Gerd-Rainer Prothmann

Blume des Bösen


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schon ihre ganze Verstellungsbegabung, um ihn nicht merken zu lassen, wie sehr sie ihn verachtete. Ihr Charme war bei ihm wirkungslos. Er war provozierend uninteressiert an ihrer Attraktivität, der sich sonst kaum jemand entziehen konnte.

      Fünfunddreißig war sie jetzt. Eine ungewöhnliche Schönheit mit hellgrünen mandelförmigen Augen und kräftigen Augenbrauen, deren Wirkung durch die milchkaffeebraune Farbe ihrer Haut noch hervorgehoben wurde. Dunkelbraune Locken im Angela-Davis-Look umrahmten ihr Gesicht wie ein Helm. Die vollen Lippen verzog sie gern zu einem leicht ironischen Lächeln und ließ dabei eine Reihe großer weißer Zähne sehen, von denen ein paar aus der Reihe tanzten. Sensibel geschwungene Nasenflügel milderten den leicht plumpen Eindruck ihrer etwas zu runden Nasenspitze.

      Sie war groß, eins fünfundachtzig, und hatte einen durchtrainierten, schlanken Körper.

      Schon früh hatte sie ihre Wirkung auf Männer ausgenutzt.

      Ihre ersten sexuellen Erfahrungen hatte sie mit zwölf. Noch hatte sie mit keinem geschlafen. Sie war aber schon äußerst geschickt mit den Händen und brachte den Jungen bei, sich am Strand ein Loch zu buddeln, um sich statt mit ihr mit der großen Mutter Erde zu vereinigen.

      Darauf durfte sich aber keiner etwas einbilden. Größere Gefühle blieben für ihren Vater, Fidel und die Revolution reserviert.

      Auch José Reyes nicht. Ihr Gesangslehrer. Der war schon sechsundzwanzig und durfte sie auf ihren Wunsch in der Instrumentenkammer entjungfern. Wenn er hinter ihr stand und ihr Zwerchfell kontrollierte, ob sie auch mit Stütze sang, hatte er stets eine gewaltige Erektion. Und Laura wollte unbedingt von einem richtigen Mann entjungfert werden.

      Damals war sie dreizehn.

      Aber sie war kein berechnendes Luder. Bei allem, was sie tat, besaß sie eine natürliche Würde.

      Mit fünfzehn war sie schon eine kleine Berühmtheit. Wegen ihrer außerordentlichen Musikalität, ihrer Intelligenz und auch wegen ihrer Schönheit. Man sagte ihr damals eine große Karriere als Sängerin voraus.

      Der graue Wollschal, den sie sich um den Kopf gebunden hatte, war mittlerweile total durchnässt. Sie nahm ihn ab, wrang ihn aus und behielt ihn in der Hand. Zum Schutz vor Regen hätte sie ihn nicht gebraucht. Wie beim Vogelgefieder perlte der Regen von ihren vollen Locken einfach ab. Sie ging in eine Nebenstraße. Niemand war zu sehen. Als hätte der Regen alle weggespült. Auch bei Sonnenschein hätte sie nicht mehr Leute gesehen. Hier waren die Wohnungen Verstecke. Anders als in Kuba. Dort war alles zu sehen. Dort versteckte man sich höchstens vor der Sonne. Sie vermisste den ständigen Austausch von Blicken. Diese unverhohlene Neugier aufeinander. Die sinnliche aufdringliche Körperlichkeit.

      Der Regen war stärker geworden.

      Wie in Kuba, wenn die plötzlichen Regengüsse durch die undichten Fenster und Dächer der baufälligsten Häuser schlugen und die Leute ihre wackeligen Möbel notdürftig mit Plastikbahnen abdecken und schnell alle Stecker aus den Steckdosen ziehen mussten, um Kurzschlüsse zu vermeiden.

      Damals liebte sie es, wenn abends nach dem Essen das wütende Trommelfeuer der heftigen Regengüsse die lauten Geräusche, Stimmen und Musikfetzen übertönte, die durch die geöffneten Fenster drangen und die Gluthitze Havannas etwas erträglicher machte. Dann kuschelte sie sich an den Vater, der im Schaukelstuhl saß und bettelte um eine Geschichte aus der Revolution.

      Das waren ihre Gutenachtgeschichten, zu denen der Regen den prasselnden Rhythmus trommelte.

      Der Nieselregen hatte sich zu einem unangenehmen Dauerregen verstärkt. Jetzt war sie doch froh, endlich das Haus gefunden zu haben.

      Es sah aus, wie die meisten in Ost-Berlin. Abgebröckelte Fassaden, deren Verfall niemand ernsthaft aufzuhalten versuchte. Die schrundige Haustür war nicht abgeschlossen. Laura stieg die ächzenden Stufen hinauf zu der Mansardenwohnung, die Horleder ihr am Telefon beschrieben hatte.

      *

      Ein Redaktionskollege hatte Hans Ronstaedt von dem kleinen Jazzkeller in Ost-Berlin erzählt.

      Eine ehemalige Hinterhofschlosserei. Ausgetretene Steinstufen. Braune Rost- und Brandspuren vom Schweißen auf dem Fußboden. Dellen von Hammerschlägen. Kreuz und quer stehende Stühle und Tische wie in Probenräumen von Theatern.

      In einer Ecke ein riesiger Amboss auf einem groben Eichenklotz. Eines der Relikte, die den Namen »Jazzschmiede« für den Club nahegelegt haben mussten. Die verrußte Feuerstelle diente als Kamin und war im Winter die einzige Heizquelle für den Raum. Leere Bierfässer stützten die mit Baubohlen improvisierte Bühne ab.

      Seit einem Monat spielte dort eine zusammengewürfelte Gruppe mit einem südamerikanischen Klarinettisten und vor allem mit Laura Canela, einer kubanische Sängerin. Sie hatte eine eigenwillige Stimme. Schmutzig und rockig und dabei trotzdem fähig zu mühelos geschmeidiger Phrasierung.

      Sie bewegte sich auf der winzigen Bühne mit der Grazie einer Königin.

      Er schaute nur noch auf sie, nur noch auf das, was sie tat. Er wurde zum regelmäßigen Besucher des Clubs.

      Er saß immer möglichst weit vorne und wagte fast nicht mehr zu atmen, als sie eines Abends plötzlich mitten in einem intensiv gesungenen Blues ihre Augen öffnete und scheinbar endlos seinen Blick erwiderte.

      Verlegen schaute er sich um, ob der Blick nicht doch jemandem hinter ihm galt. Aber nein. Nur er konnte gemeint sein. Selbstironisch registrierte er, wie sein Blutdruck gefährliche Grenzwerte erreichte.

      Hans war kein schöner Mann. Aber er hatte eine ihm zwar bewusste aber nicht erklärliche Attraktivität für Frauen.

      Er war fast eins neunzig groß, hatte volles dunkelblondes Haar und eine hohe Stirn. Das Auffälligste an ihm waren die blau-violetten großen Augen, die immer einen leicht traurigen Ausdruck hatten.

      Sein Blick suggerierte eine Intensität, die die meisten Frauen wohl veranlasste, einen zweiten Blick zu suchen.

      Er war schlank aber kräftig gebaut und ging ganz leicht nach vorn gebeugt. Kein Aufreißer. Im Gegenteil. Die Initiative ging immer von den Frauen aus. Aber er war sensibel genug, das kleinste Zeichen von Interesse zu registrieren und zu nutzen.

      Die sich daraus ergebenden Erlebnisse, auf die er sich immer wieder einließ, wurden von ihm nie planvoll gesteuert. Aber wenn er eine der vielen Gelegenheiten nutzte, aus seiner Ehe auszubrechen, entwickelte er ein gehöriges Geschick beim Verschleiern der Seitensprünge. Dann schaffte er es sogar, der Redaktion des Tagesspiegels Kritiken über Aufführungen aufzuschwatzen, die weit genug entfernt stattfanden, damit eine Übernachtung notwendig wurde.

      Gerade bei diesen Kritiken gelang ihm ein so sensibles Brio, eine so farbig dichte Schilderung der Theaterfiguren und der schauspielerischen Leistungen, dass nicht einmal der böswilligste Zweifler auf die Idee kam, er könnte nur einen Vorwand gesucht haben.

      Diese Sängerin aber machte ihn mit einem Schlag zu einem pubertierenden Jüngling, der zum ersten Mal einer schönen Frau begegnet. Ganz im Gegensatz zu seinen sonstigen Erfahrungen mit Frauen folgte aus den Blicken an diesem Abend nichts. Er war wohl doch nicht gemeint. Aber die nächsten Freitage versäumte er nicht, wieder in den Club zu kommen. So früh, dass er immer ganz vorne sitzen konnte.

       *

      »Wolln Se hia vielleischt übawintan?«

      Hans schreckte zusammen. Er hatte den Volkspolizisten gar nicht bemerkt, der an sein rechtes Wagenfenster geklopft hatte und nun misstrauisch durch die heruntergekurbelte Scheibe ins Wageninnere schaute.

      »Nein, nein«, beeilte sich Hans etwas zu beflissen. »Ich warte nur auf jemand!«

      »Um vierundzwanzisch Ua müssen Se wido trüben sein!«

      »Ich weiß«, versicherte Hans ihm folgsam.

      Er hatte noch eine halbe Stunde Zeit.

      Er kam sich albern vor. Aber heute wollte er die Sängerin unbedingt ansprechen. Die letzten drei Wochen hatte er gierig wie ein Süchtiger nach dem nächsten Schuss auf