Peter Stockfisch

519 Park Avenue


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uns gehen jetzt insbesondere Merril Lynch und Citigroup auf dem Zahnfleisch, von Fannie Mae und Freddy Mac ganz zu schweigen; denen greift aber natürlich die Regierung kräftig unter die Arme. Ich fürchte, auch für Morgan Stanley, Goldman Sachs und Lehman Brothers kann es noch ungemütlich werden. Und die Deutschen sind auch noch nicht aus dem Schneider.”

      Thomas Kirsten war natürlich froh, dass er diese Risikopapiere nie in Engelhards Portfolios genommen hatte. Er war manchmal dafür kritisiert worden, auch von Lars Bergstraesser. Die Branche hatte nämlich klotzig mit diesen Subprime Loans verdient. Vielleicht war es sein Background als traditioneller deutscher Banker, der gelernt hatte, die Finger von Produkten zu lassen, die er nicht ganz versteht. Und dies war hier der Fall. Die anderen verstanden diese ‘synthetischen’ Produkte oder das structured finance, wie es auch schönfärbend genannt wurde, zwar auch nicht, aber keiner wollte es zugeben.

      “Goldman Sachs wird, so denke ich, mit einem blauen Auge davon kommen. Wie du sicherlich auch gehört hast, haben die den Markt nämlich getrickst. Während sie den Investoren in der ganzen Welt diese Subprime Mortgage Bonds in Milliardenhöhe andrehten, haben sie sich selber dagegen versichert, wissend, dass diese faulen Papiere höchstwahrscheinlich notleidend werden würden.”

      “Ja, das war ziemlich übel. Und sie haben damit den größten Versicherer der Welt, A.I.G., bei dem sie sich abgesichert hatten, womöglich an den Rand seiner Existenz gebracht.”

      “Und die Ratingagenturen haben da kräftig mitgespielt. Ohne die hätte Goldman Sachs nicht so ein leichtes Spiel gehabt. Es ist schon beschämend, wie die den meisten dieser Papiere ein Triple-‘A’ geben konnten.”

      “Ja, unglaublich. Natürlich hat da auch eine Rolle gespielt, dass die Ratingagenturen von denen bezahlt wurden, die diese Papiere kreiert und verkauft haben.”

      “Mir hat kürzlich jemand, der bis vor kurzem bei Standard & Poors gearbeitet hat, erzählt, dass bei den Ratingagenturen auch nicht unbedingt die Smartesten mit dem höchsten IQ arbeiten. Die gehen zu den Investmentbanken. Bei den Agenturen finden sich eher die Bürokraten. Und die haben die Konstruktion dieser Bonds nicht richtig verstanden. Sollten sie vielleicht auch gar nicht.”

      Thomas konnte sich immer noch ereifern, wenn er daran dachte, wie ungebremste Spekulation und mangelnde Kontrolle nicht nur eine ganze Branche an den Rand des Zusammenbruchs geführt hatte, sondern letztendlich Auslöser einer weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise geworden war.

      “Da kommt bestimmt noch etwas nach,” sagte Jeff.

      “Ja, aber du wirst sehen: Trotz eklatantem Fehlverhalten, man könnte auch sagen Betrug, wird keiner von den Brüdern ins Gefängnis wandern. Die kommen mit einer Geldstrafe davon, die sie aus der Portokasse bezahlen können,” machte Thomas seinem Ärger Luft.

      Es entstand eine kurze Pause. Dann wechselte Jeff das Thema.

      “Übrigens, Thomas, wie wollen wir vorgehen in Sachen CALO Solutions ? Ich denke, wir sollten hier noch ein wenig auf Zeit spielen.”

      Kirsten nickte.

      “Ja, obwohl ich verhalten optimistisch bin. Die Weltbank sagt für die US ein Wirtschaftswachstum von 2,2 Prozent für dieses Jahr voraus, 3,3 Prozent weltweit. Aber du hast Recht. Die Stimmung an den Märkten ist nicht gut. Und die Investitionsbereitschaft ist auf einem Tiefpunkt.” Er sah seinen CFO an. Sie waren, wie meistens, einer Meinung.

      “Vielen Dank, Jeff. Falls wir uns heute nicht mehr sprechen, schönes Wochenende !”

      Thomas Kirsten sprach am Telefon noch mit zwei Chefvolkswirten von großen Investmentbanken. Beide, eine Frau und ein Mann, waren sehr bekannt. Sie waren sehr hoch bezahlt, hatten Bücher geschrieben und gaben ihre Analysen regelmäßig bei CNBC zum Besten. Sie verfügten über ein hochkarätiges Team von Leuten, die ihr Rüstzeug in Harvard, Yale oder bei der LBS in London erworben hatten. Aber keiner von beiden hatte jemals eine außergewöhnliche ökonomische Entwicklung von Bedeutung vorausgesehen. Häufig lagen sie sogar recht schief in ihren Prognosen. Aber sie konnten beide brilliant erklären, warum es so und nicht wie vorausgesagt gelaufen war. Daher waren sie gefragt. Und sie wurden gefragt. Auch von Thomas Kirsten, der sie durch verschiedene Begegnungen bei Veranstaltungen persönlich gut kannte. Sie waren in der Lage, ein Komfortgefühl zu vermitteln. Und das war es, was Kirsten am Freitagnachmittag brauchte. Fazit der Experten: Das Schlimmste ist vorbei.

      Kirsten würde sich am Wochenende mit Bergstraesser besprechen. Leider war dies heute nicht möglich. Zu sehr schien sein Partner heute durch den Wind gewesen zu sein. Merkwürdig. So hatte er ihn noch nie erlebt.

      *

      “Hallo, Liebling. Wie sieht’s aus. Kommst du heute rechtzeitig raus ?”

      Meistens gingen sie am Samstag nicht ins Büro, aber bei Christina kam es hin und wieder vor, dass sie auch am Wochenende für ein paar Stunden in die Kanzlei musste. Und auch Thomas Kirsten nutzte manchmal die Ruhe im Büro, um ungestört von Telefonaten und dem Marktgeschehen einige Dinge aufzuarbeiten

      Er freute sich auf das Konzert heute Abend. Er hatte die Limousine für viertel nach sieben bestellt und wollte sich vergewissern, dass bei Christina nichts dazwischen kommt. Er mochte nicht gerne unter Zeitdruck sein, wenn sie ausgingen. Davon hatten sie genug in ihren Jobs.

      “Kein Problem, zwei unserer Partner sind schon weg. Ich denke, ich verlasse das Büro in einer halben Stunde. Sag’ mir noch mal schnell das Programm.”

      “Ganz toll. Zum Auftakt Mozart, die Ouvertüre zu Le Nozze di Figaro, danach Beethovens Pianokonzert No. 1 und nach der Pause Rachmaninoffs Symphonic Dances . Zum Schluss Ravels La Valse.”

      “Das ist ja super ! Wer ist der Pianist ?”

      “ Andre Watts. Er ist für Marga Argerich eingesprungen. Hat exzellente Kritiken.”

      “Wann treffen wir Tom und Nina ?”

      “Viertel vor acht im Foyer der Avery Fisher Hall.”

      “Okay, ruf’ mich an, wenn du mit dem Wagen da bist. Ich komm’ dann runter. Ich freue mich, mein Schatz.”

      “Ich mich auch, bis später.”

      *

      Die Limousine wartete schon. Der Fahrer hielt Thomas die Tür auf. Ein paar Straßen weiter holten sie Christina ab. Der Weg zum Lincoln Center war nur kurz. Sie brauchten nur den Central Park zu durchqueren. Allerdings konnte dies eine Weile dauern. Busse, Taxen und Limousinen stauten sich um diese Zeit. Außer der Avery Fisher Hall, der Konzerthalle der New York Philharmonic, gab es im Lincoln Center noch mindestens 5 weitere Musik- und Theaterbühnen – die verschiedenen Konzertsäle der Julliard School nicht mitgerechnet. Und alle Veranstaltungen fingen mehr oder weniger zur gleichen Zeit an.

      Christina und Thomas freuten sich nicht nur auf die New York Philharmonic, sondern auch auf ihre FreundeTom und Nina. Sie hatten sich schon eine ganze Weile nicht gesehen, zuletzt bei einem Awards Dinner im Grand Hyatt am Grand Central, bei dem ein Deutscher Industrieboss und ein amerikanischer ausgezeichnet wurden.

      Kennengelernt hatten sie sich vor zwei Jahren beim Quadrille Ball, der jedes Jahr traditionsgemäß im Plaza stattfindet, damals aber wegen Renovierung des Plaza im Pierre stattfand. Sie saßen am gleichen Tisch und stellten übereinstimmend fest, dass es nur wenige Deutschland-bezogene Ereignisse in New York mit einem bestimmten Niveau gibt, die es sich lohnt hinzugehen. Der Quadrille Ball war eines davon. Er wird ausgerichtet von Damen deutscher Herkunft und ist ein New Yorker gesellschaftliches Ereignis in der Ballsaison Januar/Februar. Der Reinerlös dieser Veranstaltung wird für Stipendien für den deutsch-amerikanischen Studentenaustausch verwendet.

      Ansonsten sind die Deutschen in New York eher unauffällig. Andere Nationen zeigten hier weitaus mehr Profil, wie zum Beispiel die Franzosen, die Italiener, die Iren und natürlich die Chinesen, die einen ganzen Stadtteil für sich ‘annektiert’ hatten.

      Tom Hockney war Polizist, ziemlich weit oben in der Hierarchie der NYPD. Ein interessanter Mann. Er hatte ursprünglich Kunstgeschichte an der