Gabriele Plate

Im Galopp durchs Nadelöhr


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des Nachbarhauses, vorsichtig erkundet und übernommen. Dazu gehörte auch, der stets feuchte Putzlappen vor der Eingangstür. Dieser nicht wegzudenkende Türhüter vor jeder Hütte, wurde sorgsam um die Fußmatte geschlungen, mit der Absicht, das Innere des Hauses vor Sand zu bewahren. Was nicht möglich war.

      Das Camp war einem ständig anhaltenden Wind ausgesetzt, und die Fugen der Fertigbauteile boten der feinen Sandkörnung bereitwillig Einlass in die Häuser. Ein Sandfilm legte sich über die gebohnerten Fußböden, jeden Tag aufs Neue. Wenn der Wind von Westen kam und noch stärker wehte, konnte man mit bloßem Finger seinen Namen oder kleine Kritzeleien auf den Esstisch in den Sandteppich zeichnen. Dann residierte der Sand auch in den Betten, ob super king size oder nicht.

      Luz del Mar war die Notwendigkeit des Putzlappens nicht ersichtlich, er war ihr lästig. Sobald dieses Stoffteil trocknete, schob der starke Wind Falten hinein, man stolperte. Außerdem verlangte es der gute Ruf, ihn dauernd angefeuchtet, glattgezogen und sauber zu halten. Trotzdem, auch sie wickelte diesen zweifelhaften Helfer um die Fußmatte vor Karls Häuschen und zog ihn glatt. Als die Regenzeit einsetzte, lag der Lappen jeden Morgen irgendwo im Schlamm versteckt. Nun benötigte man den halben Tag, um die Baracken trocken zu legen. Luz del Mar hatte weitaus stärkere Regenfälle erlebt, erheblich verheerendere.

      Draußen herrschte schon eine beachtliche Schlammwüste, der Regen hatte an diesem Tag aufgehört. Die Mädchen aus den Dörfern warnten und meinten, das sei erst der Anfang! Sie sprachen von dem zu erwartenden Chaos des „Niño Jahres“.

      Die Kinder der Ehepaare, die noch fest entschlossen waren gemeinsam auszuharren und sich durch eine Auslandbaustelle nicht trennen zu lassen, drückten sehnsüchtig ihre Gesichter an die beschlagenen Scheiben. Nur wenigen Kindern war es erlaubt in dem „Schmutz“ zu spielen.

      Am Nachmittag waren alle Wäscheleinen besetzt. Teppiche, Decken, Kleidung, sogar Tierfelle aus Safarizeiten hingen zum Trocknen. Auch die Begrenzungszäune der kleinen Vorgärten waren mit diesem Gut gesäumt. Schaumgetränkt, vom aus Deutschland eingeflogenen Tuba.

      Diese Schweinerei! Alles schlammig, nass und muffig. Und das, zwei Wochen vor Weihnachten! Die ganzen Vorbereitungen für die Festtage, und jetzt dieser Schmutz! Die Plätzchen waren auch noch nicht gebacken. Wo sollte man, um Himmels Willen, neues Geschenkpapier auftreiben!

      Am nächsten Tag, als alles sauber geschrubbt, gefegt und gerieben war, begann es wirklich. Keine Überraschung für die Bauern. Etwa alle zehn Jahre erwarteten die Einheimischen die Zerstörungen des Niño Jahres. Diese zehn Jahre waren längst überfällig. Sintflutartige Regenfälle stürzten auf durstige Wüstengebiete, noch mehr Elend für die Ärmsten. Todbringende Überschwemmungen und Erdrutsche, von den Göttern befohlen.

      Die Gringos wähnten sich, oben auf den befestigten Trassen der Berghänge, in ihren PVC-Hütten in Sicherheit. Weit weg vom Flussbett. Die Unkenrufe der Bauern überhörten sie getrost. Es herrschte die Überzeugung, dass sogar ein Erdbeben einen großen Bogen um das Bau-Camp machen würde.

      Gesammelte Flut wälzte sich unbeeindruckt, ohne den Bogen zu berücksichtigen, den Berg hinunter. Enorme Erdmengen, aus belebter oberer Verwitterungsschicht der Erdkruste, wurde aus dem vermeintlich erdlosen Gebirge der Geröllriesen gerissen und mitgeschleppt. Dieser Schlamm quoll in jedes Haus durch die blitzblanken Stuben und hinterließ ein Schlachtfeld. Die aufgeschütteten Erdterrassen, auf welche die Papphäuschen gebaut worden waren, erwiesen sich als nicht genügend verdichtet. Die Hütten schlingerten aus ihren Fundamenten und ließen die Fugen der Fertigbauteile auseinander driften. Ein Teil der Baracken rutschte einfach davon oder sackte in sich zusammen und erlag einem Schlammkollaps. Die deutschen Ingenieure hatten keine hintere Abflussmöglichkeit bedacht, als natürlichen Ausweg einer eventuell anfallenden übermäßigen Oberflächenwassermenge. Das Schlammwasser in den Hütten, die stehengeblieben waren, staute sich, der Druck war erheblich und ganze Rückwände brachen aus den Häusern. Niemand war ernstlich verletzt worden, nur ein paar Knochenbrüche, Quetschungen und großes Gezeter und Wehklagen der Señoras, um ihre verschlammten Schätze.

      Luz del Mar saß mit angezogenen Beinen auf dem Bett, auf Karls Bett. Sie knabberte versunken an gesalzenen Sonnenblumkernen, den “Pipas“, und ließ das Wasser durchs Haus eilen. An der hintersten Wand der Küche, im untersten Bereich des Hauses, strömte es wieder hinaus. Dort hatte sie, mit einem im Geräteschuppen gefundenen Vorschlaghammer, ein großes Loch geschlagen. Ein für sie zufriedenstellendes Plätschern belebte das Haus, das die Götter offensichtlich verschont hatten.

      Unermüdlich drang das Geschrei und Gejammer, wie aus weiter Ferne von draußen, bis in Karls Schlafzimmer. Luz del Mar hatte keine Angst, sie vertraute ihrem Schicksal und schlief erschöpft und beruhigt ein.

      Karl war vor zwei Tagen mit dem Oberkönig nach Lima gefahren, zu einem wichtigen Meeting der peruanischen Consulting Firma. Es gab Probleme mit der Finanzierung für den nächsten Bauabschnitt. Karl würde vor Ende der Woche nicht zurück sein, er hatte Luz angeboten, während seiner Abwesenheit in seinem Haus zu übernachten, um sich den nächtlichen Heimweg zu ersparen. Dieses Angebot hatte sie abgelehnt.

      Plötzlich stand er knöcheltief im Schlamm vor seinem Bett, vor ihr. Er war mit einem Helikopter des Katastropheneinsatzes frühzeitig zurückgekommen.

      Luz del Mar hatte sich des größten Teils ihrer völlig durchnässten Kleidung entledigt und war lässig in das aufgeknöpfte Oberteil seines Schlafanzugs gehüllt. Er erhaschte einen Blick auf einen Teil ihrer Brüste und ihren Bauchnabel. Dass ihn dieser Bauchnabel so sehr in den Bann zog, ihn praktisch paralysiert hatte, ärgerte ihn später ungeheuer. Dieser Anblick machte ihn für lange Sekunden wort- und handlungsunfähig. Er stand da wie verwurzelt und starrte auf ihren von unerwartet heller Haut umschmeichelten Nabel. Dort steckte ein ungewöhnlich großer Diamant, der ihn frech anblinkte.

      Karl war Geologe, kein Edelsteinexperte, doch er glaubte zu erkennen, dass dieses vielfältige, beinahe farbige, in feines Gold gefasste Glitzern, das ihm aus diesem Nabel durch wolkenverhangenes Nachmittagslicht entgegenstrahlte, von einem echten Diamanten stammte. Er schlich sich vorsichtig aus dem Zimmer.

      Draußen vor der Haustür polterte er laut herum, schimpfte auf den Schlamm- und Regensturz und rief nach ihr, ohne ihren Namen auszusprechen. Hallo, komm her, wo steckst du denn, bist du da?

      Wenige Minuten später kam sie ihm in einem Paar hochgerollter Jeans, seiner Jeans, und seiner zugeknöpften Schlafanzugjacke entgegen. Sie war nicht erschrocken, nicht eilig, nicht verwirrt, sie lächelte und sprach ihn mit verschlafener Stimme an. Schon zurück, Señor Ingeniero?

      Er sah zum ersten Mal ihre geöffnete kupferrote Haarpracht, die sie, noch während sie das knöcheltiefe Wasser im Wohnbereich durchwatete, mit einem nassen Socken zu bändigen suchte. Hier also steckte das Kupfer zu dem Patinagrün des feinen Rings in ihren Augen.

      Sie band alles schnell und geschickt zu einem Knoten zusammen, und ehe Karl seinen Speichelfluss bewältigt hatte, war das Haar unter einem Kopftuch verstaut. So wie immer. Manchmal trug sie eine Mütze oder einen Hut, auch im Haus. Niemals zuvor hatte er ihr Haar gesehen. Ihre verschlafene Stimme wirkte wie ein Aphrodisiakum auf ihn. Er machte einen hastigen Schritt auf sie zu, wollte dieses Wesen, das Ideal seiner Fantasie, an sich pressen und abküssen. Freude und Begierde ließen ihn den schlammigen Grund vergessen.

      Ein Schritt, nur ein etwas zu großer, zu eiliger Vorwärtsschritt. Er rutschte aus und fiel unglücklich auf die Betoneingangsstufe, die den Rand des Fundaments der Hütte bildete. Es gab nur diese eine Stufe im ganzen Haus, mit einem übel scharfkantigen seitlichen Vorsprung versehen.

      Da lag er nun, mit schmerzverzerrtem Gesicht im Schlamm, zu Füssen seines fünfzig Dollar Dienstmädchens. Sie half ihm auf die Beine, was sich als sehr schwierig erwies. Sie berührte ihn vorsichtig, griff seinen Arm. Er zuckte zurück, schrie vor Schmerz, den seine plötzliche Bewegung erhöht hatte und sackte zurück, nieder in die schlierige Pfütze. Sie versuchte es erneut, half ihm auf das feuchte, sich von unten auflösende king size Sofa. Sie zog mit ungeheurer Vorsicht sein Hemd in die Höhe und betastete seine linke Leibseite. Karl lag da und stöhnte vor Schmerz, er atmete flach und kurz. Sie legte ihr Ohr auf seinen nackten Bauch und schloss die Augen. Er glaubte ohnmächtig zu werden