Stephan Lake

Layla


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Elijah sah Männer auf Pritschen liegen und an Tischen sitzen, einer machte Liegestütze, ein anderer lehnte an der Wand und starrte auf den Boden. Die Luft war heiß und stickig. Die Schlüssel in d’Antonios Hand schlugen gegeneinander.

      Elijah guckte von der Seite hinunter auf ihren dichten, schwarzen Schopf.

      „Seit wann ist Snydr hier?“

      Es hatte ihn zehn Minuten gekostet herauszufinden, dass Georg Michael Snydr kein gewöhnlicher Gefangener war. Snydr war ein ehemaliger Polizist. Und auch kein gewöhnlicher Polizist, keiner, der sein Leben lang Dienst auf der Straße geschoben oder in irgendeinem Büro die verstaubten Papierakten der vergangenen Jahrzehnte in einen Computer übertragen hatte. Nein. Georg Michael Snydr war Kommissariatsleiter a.D. bei der Trierer Kripo. Todesermittlungen, Vermisste, Brände, Kriminaldauerdienst.

      Snydr hatte etwas gesehen in seinem Leben.

      Seitdem Elijah das wusste, machte er sich Gedanken.

      Was aber Snydr angestellt hatte, um hier zu landen, und seit wann er hier war, konnte Elijah in der kurzen Zeit nicht herausfinden.

      „Vierzehn Tage. Sie kennen Snydr gut?“

      Elijah schüttelte den Kopf.

      „Aber Sie wissen, was Snydr von Beruf war?“

      „Kollege. Kripo.“

      Sie nickte. „Die sind hier nicht besonders beliebt. Und Snydr ist nicht mehr der Neueste. Fast siebzig. Noch ganz gut in Schuss, aber trotzdem fast siebzig. Mit den Typen hier kann er nicht mithalten. War zuerst in einem Haftraum mit einem Ami. Ex-Marine, der Typ, und gewalttätig. Einer unsrer Sonderfälle. Danach hat Snydr zehn Tage auf der Krankenstation gelegen.“

      „Zehn Tage?“

      „Sie werden ihn ja eh jetzt sehen, da kann ichs auch sagen. Wangenknochen rechts angebrochen und Schnittwunde quer über dem Brustkorb. Nicht sehr tief, aber zwanzig Stiche dann doch. Nevada behauptet, Snydr hätte das Messer reingeschmuggelt.“

      „Nevada?“

      „Der Ami. Ich tendiere dazu, ihm das zu glauben. Nevada braucht kein Messer für einen alten Mann wie Snydr. Was wollen Sie von ihm? Snydr?“

      „Kann ich nicht drüber reden, Frau d‘Antonio.“

      Sie nickte. „Hier lang.“

      Sie führte Elijah in einen Raum mit hoher Decke und einem Dutzend Bänken und Tischen im Boden verankert. Auch hier, keine Überraschung, waren die Fenster vergittert.

      „Unser Besuchsraum. Wir haben Regeln, wie lange die Besucher mit den Gefangenen zusammen sein dürfen. Nämlich eine Stunde. Gilt natürlich nicht für Sie. Aber die anderen Regeln schon.“

      „Ich weiß.“

      „Mir klar, dass Sie das wissen. Ich muss es trotzdem sagen.“

      „Ich weiß.“

      „Kein Körperkontakt. Der Gefangene darf Ihnen nichts geben und Sie dürfen ihm nichts geben. Sollten Sie doch etwas geben oder von Snydr nehmen wollen, müssen wir das zuerst kontrollieren. Zu dem Zweck werden wir Sie von draußen beobachten.“

      Sie sprach ernst und, ohne Zweifel, meinte es.

      Elijah nickte.

      „Wir haben immer mal wieder Probleme während der Besuchszeit. Also mit wir, da meine ich die JVAs. Bundesweit. Schlägereien bis zum Totschlag, Vergewaltigung, Geiselnahme. Alles während der Besuchszeit. Ist selten vorhersehbar, die Kollegen können schließlich nicht in die Köpfe von denen gucken. Sind monatelang oder sogar jahrelang total brav, sind freundlich zu dir, tun, was du ihnen sagst, dann plötzlich flippen die aus.“

      „Die Kollegen?“

      D‘Antonio guckte ihn an und sah ihn lächeln und zog trotzdem eine Augenbraue hoch, schwarz und dicht wie die Haare auf ihrem Kopf. „Die Gefangenen. Wir sind hier also strikt. Sehr strikt.“

      „Ich werde Snydr weder totschlagen, noch vergewaltigen. Und er ganz sicher nicht mich.“

      „Dann is gut. Setzen Sie sich. Wohin Sie wollen, Sie haben ja freie Auswahl, die nächsten Besucher kommen erst um viertel nach eins. Gegen die Hitze kann ich nicht viel machen, die Fenster stehen auf Kippe, mehr ist nicht drin. In den Hafträumen sind die Decken niedriger, da ist es schlimmer. Ich hole Snydr. Wenn Sie fertig sind, heben Sie einfach die Hand. Ich komme dann rein und bringe Snydr zurück und hole danach Sie ab und bringe Sie wieder nach draußen.“

      Elijah sagte, „Sagen Sie, bekommen Sie ab und zu Probleme hier? Mit den Kerlen? Also, den Gefangenen?“

      Wieder zuckte ihre Augenbraue nach oben. „Manchmal mit den Besuchern. Aber das hab ich im Griff. Ich hole Snydr.“

      Elijah setzte sich, zog seinen Hut aus und legte ihn neben sich auf den Tisch und wartete. Eine Schweißperle lief ihm den Rücken hinunter.

      Fünf Minuten, dann kam d’Antonio mit einem Mann in ausgebeulten Jeans und weitem Hemd zurück. Da, wo das Hemd nicht durchgeschwitzt war, war es hellblau.

      „Herr Snydr, das hier ist der Herr Leblanc vom BKA. Sie haben ihn ja um den Besuch gebeten. Sie sitzen gegenüber.“

      Sie wartete, bis Snydr saß. Snydr legte seine Hände auf den Tisch. Die Handschellen klackten auf dem harten Lack.

      „Die kann ich Ihnen nicht abmachen, nicht nach der Aktion im Haftraum, Snydr. Regeln sind Regeln. Die gelten auch für Sie.“

      Snydr sah sie ausdruckslos an und nickte.

      „Sie heben den Arm, wenn Sie fertig sind, Herr Leblanc. Ich komme dann rein.“

      Elijah nickte mit einem Lächeln, das unerwidert blieb, wartete einen Moment, bis sie draußen war, und guckte dann auf den Mann.

      Der Mann mochte an die siebzig sein mit den tiefen Falten auf Stirn und Wangen und den weißen Stoppeln und den ebenso weißen Haaren an den Seiten und obendrauf kahl, und er mochte erst vor zehn Tagen einen Schlag ins Gesicht erhalten haben oder zwei. Die rechte Gesichtshälfte war dunkel verfärbt, über dem aufgeplatzten Wangenknochen klebten zwei Klammerpflastern, im rechten Winkel zum Cut angebracht. Und jemand mochte ihm auch einen Schnitt über der Brust zugefügt haben, durch das Hemd sah Elijah einen Verband.

      Der Mann mochte auch Snydr heißen, Georg Michael Snydr, und pensionierter Polizist sein.

      Aber Elijah war sich sicher: er hatte diesen Mann nie zuvor gesehen und nie zuvor von ihm gehört.

      „Georg Michael Snydr“, sagte Elijah. „Ich kenne Sie nicht.“

      „Und doch bist du hier, Leblanc.“

      Die Stimme rau und tief; tiefer, als Elijah bei der Körpergröße vermutet hätte.

      „Ich habe viel Zeit, Snydr. Und ich mache gerne mal einen Ausflug nach Trier. Schöne Stadt. Besonders bei so einem Wetter. Vorhin hats ja noch geregnet, aber jetzt wieder die Sonne?“ Elijah nickte nach draußen und lächelte dann sein Cop-Lächeln. Unfreundlich, arrogant, überlegen. „Aber damit wir uns hier richtig verstehen: Ich habe zwar viel Zeit, aber nicht so viel Geduld. Also kommen Sie am besten gleich zum Punkt. Und mit gleich meine ich sofort.“

      „Hör auf mit den Grimassen, Leblanc. Du hast dich über mich erkundigt. Du weißt, wer ich bin. Was ich gemacht hab in meinem Leben. Ich kenne alle Tricks. Jeden. Manche hab ich selbst erfunden.“ Snydr beugte den Kopf und wischte die linke Gesichtshälfte an seinem Oberarm und tupfte dann auch vorsichtig über die rechte Wange. Er betrachtete seinen Ärmel, genau wie Elijah. Kein Blut. „Ob draußen die Sonne scheint und es hier drin vierzig Grad hat und nach Pisse stinkt, ist mir scheißegal. Und glaub mir, ich hab auch keine Geduld mit dir. Mit niemandem, wenn du es genau wissen willst.“

      „Zum Beispiel nicht mit Nevada, habe ich gehört.“

      „Nevada.“ Snydr lachte kurz und trocken. „Die Vianne hat vorhin angerufen. Ihr hast du auch gesagt, du würdest mich nicht