Gabriele Plate

Im Galopp durchs Nadelöhr


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worden. Ganz ohne Worte!

      Luz wurde von den Einheimischen gemieden, die Kinder verspotteten sie auf der Straße, Staub aufwirbelnd, in sicherem Abstand hinter ihr her laufend. Immer noch, seit sie ein Kind war. Asphalt war noch nicht bis in ihr Dorf vorgedrungen.

      Luz del Mar kannte ihren Vater nicht. Der Erzählung ihrer Mutter nach, war er bei einem Zugunglück ums Leben gekommen. Ihre Mutter stammte aus dem Süden des Landes, tausende Kilometer entfernt, aus der hohen, kalten Region. Sie war damals mit der kleinen Luz auf dem Rücken und einer Ziege am Strick, einfach losgezogen, weg vom Elend der Trauer, Richtung Norden, wie sie erzählt hatte. Den größten Teil davon zu Fuß. Ihre Mutter schwor immer noch auf Ziegenmilch, kein Kind sollte ohne diese Nahrungsquelle aufwachsen. Als sie die Panamericana endlich erreicht hatte und ihre Ziege in einen der Überlandbusse hieven wollte, verweigerte man ihr die Mitreise, falls sie die Ziege nicht zurückließe. Als sich wenig später die Gelegenheit bot als Hausangestellte im Pfarrhaus zu arbeiten und zu wohnen, hatte sie die Wanderung aufgegeben und sich dort niedergelassen. In ihrer Heimat war sie Lehrerin gewesen.

      Luz del Mar hatte oft von ihrer Mutter gehört, dass sie die Augen und die helle Haut ihres Vaters geerbt hätte, und dass er ein schöner Mann gewesen sei. Doch niemals hatte sie ihre Mutter um den Geliebten weinen sehen. Es gab auch keine Fotos von ihm. Damit erschöpften sich die Informationen über Luz´ früheste Kindheit, über ihre Herkunft, über ihren Vater. Alles Mögliche, nach dem Luz del Mar später fragte, war auf der mysteriösen Reise verloren gegangen, ihre ganze Identität schien auf diesem Marsch verschluckt worden zu sein, von den Vorfahren bis zur Geburtsurkunde. Die einzige Erinnerung, die Luz aus dem dunklen Sack ihrer frühen Kindheitserinnerungen hervorziehen konnte, waren Schmetterlinge. Sie waren auf dieser abenteuerlichen Reise auch durch unzählige Täler Perus gezogen und in einem dieser Täler war sie tausenden von schillernden Schmetterlingen begegnet. Flatternde, leuchtende, glitzernde, große, kleine verschiedene Farbtupfer hatten sich auf sie gesetzt, ganze Wolken dieser bunten Falter hatten sie eine Weile begleitet. Sie hatte auf einem Karren gesessen und war durch ein Meer von Schmetterlingen gezogen worden. Das war alles, was sie mit Bestimmtheit von sich wusste.

      Warum taten sich die Deutschen so schwer mit dem Namen Luz? Drei Buchstaben nur, El-U-Zet, Luz! Wenn jemand das endlich behalten hatte, sprach er den Namen falsch aus, er sagte „Lutz“, statt Luz. Das Ende ihres Namens sprach man aus, wie bei Kuss oder Schluss. Für dieses Ende schob man die Zungenspitze zwischen die Vorderzähne, ähnlich dem englischen TH. Sie machte es Karl deutlich, wenigstens er sollte sie richtig ansprechen. Sie schob ihre rosa leuchtende Zunge vor seinen Blick und sagte, Luuusss! Er zappelte.

      Luz del Mar, Licht des Meeres? Zugegeben, wenn er diesen Namen exakt übersetzte, war er ja hübsch und klang poetisch, aber um sie so anzusprechen oder zu rufen, das fand Karl unpassend. Diese enge Zusammenstellung von L und Z, ein Zungenbrecher. Nichts für dieses sanfte Wesen. Am liebsten würde er ihr einen neuen, einen passenderen Namen geben. Da er es nicht mochte, ihren Namen richtig zu benutzen, murmelte er, hallo chica, oder, komm mal her. Wenn er sie dann erst einmal gehabt haben würde, ja dann! Er würde sie vielleicht, meine kleine Nixe nennen?

      Kleine Nixe, ein Wunschwesen, exotisch glitzernd anzusehen und weglaufen konnte es auch nicht. Obwohl, so klein erschien sie ihm eigentlich doch nicht mehr, und „seine“ Kleine? Das musste sich erst noch herausstellen.

      Der Überlieferung nach, verbreiteten Nixen einen Fischgeruch und flappten mit ihrem feuchten Unterleib hilflos in der Gegend herum, so konnten sie schwerlich einen Haushalt führen, putzen, kochen und Socken bügeln. Sie waren nur reine, märchenhafte Vergnügungswesen. War es das was er wollte?

      Also, welcher Name, zum Kuckuck. Lucy? Nein, er hatte eine kurzfristige Geliebte mit diesem Namen in Erinnerung, hübsch, alles stimmte, aber sobald sie den Mund aufgemacht hatte, war sie laut und abstoßend aufdringlich gewesen. Niemals könnte er diese zauberhaft zurückhaltende Gestalt hier, ebenfalls Lucy nennen. Und nur Mar? Das war kurz und hart, es blieb ihm im Halse stecken. LuMa?

      „Luma, Luma“, sagte er zweimal halblaut hintereinander, was man ja beim Rufen zu tun pflegt. So klang es, als riefe er nach einem Hummer. Es blieben nur noch das Lu. Lulu, Luma oder doch der Hummer! Und Luzma? Das war es, Luzma! Es war nicht ideal, aber fürs erste würde er diesen Namen benutzen, um den Abstand zu ihr zu verringern. Er konnte sie nicht ewig Hallo oder Chica nennen. Vielleicht würde sie sein Bemühen, mehr Zärtlichkeit in ihren Namen zu bringen, begrüßen und zu schätzen wissen. Also rief er, Luzma, bring mir bitte den Kaffee! Er fügte „bitte“ hinzu, nicht wie in den ersten Tagen, als er in die Hände geklatscht hatte und „Hallo Kaffee“, gerufen hatte.

      Und zum zweiten Mal in ihrem Leben hatte jemand beschlossen, ihren Namen zu ändern, aber an das erste Mal hatte Luz keine Erinnerung. Sie erschien ohne Kaffee.

      Wer ist Luzma, hat der Gringo laut geträumt? Auch sie, nannte ihn nicht bei seinem Namen.

      So kam er nicht von der Stelle, sie blieb auf Abstand, und je mehr sich dieser Abstand zu manifestieren drohte, umso mehr lechzte seine Libido nach ihr. Die alten Probleme schienen vergessen, wenn Luz del Mar in seiner Nähe war.

      Karls Hütte bestand aus einem der etwa sechzig Eternit- Wellblech-Flachdach-Fertigteilhäusern. Seine Edelbaracke hatte drei Zimmer, Küche, Bad, maß etwa neunzig Quadratmeter, war mittelmäßig möbliert, mit Kühlschrank und Tiefkühltruhe, Einbauschränken und einem kleinen Geräteschuppen ausgestattet. Das Privileg der Klimaanlage gab es nur ab Mittelstand aufwärts, Karl besaß dieses Privileg.

      Die Häuser lagen fremd zwischen den Geröllriesen, wie hingewürfelt, weit oberhalb des Flussbettes auf einer breiten, befestigten Trasse. Die starken Erosionen ließen keine Krume Mutterboden mehr erahnen. Es gab bei Baubeginn keine direkt sichtbare Flora. Kein Baum, kein Strauch, kein Grün.

      Die Hierarchie allerdings fand den geeigneten Nährboden oben im Camp. Es gab einen Oberkönig als Oberbauleiter, einen König als Bauleiter, einen Vizekönig, zwei Untervizekönige und den Rest bildeten unerkannte, selbsternannte kleine Könige, die Poliere. Danach reihten sich die peruanischen Büroangestellten ein, die in Gemeinschaftshütten, ohne Isolation gegen die Wüstenhitze, in großen Schlafsälen untergebracht waren. Diese Hütten lagen am äußersten Rand des Camps, direkt neben dem drei Meter hohen Zaun und dem Generatorhaus, an der hinteren Einfahrt. Damit endete zunächst einmal der Gesellschaftsaufbau des Camps.

      Außerhalb dieser Hierarchie, nach einem zur Selbstverständlichkeit zählenden breiten Leerraum, waren die peruanischen Hilfsarbeiter eingereiht, die Trabajadores. Zum größten Teil handelte es sich um junge Bauern, die durch den Dammbau von ihren Feldern vertrieben worden waren. Ihnen war es untersagt das Camp zu betreten. Die Haupteinfahrt und zwei weitere Ein- und Ausfahrten hatten Sperrschranken und wurden Tag und Nacht von bewaffneten Kontrollposten bewacht. Nachts wurde das gesamte Camp von hoch angebrachten Scheinwerfern erhellt. Die Bewohner, etwa achtzig Prozent Europäer, zum überwiegenden Teil Deutsche, erfuhren ihren Status unweigerlich durch die Größe und Beschaffenheit ihrer Hütte. Nach außen sichtbar. Sie erfuhren es am Mobiliar, am Parkett oder nur PVC-Fußboden, an vorhandenen oder nicht vorhandenen Gardinen, an der Größe und Qualität der Handtücher, am Geschirrbestand und diversen anderen kleinen, doch schmerzhaften Unterschieden.

      Besonders unter den Ehefrauen der Oberkönige wurden diese Unterschiede so oft wie möglich klargestellt. Die Ehefrauen der Poliere verfügten nur über Biergläser in ihren Küchenschränken. Verständlich, denn Poliere, welche die selbsternannten Könige waren, saufen gewöhnlich und zwar nur Bier. Das wusste jeder. Das bestimmte ihre Gewöhnlichkeit.

      Die Mittelschicht bekam Wasser- Bier- und Weingläser. Die Oberschicht erfreute sich zusätzlich an Likör- und Sektgläsern. Nun war es schwierig, den Obersten der Oberen am Bestand der Gläser auszuweisen, also hatte man zu den Sektgläsern auch Champagnerschalen gestapelt. Es gab „super king size beds“, „king size beds“ und ganz normale Betten. Karl gehörte in die höhere Kategorie, etwas über der mittleren, längst nicht in die höchste. Peruanische Bürohilfskräfte hatten klappbare Bettgestelle zur Verfügung, die in einer Gemeinschaftshütte aufgestellt wurden. Die Trabajadores, schliefen im Straßengraben in ihren handgewebten Decken, deren Wolle vom Alpaka stammte, jenen Lamas, die