Gabriele Plate

Im Galopp durchs Nadelöhr


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balancierte sie durch das Wasser zum Telefon und rief den Notarzt des Camps an, dessen Nummer auf einem kleinen Zettel an der Wand befestigt war. Karl riss sich ungläubig aus seiner Benommenheit, als er vernahm, dass sie in perfektem Englisch dem Aushilfsarzt, der unverständlicherweise kein Spanisch sprach, die Verletzungen erklärte. Zwei Rippenbrüche und wahrscheinlich ein Milzriss. Und ja, sofortige ärztliche Hilfe sei schon erforderlich, da innere Blutungen möglich seien, auch wenn er, der Señor Medico, im Moment sehr viel zu tun hätte.

      Sie beendete das Gespräch mit Karls vollem Namen, Titel, Stellung, Hausnummer und legte den Hörer auf. Dann verlor Karl das Bewusstsein. So kam es, dass er zum zweiten Mal an diesem Tag in dem Rettungshubschrauber mitflog. Er hing am Tropf und wurde mit einem Schwerverletzten der Baustelle in eine Privatklinik nach Chiclayo geflogen. Nach vierzehn Tagen gelang es ihm wieder, unter relativ geringen Schmerzen, normal zu atmen, und er konnte sich, wenn auch nur mit Mühe, alleine ankleiden.

      Der Milzriss hatte sich bestätigt, ebenfalls die Rippenbrüche, innere Blutungen hatte der Sturz nicht mit sich gebracht. Ihm war für die nächsten zwei Monate jede kleinste körperliche Anstrengung strengstens untersagt. Die Heilung der Milz brauche Zeit und Ruhe, hieß es. Zur Stabilisierung des Torsos trug er ein Korsett. Den Rückflug nach Europa, der ihm von der Firmenleitung angeboten worden war, um sich deutschen Ärzten und einer deutschen Rekonvaleszenz zukommen zu lassen, hatte Karl abgelehnt. Was sollte er in Deutschland, da wartete niemand auf ihn, weder seine geschiedene Frau, noch sonst jemand. Diese Exfrau war außerdem der letzte Mensch, dem er jetzt nahe zu sein wünschte, jeder Kilometer mehr Distanz zu ihr, erfreute ihn. Einer der Gründe, warum er sich um diesen Auslandsjob in Peru beworben hatte. Er rief sich das letzte Jahr seiner Ehe in Erinnerung.

      Während er tagsüber, im Büro und auf den Baustellen, seinen Job in Deutschland gewissenhaft und mit echtem Interesse ausgeführt hatte und nachts in seinem Arbeitszimmer, im Kellergeschoss seines noch hoch verschuldeten Einfamilienhauses, an der Schlussformulierung seiner Dissertation herumgedoktert und an den Wochenenden Wände gestrichen und das Fertigparkett montiert hatte, zog sich seine unzufriedene Ehefrau eine hartnäckige Magenschleimhautentzündung zu. Sie aß ausschließlich basisch, nach Tabelle, rauchte aber heimlich und schlich grün um die Nase, sich den Bauch haltend durchs Haus, auf der Suche nach seiner Aufmerksamkeit.

      Er durchwühlte ihre Verstecke, fand das Gesuchte und krümelte mit zorniger Miene, Packung für Packung, die Tabakstangen in die Kloschüssel. Karl war fanatischer Nichtraucher. Der gemeinsame Tangounterricht fiel immer öfter aus, bis er ganz im Sande verlief.

      Eines Abends schob seine Frau das Neutralisierungsmittel der Magensäure in ihre Handtasche, stellte die nagelneue Spülmaschine auf den höchsten Waschgang und verließ in ihrem gewagten Tangodress, geschlitzt bis zum Bund, den ehelichen Kriegsschauplatz. Zweimal wöchentlich tänzelte sie zum Tangokurs. Kerzengerade, von nun an ohne Karl. Ihr neuer Tanzpartner praktizierte die Varianten eleganter als Karl, und er zeigte sich sensibler ihrer Klagen gegenüber. Nicht lange, und der gemeinsame Tanz fand seinen Höhepunkt im fremden Bett.

      Karl bemerkte die regelmäßige, stundenlange Abwesenheit seiner unzufriedenen Ehefrau nicht, sie wusste ihren Ausgang immer kurz vor Mitternacht zu beenden. Das grünlich graue Gelb ihrer Wangen hatte sich in ein sanftes Rosa verwandelt, auch das bemerkte Karl nicht. Ebenso entging es seiner Wahrnehmung, dass sie nicht mehr gekrümmt durchs Haus schlich.

      Karl hatte nichts an sich zu bemängeln. Schließlich hatte er dreimal einen Landesbezirkssieg im Tennis-Einzel errungen und einmal ein Doppel. Eine begehrte Medaille in Leichtathletik, aus jüngeren Zeiten, gab es auch. Der Flip-Flap gelang ihm immer noch. Er war fit und einsvierundneunzig groß, und er hatte den Doktortitel so gut wie in der Tasche. Was gab es da noch an ihm auszusetzen?

      Er mochte schlanke, große Frauen, hatte aber eine geheiratet, die mit den Jahren etwas birnenförmig geraten war. Das Motiv, warum er sie einst geehelicht hatte, war von den Geschehnissen der Vergangenheit geschluckt worden. Als er sie in einer heftigen Auseinandersetzung auf ihren zu kräftigen Sitzbereich und stämmige Beine aufmerksam gemacht hatte, Beine, die seines Erachtens lächerlich wirkten beim Tango, ließ sie ihrer Frustration freien Lauf. Besser kräftige Beine als einen langweiligen Stängel zwischen den Beinen, der gerade zum Pinkeln reicht, konterte sie giftig.

      Der eheliche Beischlaf war kein Vergnügen, beidseitig nicht, er war mühevoll und zur Pflicht verkommen. Seit seine Frau ohne ihn den Tango genoss, hatte sie erfahren, dass es auch lustvoller zugehen konnte.

      Die unerschütterliche Kraft der Gewohnheit unterstützte Karls Eheleben. Es hatte sich kein Gefühl der Blamage mehr in ihm geregt. Keine Schmach, keine Panik, schon lange nicht mehr. Nicht bei dieser Frau, nicht mit ihr!

      Weil sein Penis gelegentlich beim Beischlaf nicht auf die Schnelle in die Gänge kam, nicht so, wie der Anspruch es verlangte, hatte seine Exfrau ihn Klüngelmännchen getauft, wie primitiv sie doch war!

      Sie benutzte dieses Wort mit forciert zärtlichem Ton. Wenn sein Glied ihm dann letztlich doch zur Seite stand, verflog seine spärliche Lust auf sie, beim Ton ihrer Stimme. Seine Erektion brach ab, sein Penis verkroch sich. Er bat sie, beim Liebesakt den Mund zu halten, außerdem sei sie frigide. Nun sollte es ihre Schuld sein, dass er schlupfte?

      Dieser Angriff vertrieb ihren früheren Impuls, ihn zu trösten, vollends. Sie wurde bissig und nörgelte nur noch.

      So verstrickte sich einstige Zuneigung in gegenseitige Vorwürfe und Beleidigungen, man eilte dem Ende der Ehe entgegen, einem viel zu lange hinausgezögerten Entschluss, sich dieser jahrelangen Qual zu entziehen.

      Karl verließ das gemeinsame Heim, er sah seine Frau erst vor dem Scheidungsrichter wieder. Die Trennung der Güter dauerte etwas länger als die Trennung der Gemüter. Die Schulden wurden nicht geteilt, die hatte Karl zu übernehmen. Sozusagen ihr Schmerzensgeld, da ihm seelische Grausamkeit vorgeworfen worden war. Von der Richterin beschlossen. Denn Karl wollte keine Kinder, er hatte versäumt es seiner Frau vor der Hochzeit mitzuteilen und es auch ahnungslos ihrem Anwalt bestätigt. Er hatte ein verdammtes Recht darauf, kinderlos bleiben zu wollen. Warum sollte er das nicht zugeben, wenn man ihn danach fragte? Den Arbeitsvertrag für Peru, mit dem doppelten Gehaltsangebot, unterschrieb er erst einige Monate nach der Scheidung. Von nun an überrollte ihn der Geiz. Nicht mit sich selbst, sondern mit den Frauen, die sich um ihn scharten, an ihm picken wollten, wie die Elstern. Doch er würde sich nicht mehr ausnehmen und bestehlen lassen. Damit sie ihn zum Dank verspotteten? Langweilig also, er und sein Ding da?!

      Langweilig, das hatte auch eine bildhübsche Tippse aus dem Büro behauptet, nach seiner Weigerung, sie zu ehelichen. Mit ihr hatte es wunderbar geklappt, er wollte keine Ehefrau mehr.

      Karl hatte sich einen Ratgeber für den betrogenen Mann besorgt. „Lernen Sie, nein zu sagen, genau dann, wenn ein Weib von Ihnen fordert“, stand dort geschrieben. Fettgedruckt. „Lernen Sie zurückhaltend, besser noch, geizig zu sein mit der Äußerung Ihres Verlangens und besonders mit dem Zücken ihrer Geldbörse. Und Sie werden erleben, wie gut es Ihnen wieder geht.“

      Er bezahlte fortan nur die Hälfte der Hotel Rechnung, wenn er sich mit einer Frau eingelassen hatte, die Hälfte des Abendessens oder sogar der Spritkosten, wenn er etwas unternahm mit einer jeweiligen Errungenschaft. Er teilte bewusst bis auf zwei Stellen nach dem Komma, und wenn er zusätzlich eine Flasche Wasser bestellt hatte, konnte er großzügig mit verhaltenem Genuss verlauten lassen, mit knappen freundlichen Worten darauf hinweisen, dass dieses Getränk auf seine Kosten ginge.

      Nun war sein größter Makel, nach Meinung der Frauen, nicht mehr das Klüngelmännchen, sondern der Geiz. Das vergnügte ihn, außerdem sortierte dieses erlesene Verhalten, schon nach dem ersten gemeinsamen Abendessen, die Schmarotzerinnen aus. Man wusste gleich, bei ihm war nichts zu holen. Die Schar der Elstern schmolz dahin.

      Karl hatte den Zweijahresvertrag unterschrieben, ohne genau zu wissen, auf was er sich dabei einließ. Er wollte einfach nur raus aus dem ganzen Weibergetue, den Schmeicheleien und anschließenden Vorwürfen und Beleidigungen. Er wollte seine Ruhe haben, einen interessanten Job und die Welt kennenlernen. Zunächst einmal Peru. Er fühlte sich ausgezeichnet ohne seine Exfrau und ohne das lästige Gespenst der Verantwortung. Zu seinem Ärger musste er sich aber nach kurzer