ließ Mia nicht eine Sekunde den Blick von der dicken fetten Spinne, die, schwarz glänzend, an der Decke hing.
Ihr Netz war fehlerlos gesponnen, und die Spinne selbst, saß lauernd darin. Nicht auch nur eines ihrer haarigen Beine bewegten sich.
»Mia, was, willst du, dass ich wegmachen soll?«, fragte die Oma, obwohl sie sehr genau wusste, was es war, das Mia so beunruhigte.
Mias Augen huschten schnell zu ihrer Oma hinüber, und sofort wieder zu der Spinne zurück. Sie durfte sie auf gar keinen Fall aus den Augen lassen!
»Die Spinne, Omi! Du musst die Spinne wegmachen. Mach´ sie kaputt, damit sie endlich fort ist, und mir nichts tut.« antwortete die Kleine ängstlich.
Oma Karin schüttelte den Kopf. »Aber, Mia, die Spinne macht dir doch gar nichts.«
»Doch!«, jammerte Mia, und ihre Lippen bebten.
»Komm her, Schätzchen, und setz dich auf meinen Schoß.« Sie streckte ihrer Enkeltochter die Arme entgegen und zog sie zu sicher heran, herüber auf ihren Schoß.
Mias Oma neigte den Kopf nahe an Mias Ohr, und flüsterte: »Hast du denn noch niemals von kleinen Spinnen gehört, und wie viel Angst sie doch haben?«
Mia schüttelte stumm den Kopf, auch dabei wandte sie ihren Blick keinen Millimeter von dem hässlichen Vieh an der Decke ab.
Die Omi lächelte. »Dann werde ich dir jetzt einmal die Geschichte einer kleinen Spinne erzählen. Möchtest du das?«
Klein-Mia verzog das Gesicht und machte ein Schnütchen. »Ich weiß nicht...«
»Gut, aber ich weiß es.« Die Großmutter sah zu der Spinne hin, und begann leise zu erzählen...
… und während ihre Oma ihr die Geschichte über eine Spinne erzählte, hielt Mia die Spinne an der Decke gänzlich mit ihrem Blick gefangen...
α
1. Ambrosia
Das wattebauschähnliche Netz platzte auf und es hudelte und wuselte in alle Richtungen.
Ambrosia fiel auf den Kopf und wäre von ihren vielen Geschwistern überrannt worden, hätte sie sich nicht schnell zur Seite gekullert.
Eins ihrer acht Beinchen fuhr nach vorne und rieb über ihren Kopf.
»Hey, passt doch auf!«, rief sie empört.
Über ihr verdunkelte sich ihre kleine, neugeborene Welt. Erschrocken zitterte ihr Blick ängstlich nach oben, als die Worte, wie dahingeworfene Zuckerwürfel, auf sie hernieder prasselten.
»Ambrosia, wenn du nicht aufpasst, dann bist du schneller Matsch, als du nur grumpf machen kannst!«
Ambrosias Blick kroch geduckt den dunklen schwarzen Kopf entlang.
Tiefschwarz glänzende Augen sahen sie an.
Was für ein Blick!
War es ein drohender Blick?
Ihr Herz hämmerte bis hin in all ihren Beinchen, so dass die kleine Spinne wackelte, als würde sie auf einem Blatt, vom Wind davongetragen, stehen. Verkrampft presste sie zwei Beinchen fest an ihren winzigen Körper.
»Wer bist du? Und woher weißt du, dass ich ein Ambrosia bin? Wer sagt denn das?«, fragte sie, und plumpste auf ihren Bauch, aus lauter Angst vor dem großen Gesicht, das wie ein aufgespannter Regenschirm über ihr hing und hin- und herschaukelte.
Dumpfes Lachen schwoll über den Kopf der kleinen Spinne hinweg; und obwohl Ambrosia gerade dabei war, ihre acht Beinchen wieder zu sammeln und sich aufzurappeln, ließ das Lachen sie erneut erzittern, so dass sie nochmals auf ihrem Bäuchlein landete.
»Du bist kein Ambrosia.«, lachte die Stimme, und es klang freundlich, so dass die kleine Spinne glaubte, von einem Sonnenstrahl gestreichelt und geschaukelt zu werden; auch wenn Ambrosia bisher noch gar keinem Sonnenstrahl begegnet war noch das sie bisher einen gesehen hatte.
Der Atem der Stimme wehte über sie hinweg, als sie weitersprach: »Du bist eine kleine Spinne und dein Name ist Ambrosia.«
Die Augen der winzigen Spinne wurden größer und größer, kullerten rauf und runter; beinahe wäre Ambrosia schwindlig geworden, so sehr bewegten sich ihre Augen, mehr und mehr, immer unruhiger.
»Eine Spinne bin ich also? Hm, woher weißt du das? Und wer hat dir denn verraten, wie ich heiße? Das hab´ noch nicht einmal ich gewusst.« hauchte Ambrosia und beugte den Nacken, um das große dunkle Gesicht besser sehen zu können. Immerhin, ein Gesicht, das so eine warme Stimme hatte, konnte unmöglich böse sein.
Das Lachen fiel auf Ambrosia herab, strich ihr über jedes ihrer Beinchen, bis es sich in ihrem pochenden Herzen niederließ.
»Kleine Spinne, du weißt doch gar nichts, so neu bist du auf dieser Welt.«
»Welt? Was ist eine Welt?«, Ambrosia schleuderten Worte um die Ohren, mit denen sie nichts anzufangen wusste. Sie lächelte das große dunkle Gesicht an. Vorsichtig, fast schüchtern, und wieder mit hämmerndem Herzen.
»Was eine Welt ist, willst du wissen?« Dieses Mal glich das Lachen dem Brummen eines Bären, der sich gemütlich seine Pfote schleckte, nachdem er sich vom Honigtopf bedient hatte.
Ambrosia nickte nur.
»Die Welt, Ambrosia, ist all das um dich herum. Die natur, die Tiere, Insekten, Bäume, Menschen und noch so vieles mehr. All das, in das du hineingeboren bist.«
»Ah, hm, so ist das.« antwortete die kleine Spinne kleinlaut, und verstand dabei kein Wort.
Woher hätte sie auch wissen sollen, was eine Welt, Menschen und all das andere waren; immerhin, sie war ja mal gerade einige Minuten alt.
Die Stimme lachte wieder warm und herzlich. Sie wusste, dass Ambrosia nichts verstand. Mit einem Bein strich sie über die zitternde kleine Spinne. »Ich bin deine Mutter, Ambrosia.«
»Mama?«, hauchte das zitternde Etwas; dann wieder: »Mama!« Ihr Herz hüpfte rauf und runter, am liebsten hätte Ambrosia es festgehalten, aus Angst, es womöglich noch zu verlieren.
Die große Spinne nickte, und dieses Mal konnte Ambrosia die beiden Scheren ihrer Mutter, die an beiden Seiten neben ihrem Mund klapperten, sehen. Wie Eckpfeiler stachen sie hervor.
Ein Griff, ein Biss, … und mein Kopf ist ab, durchfuhr es die kleine Spinne.
»Wir beide werden uns zwar gleich wieder trennen, denn du musst lernen, in der großen weiten Welt alleine zurechtzukommen, dennoch will ich es nicht versäumen, und dir ein paar gute Ratschläge mit auf den Weg geben.« Der Kiefer der Spinnenmutter mahlte.
»Gut gemeinte Ratschläge, kleine Spinne, ist das, was Eltern immer für einen haben; am meisten aber die Mütter.« zwitscherte eine Meise, die über die beiden Spinnen hinwegflog, Ambrosia zu.
Ambrosias Kopf ruckte hoch. Mit zusammengezogenen Schultern stand sie da. »Wer bist du?«, rief sie dem Vögelchen nach.
»Eine Meise, und ich bin gerade dabei, mir mein Frühstück zu suchen.« kam es von dem Vogel zurück, dessen letzten Worte der Wind, den die Meise mit ihren Flügeln verursachte, sanft davon und hin zu Ambrosia trug.
2. Erste Schritte in die Welt
Mutter Spinnes Blick schwebte, zusammen mit ihrer rauchigen Stimme, auf Ambrosia herab. »Kleines, so leid es mir auch tut, aber unsere Wege müssen sich jetzt trennen, denn du musst lernen, in der Welt zurechtzukommen und erwachsen zu werden.«
»Erwachsen?«, wunderte sich die kleine Spinne.
»Was ist das?«
Und noch bevor ihre Mutter antwortete, legte sich ihr warmes Lächeln um Ambrosia und hüllte sie mit ihrer Wärme ein.