Ralph Scheible

Starknebel auf der Autobahn


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in bestem Englisch und mit zwei amerikanischen zungenverdrehten und Kaugummi kauenden »ar« auszusprechen. Das zeugt von Kompetenz und Fachwissen, wie Max bewundernd feststellt und er fühlt sich direkt dumm Sven gegenüber. »Warte, ich komme kurz bei dir vorbei, das wird besser sein« Na gut, was ist nun zu tun, und an welchen Anbieter soll er sich da wenden? Da wäre doch diese junge Schöne, die ständig im Fernsehen irgendwas von Äliss haucht. Aber Sven, inzwischen in Maximilians Wohnung eingetroffen, findet das nicht die passende Lösung für Max und er meldet ihn schwuppdiwupp bei einem ihm komfortabel erscheinenden Provider an. »Dauert ungefähr zwei Wochen, ich komme dann wieder vorbei um Alles einzurichten!« trällert er. Einstweilen könne Max sich ja mit den von Sven installierten Programmen näher befassen, wie zum Beispiel Texte schreiben und Tabellen kreieren. »Und was ist mit Spielen?« möchte Max noch wissen. Aber das ist nicht so Svens Ding, der hat es gerne akademischer und empfindet Computerspiele als brutale Zeitvernichtung. Außer Poker, damit haut er sich ganze Nächte um die Ohren. Mit der Sicherheit einmal ganz groß herauszukommen. Bis nach Las Vegas selbstverständlich. Immerhin hat er in sechs Monaten schon stattliche 20 Cent erspielt. Nach ein paar Einweisungen mehr in die Welt der Computer, verlässt Sven die kleine, aber gemütliche Zweizimmerwohnung seines Kumpels, mit dem Versprechen bald wieder zu kommen.

      Jetzt etwas zufriedener mit seiner neuesten Errungenschaft, versucht Max das ganze Kabelgewirr hinter dem eigens dafür aufgestellten Computertisch zu verstauen. Zum Glück kommt das Internet angeblich kabellos daher. So waren die ersten Schritte in eine neue Welt, erinnert sich Max, der sich mittlerweile ziemlich gut auskennt, recht ungerne zurück.

      Am neunundzwanzigsten Oktober war es, als er von seinen inzwischen verehrten Morgenmagazin Moderatoren erfährt, dass »China eine eigene Weltraumstation auf den Mann bringen« Was genau die einunddreißig Jahre zählende Hanna Balken genau damit meint, kann nur vermutet werden. Aber Max will es ganz genau wissen und erfährt in anderen Medien, dass die Chinesen weitsichtiger Weise diese Raumstation bauen, um in absehbarer Zeit die Einzigen zu sein, die so ein Ding ihr Eigen nennen dürfen. Einen gewissen Geschäftssinn kann man natürlich nicht ausschließen, da die Amis und die Europäer, nach Verschrottung ihrer gemeinsamen internationalen Raumstation, sich dort wohl einmieten müssen um weiter forschen zu können. Warum Frau Balken sich so infantil und nur halb informiert ausdrückt, zeugt wohl von reiner Oberflächlichkeit, denkt sich Max. Und darf man als erwachsener und gebildeter Mensch solch ein Deutsch in aller Öffentlichkeit verkünden? Jens Schlurig, einer der heutigen Mitmoderatoren, erzählt dann noch etwas von »abgrillen«. So nennt sich das jetzt, wenn man in Stadtparks, bei schönem Wetter den halben Haushalt mitschleppt, um ein sowieso arg schlimm aufgewachsenes Schnitzel, verkohlen zu lassen.

      Was alles ganz viele Eurons kostet schießt allerdings gänzlich den Vogel des Tages ab. Vermutlich meinte der studierte Journalist damit den vermeintlichen Plural der europäischen Währung. Nach Recherchen im wunderbaren Internet, haut es Max direkt von seiner alten Couch. Bei Eurons handelt es sich um Windelhosen und Einlagen für Erwachsene. Auch zu ersteigern bei allen gängigen Auktionsplattformen. Als Eurons bezeichnet man auch ein Projekt, welches der Erforschung der »Initiative of European nuclear structure scientists« von fünfundvierzig Institutionen in einundzwanzig Staaten betrieben wird. Ist doch eine tolle Sache so ein Euron. Als danach noch von irgendwelchen alpischen Bergedörfern die Rede ist, wird es Max, dem eher einfachen Menschen, dann doch zu viel des Guten und er schaltet den Fernseher ganz einfach und emotionslos ab.

      Wie lange er schon nicht mehr aus dem Haus war, überlegt er sich jetzt. Sollte er nicht mal wieder einkaufen? Oder sich mit Sven auf ein Hefeweizen treffen? Das ist immer lustig und Max kann noch viel von ihm lernen. Insbesondere was das Leben als Dauerarbeitsloser so ausmacht. Viele Tipps hat Sven wahrscheinlich nicht parat, aber irgendwie hat er es ja geschafft ohne viel Geld, dieses gediegene Vorstadtleben bestreiten zu können. Na gut, ein Leben in Luxus ist das eher nicht, dafür aber mehr eines in seiner ganz eigenen Welt. Im Bier und Schnapsrausch eigentlich, ohne welchen Sven sein Dasein wohl doch nicht aushält. Vielleicht ist es aber auch nur dem gewohnten morgendlichen und außerhäuslichen Bürozwang zu verdanken. Meist imaginäre Geschäfte lassen sich dann doch viel leichter in Kneipen erledigen, die ihm ein unsagbares Gefühl der Freiheit und Überlegenheit geben.

      Max versucht Sven telefonisch in seinem Refugium zu erreichen. Nach zweimaligem Klingeln, oder Hupen, oder wie soll man die heutigen Klingeltöne sonst bezeichnen, ist er tatsächlich noch zu Hause. Üblicherweise hechtet Sven um diese Uhrzeit regelrecht in den Stadtbus, mit seiner selbst organisierten Monatskarte in Richtung Stadtmitte, um sein erstes Weizenbier des Tages zu begrüßen. »Ich muss schnell machen, wir sehen uns dann.« keucht er ins Telefon und weg ist er. Aha, denkt sich Max, der es glücklicherweise nicht weit hat ins Stadtinnere, wo soll er sich jetzt mit ihm treffen? Wird sich wahrscheinlich so ergeben. Einfach in die nächst beste Kneipe und abwarten. Sven schafft sich »Wirtschaftlich« gesehen gerne von der Unteren Bahnhofstraße ganz nach oben zum Bahnhof hoch. Diese Strecke ist heutzutage relativ schnell bewerkstelligt, wenn es bei einem Bier pro Kneipe bleibt.

       Kühlacker, die typische schwäbische Kleinstadt, in der Beide ihr Leben fristen, ist immer mehr von Verfall und Aussterben bedroht. Ein Geschäft nach dem Anderen schließt seine Pforten. Max beschließt in einem noch verbliebenen Eis-Café auf Sven zu warten. Dort kann man schön draußen sitzen und Alles ist sehr überschaubar. Max, der eigentlich kaum Alkohol trinkt, außer bei gelegentlichen Treffen mit Sven, räkelt sich solange auf einem bequemen Bistrosessel in der goldenen Oktobersonne. Das tut ihm und seinen geschundenen Knochen ziemlich gut, auch die gute frische Luft trägt ihr Übriges bei. Nach etwa einer Stunde und einem heißen Cappuccino mit Spritzgebäck, trudelt Sven schon ziemlich gut gelaunt ein. »Einen recht schönen Guten Morgen Allerseits! « trällert er, mit seiner ihm typischen Handbewegung, um elf Uhr Vormittags. »Na, was gibt’s Neues?« möchte er in Erfahrung bringen, oder auch nicht. Hauptsache die junge rassige, südländisch wirkende Bedienung bringt ihm ein schönes kaltes Bier für den Anfang. Nicht ohne ihren Hüftschwung zu bewundern und ihre Schuhgröße im Geiste zu ermitteln. »Am besten gleich zwei Hefeweizen!« ruft er ihr hinterher. Max erzählt derweil von seinen Fortschritten am Computer und gesteht, dass er sich nun doch zwei Spiele gekauft hat. Ein Aufbauspiel um das alte Rom, und ein fetziges Rennsimulationspiel. Natürlich rümpft Sven entsetzt die Nase und schüttelt verständnislos den Kopf. Das macht Max allerdings rein gar nichts aus, da er doch sehr viel Spaß damit hat. Um dennoch abzulenken, erzählt er Sven von seinem morgendlichen Grauen mit der deutschen Sprache. Wie zum Beispiel, dass man energetische Flatulenzen olfaktorisch wahrnehmen kann. Er lacht sich kaputt. Was jedoch ein virtuell meditativer Prozess bedeuten soll, bleibt auch für einen äußerst gebildeten Zeitgenossen wie Sven im Dunkeln. Auch bei Offshore Windparks im Binnenland scheiden sich die Geister. Umso amüsanter sind dann doch Sätze wie: »Ich spreche hündisch« oder »Liebe Börger und Börgerinnen« und »er ist ein perverser Sadist«. Na toll, denken die Beiden, erst pervers und dann noch Sadist. Das hätte man doch ahnen können. Schlimmer wäre es womöglich noch, wenn er sadistisch und dazu noch ein Perverser wäre. Viel Gelächter und nach einer weiteren Runde Bier, ergötzen sie sich über Aussprüche wie: »dauerhaft nachhaltig« »das ist suboptimal« »mathematisches Rechnen« und auch über »das Wetter ist regennass«. »Das habe ich alles vom letzten Samstag« erklärt Max. Irgendwie bekommt Sven sein Lachen gar nicht mehr aus dem Gesicht und bestellt noch einmal zwei Hefeweizen. Wahrscheinlich auch deshalb, um diesen knackigen Po der Bedienung in Bewegung zu sehen. Max macht sich nach dem dritten Bier, mehr trinkt er meistens sowieso nicht, auf den Heimweg. Sven wird seine Zeit noch bis in die Abendstunden in der »freien Wirtschaft« verbringen.

      Nach dem Aufstieg in die dritte Etage, um endlich seine Wohnung zu erreichen, ist Max ziemlich platt und muss sich nach dieser Kletterstrapaze erst einmal ausruhen. Zurückgelehnt auf seiner alten, aber äusserst bequemen Couch, sinniert er, immer noch pustend, über sein derzeitiges Leben, in welchem er sich zunehmend als Einzelgänger entwickelt. Bis auf spärliche, unbedeutende ab und zu Begegnungen in Kühlacker, hat er kaum Kontakte. Ausnahmen sind natürlich seine langjährigen Bekanntschaften mit Mimi Seitenzeller und Tochter Wanja Seitenzeller, Suzanna Lessa und Sven Schänkel. Natürlich genießt er inzwischen weltweite Kontakte in Form elektrischer Post. Diese netten Menschen wohnen alle ganz virtuell in seinem wunderbaren Rechner. Trotz Sprachbarrieren mangels Fremdsprachenkenntnisse, funktionieren diese Freundschaften