C.-A. Rebaf

Boden, Kirschbaum, Bretter, Schreibtisch


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ist in solche zusammenhängenden Gewanne eingeteilt, die mit trefflichen Dialektbezeichnungen versehen sind und oft schwer in hochdeutscher Form im Grundbuch eingetragen werden konnten: 'Mittlerer Weg', war noch verständlich, 'Loch' auch noch, an eine Stelle erinnernd, wo Lehm für die Ziegelherstellung gewonnen wurde, und eben ein Loch hinterlassend, 'Stripphabern' war schon sehr schwierig und ohne längere sprachwissenschaftliche Studien unerklärlich.

      Am Gewann 'Forstweg' hoch über dem Birkenauer Tal, in dem die Weschnitz aus dem Odenwald ihren Weg in die Ebene sucht, um dann bei Worms in den Rhein zu münden, stießen zwei Grundstücke zusammen: Das von dem kleinen emsigen Wilhelm und das von der durch die weltpolitischen Großwetterlagen der Politik gedemütigten Eva. Der Grund war übrigens ein Vermächtnis ihres Fritz und nicht aus dem Besitz ihres Vaters, des Großfuhrunternehmers. Ein Grasrain verband die beiden Immobilien. Dort haben sie sich beobachtet, im Frühling, wenn die Bäume beschnitten wurden, im Frühsommer, wenn mit der Hacke der Boden vom Unkraut sauber gehalten werden musste, im Sommer und Herbst bei der Ernte. Zwei Menschen auf benachbarten Grundstücken, durch das Leben gebeugt, ihrem Schicksal hingegeben. Sie beobachteten sich, soweit es ihre Zeit zuließ. Das Städtchen war klein, natürlich wusste Wilhelm, wer die einsame Eva dort unten war und sie wusste ebenfalls, dass der Wilhelm dort oben nicht gerade eine standesgemäße Partie, sein verschwundener Vater überschattete doch sein bürgerliches Ansehen, aber ein ehrlicher und rechtschaffener Kerl und Witwer war. Jedoch war die große Liebe ihres Lebens und blieb bis zu ihrem seligen Ende nur einer: der gefallene Gardeoffizier in Form seines Sohnes.

      Wilhelm wiederum, kannte Eva, die Tochter aus gutem Hause und war mit ihrem Kriegerwitwen-Schicksal vertraut. Auch er war in diesem Krieg Soldat gewesen, aber er musste keine Heldentaten verbringen, wie der Fritz, und deshalb kam er gesund zurück. Er war in seiner Militärzeit vor dem Kriege Kellner beim 4. badischen Inf.-Regiment Prinz Wilhelm Nr. 112 in Mülhausen im Elsass. Davon gibt es eine Fotografie. Hatte er im Krieg auch gekellnert? Es gibt keine Überlieferungen oder Ideen dazu. Deswegen muss das offen bleiben.

      Wir stellen uns vor, erste schüchterne Gespräche zwischen den Beiden. Wer hat angefangen? Bestimmt Eva, eine mutige Frau, die wusste, dass sie ohne Mann auf die Dauer in der damaligen Gesellschaft nicht überlebensfähig war. Der Schmerz über den Verlust ihres Fritz war nach einiger Zeit der Sorge um die Zukunft gewichen. Man redete nicht über seine Sorgen und Probleme in der Stadt der Kurpfalz der Jahre 1919/20. Das Zeitalter der großen flächendeckenden Kommunikation auch zwischen den Geschlechtern über das Handy ist den Zeiten nach 2000 vorbehalten. Ich stelle mir vor, sie hat also den Anfang gemacht, das Eis gebrochen. Er hat sie dann nach Hause begleitet, mit der Hacke auf der Schulter, nachdem sie mit der niedergehenden Sonne im Westen ihren Feierabend gemeinsam beschlossen hatten. Schob sie schon damals ihr Marktwägelchen vor sich her, mit dem sie bis in die hohen Achtziger Jahre ihres Lebens weite Wege zu Fuß zurück legte? Eine moderne Gehhilfe wie ein Rollator für sie in Zeiten, wo Vieles pragmatischer und zweckmäßiger gelöst wurde?

      Er hat sie nie bedrängt und sie beschloss nach kurzer Zeit ihn zu einem Heiratsantrag zu überreden. Er, eingedenk seiner kleinen Tochter Anna, die er gerne bei sich gehabt hätte, nahm den Wink von ihr auf, gab sich eines Abends einen Ruck und bat sie um das 'Jawort'. Es lief nach ihrem Plan, sie willigte schnell ein und die Heirat wurde in kleinem Rahmen gefeiert. Ein bescheidenes kleines Anwesen kauften die beiden für ihre eheliche Gemeinschaft. Ein Haus über einer Hofeinfahrt gebaut, ein Seitengelass und eine kleine Scheune. Neben ihnen wohnte Evas Schwester Anna, da konnte ja mit der Nachbarschaft nichts schiefgehen. Das sollte sich später allerdings als sehr trügerisch herausstellen: Waren doch die Meinungen und Ansichten der angeheirateten Ehepartner gar zu divergent und führten zu Familienfehden, die über Generationen andauern sollten.

      Es schien jedoch zunächst, als ob das Leben es mit Eva und Wilhelm jetzt besser meinte und ein kleines häusliches Glück kam auf, vielleicht ist Liebe ein zu große Wort dafür, aber immerhin eine große Zuneigung. Aus dieser Zuneigung wurde ein zweiter Sohn gezeugt im Frühjahr und geboren dann im Dezember. Sie haben ihn Reinhard getauft. Warum eigentlich? Keiner der Großväter trug diesen Namen. Ein Ausdruck der Neuen Zeit?

      Damit war eine nach heutigem Maßstab moderne 'Patchwork-Familie' in einer Zeit perfekt, wo man diesen Begriff noch lange nicht geprägt hatte und man schlicht von drei Sorten Kinder sprach. Im Gegensatz zur heutigen Harmoniesucht, wunderte sich damals keiner, dass die sich alle drei nicht mochten und sogar sehr aggressiv gegeneinander waren. Das wurde von den Leuten einfach so hingenommen, ja sogar gut verstanden, wo doch das Schicksal der Familie so extrem zugesetzt hatte. Familienstreitereien, in der Hauptsache wegen Erbangelegenheiten waren doch an der Tagesordnung damals. Verbitterte Fehden mit oft jahrelangen 'Nebeneinanderher-leben-ohne-ein-Wort-miteinander-zureden' waren normal. Niemand war denn auch da, der Integrations- oder gar Mediationsarbeit geleistet hätte, wie heute.

      So wundert es nicht, dass die ersten Erschütterungen auch in unserer Familie bald eintrafen. Anna, das kleine Mädchen von Wilhelm, wurde trotz heftigem Verlangen nicht in der Familie aufgenommen. Paul, der kleine Prinz seiner Mutter dominierte das Feld und ließ kein andersartiges Geschwister zu, sehr zum Gram vom Stiefvater, der sich doch nichts sehnlichster wünschte, als seine Tochter auch bei sich zu haben. Dann haben wir noch das jüngst geborene Nesthäkchen Reinhard, um das sich niemand besonders kümmerte.

      Anna war inzwischen aus dem Kindesalter gerade entschwunden und ging in den Zustand der Pubertät über, einen Begriff, der damals noch nicht verbreitet war. War es diese Epoche, der renitente Übergang von der Kindheit zum Erwachsenendasein, der das nicht existente Verhältnis von Anna zu Eva so unerträglich machte, dass die kleine Hausgemeinschaft beinahe zum Bersten gekommen wäre? Wie war das Verhältnis zwischen Anna und Reinhard? Ein Zusammenleben des knapp Zehnjährigen mit seiner größeren Schwester?—für Eva völlig undenkbar.

      Eva blockierte die Integration Annas, Wilhelm litt sehr darunter, allerdings schon etwas abgelenkt von der Geburt seines ersten Sohnes, auf den er so stolz war. Anna verzieh es ihm nie, dass sie wegen seiner Schwäche elternlos blieb, ohne Rückhalt in dieser schweren Zeit Ihrer Umorientierung. Rückhalt hatte sie auch später nie, als das Geschäft ihres Mannes dann in Konkurs ging und sie mit ihrem Mann und Sohn schwere Zeiten durchlebte. Verliert man einmal den Halt in der Familie und ist von den Vorvätern abgeschnitten, so ist er für immer weg. Wie Anna das wirklich verkraftete ist nicht überliefert, lediglich eine kleine Episode überlebte die Zeit und soll festgehalten werden: Eines Tages in dieser Zeit kam sie in das Elternhaus und forderte das Bettzeug ihrer Mutter als Erinnerung an die Frau, die ihr das Leben geschenkt hatte. Sie kam zu einer Zeit, als Eva auf dem Acker bei der Arbeit war und nahm einfach mit, was nach ihrer Meinung ihr gehörte. Es war alles denkbar einfach, verschlossene Türen wie heute gab es damals nicht. Abends fehlten dann ein Kopfkissen, ein Federbett und die alten Bezüge dazu. Eva war erbost und verlangte von Wilhelm, die Affäre aufzuklären und die Diebesbeute dann zurückzubringen. Es geschah dann auch so. Anna war fortan als Diebin gebrandmarkt.

      Kurz darauf ereilte die Familie den nächsten Schicksalsschlag: Wilhelm wurde im Zuge der Wirtschaftswirren der zwanziger Jahre arbeitslos. So viel er sich bemühte, er konnte keine Anstellung mehr in seinem Beruf finden. Neue Häuser wurden keine mehr gebaut. Die Familie beschloss darauf, die Feierabendlandwirtschaft auszuweiten und hauptberuflich zu betreiben. Genügend landwirtschaftliche Fläche war vorhanden: Bergwiesen und Felder in der Rheinebene. Kuh und Ziegen wurden angeschafft, Eva ging auf den Wochenmarkt und betrieb moderne Direktvermarktung. Wilhelm besuchte am Sonntag nach dem Kirchgang den Stammtisch im 'Goldenen Hirsch'. Das konnte er sich leisten, Eva erlaubte es ihm. Aber 'unter der Woche' war dann das Wirtshaus für ihn tabu! Das ging dann erstaunlich gut und friedlich, bis neue Wolken mit brauner Farbe den Himmel betrübten. Wilhelm, aus dem traditionellen Arbeiterstamm kommend, lehnte die neue Bewegung rundweg ab. Hatte er doch große Probleme, die ständigen verdeckten Denunziationen seines Stiefsohns Paul beim Ortsgruppenleiter wieder zu rechtfertigen und gerade zu biegen. Ausgerechnet er, dessen rhetorisches Geschick doch nur daraus bestand zu schweigen und Gedanken zu denken. Aber er hat es doch immer wieder geschafft.

      Zum Ausdruck seines Protestes gegen die Nazis, stellte er zusammen mit seinem Nachbarn immer einen großen Tannenbaum in die schmale Einfahrt zum Bennweg von der damaligen Adolf-Hitler-Straße aus, wenn wieder eine Beflaggung für einen Umzug anstand. Im Bennweg