst erzeugt. Die Frauen erledigten dann die Betreuung der restlichen Tiere, eine Kuh, Ziegen, Kaninchen und Hühner. Deren Haltung bot sich an, da das Futter vorhanden war. Warum sollte man nicht auch das Essen der Menschen erwirtschaften?
Für die Gewinne des Unternehmens wurden neue Äcker gekauft, die waren für die Zukunftssicherung aus der damaligen Perspektive wichtig. Die Ländereien der Fuhrunternehmer bezeugten deshalb auch untrüglich den wirtschaftlichen Erfolg einzelner Familien. Die von Eva mit einem englisch klingenden Familiennamen, von dem keiner wusste wie er in der Kurpfalz plötzlich auftauchte, war offensichtlich sehr erfolgreich, den es gab beim Tod des Vaters einiges Land zu vererben. Die beiden Halbbrüder waren bescheiden und arbeiteten dem Vater für geringen Lohn zu. Nachbarn mutmaßten oft, der Vater würde die Buben ausbeuten. Aus zweiter Ehe wurden dann vier Mädchen geboren, der ganze Stolz des Vaters. Seine vier Prinzessinnen. Eva war eine davon. Dann gab es noch Anna, Elisabeth und Marie.
Die 'Everl' wuchs zu einer stolzen jungen Frau heran, die sich in einen Gardeoffizier der marktgräflichen Leibstandarte verliebte. Es war ein herrliches Paar, das am Wochenende zum Tanze ging. Er mit der schicken Ausgangsuniform, mit einem weißen Federbusch am silbrig blitzenden Helm, ein groß gewachsener Mann, dem die Worte gar allzu leicht und locker aus dem Munde flossen. Ihm stand die Welt offen, woraus er seiner Umgebung gegenüber auch keinen Hehl machte. Einige seiner Freunde wandten sich deshalb auch wieder von ihm ab, da sie ihn zu großspurig fanden. Aber Eva sah in ihm ihren Märchenprinzen und liebte ihn aus ganzen Herzen. Was Wunder, befinden wir uns doch in einer Zeit, wo das Kaiserreich in seiner vollen Blüte stand und das Soldatentum nach dem gewonnenen Kriege von 1871 ein zukunftsträchtiges Gewerbe darstellte, das in der damaligen Gesellschaft - noch ohne die bitteren Erfahrungen der Kriege römisch eins und zwei- einen hohen ja stark überhöhten Stellenwert hatte. Wie stolz war Eva doch auf ihren Gardeoffizier. Die Hochzeit wurde denn auch glanzvoll begangen und Eva erhielt eine schöne Mitgift, zu der sich später nach dem Tode der Eltern noch die etliche Hektar Ländereien dazu gesellten.
Eine Ehe wie im Bilderbuch, den schon kurze Zeit nach der Hochzeit wurde Eva schwanger, obwohl das Paar nach heutigen modernen Maßstäben doch eine Wochenendehe führte. Oder war es gerade deswegen? Fritz ihr Mann fuhr am Sonntagabend mit der Dampfeisenbahn über Friedrichsfeld, Heidelberg und Bruchsal nach Karlsruhe und von da weiter nach Rastatt, wo er in der Kaserne seinen Dienst die Woche über versah. Eva war so in ihrer Familie integriert, dass sie nicht daran dachte, den Hof des Vaters zu verlassen und in die Hauptstadt Karlsruhe in eine kleine Stadtwohnung zu ziehen. Sie brauchte das soziale Umfeld der Mutter und ihrer drei Schwestern.
Doch die Idylle wurde bald getrübt durch bekannte weltpolitische Verstrickungen, die in Sarajewo ihren Ausgangspunkt hatte. Wir nähern uns dem Sommer 1914 und Fritz musste in den Ernstfall, von dem alle dachten er wäre harmlos: Der Krieg römisch eins brach aus. Seine hübsche junge Frau sollte er schwanger zurücklassen.
Der badische Großherzog reihte seine Garde in die Reichswehr ein und Fritz Regiment zog von Rastatt nach Westen gen Frankreich. Schon nach den ersten Gefechten dort und lange vor Verdun und den anderen großen mörderischen Schlachten, erwischte es Fritz bei einem Angriff auf dem ersten Vormarsch und sein Bein wurde von einer Granate abgerissen. Wollte er als Gardeoffizier seiner Vorreiterrolle gar zu gerecht werden und mutige Heldenstückchen nicht nur verbal sondern auch real beweisen?
Halb verblutet wurde er von den Sanitätern aufgegriffen, um dann, noch war der Krieg erst wenige Wochen alt und die Versorgungslogistik in Takt, in ein Lazarett in das nahe Saarbrücken eingeliefert zu werden. Sobald Eva die Nachricht seiner Verwundung erhielt, fuhr sie ihn besuchen, schon erahnend, dass ihr junges Glück durch diesen Schicksalsschlag gefährdet war. Sie fand ihn auch, neben vielen anderen verwundeten Kameraden in einem sauberen und hygienischen Krankenhaus in der Stadt ganz im Westen des Reiches an der Saar, die jetzt durch das Kriegsgeschehen stärker in den Vordergrund kam, soweit weg von Berlin, der Schaltzentrale. Sie fand den stolzen Fritz gedemütigt und im Todeskampf, kaum fähig seine junge Frau zu erkennen. Als er sie dann sah, schienen seine Lebensgeister noch einmal auf zu flammen und Eva fuhr