Peter Stockfisch

519 Park Avenue


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Aussehen – sein Vater war Portugiese, seine Mutter kam aus Tanzania – wohl dazu beigetragen, dass er den Job erhielt.

      Man gab ihm zwei kurzärmelige weiße Hemden, eine graue leichte Baumwollhose sowie ein Paar dunkelbraune Halbschuhe aus recht hartem Leder, die eher für eine Wanderung im Thüringer Wald als für den Gebrauch in Südostafrika geeignet waren. Wenn er zur Arbeit ging, tauschte er diese Ausstattung gegen seine Sandalen, die abgetragene adidas-Trainingshose und ein ausgeblichenes grünes Polohemd.

      Meistens chauffierte er den Wirtschaftsattachee Kutschinski, einen hochgewachsenen, kräftigen Mann mit einem kantigen Gesicht. Ein Gesicht, das Furcht einflößte. Eine ziemlich große Narbe unterhalb seines linken Ohres unterstrich diesen Eindruck. Er erinnerte ein wenig an einen der stereotypen deutschen Nazi-Offiziere, wie sie in der recht stupiden amerikanischen TV-Serie Hogan’s Heros vorkamen.

      Sie fuhren einen brandneuen, dunkelblauen Volvo. Kutschinski traf sich regelmäßig mit Regierungsangestellten, manchmal in verschiedenen Verwaltungsgebäuden, manchmal aber auch in Hotelhallen oder kleinen Restaurants am Stadtrand. Dann kamen auch andere dazu. Die sahen allerdings nicht so aus, als würden sie für die Regierung arbeiten.

      Kutschinski wurde immer von einem jüngeren, blassen Typen aus der Botschaft begleitet. Der hieß Hans-Jürgen. Er sagte nicht viel. Es war augenscheinlich, dass seine Aufgabe darin bestand, auf den Wirtschaftsattachee aufzupassen.

      Es war etwa Ende Oktober 1986, kurz nachdem Präsident Samora Machel, zu dem die DDR-Mission gute Beziehungen hatte, bei einem Flugzeugabsturz seiner Tupolev 134 in den Lebombobergen zusammen mit einer Reihe anderer Regierungsmitglieder ums Leben gekommen war.

      Kutschinski und seine Kollegen schienen seit dem verändert; oft schlechtgelaunt und gereizt. Leute aus der DDR kamen nach Maputo und der Botschafter war für zwei Wochen weg. Zur Berichterstattung in Ostberlin, hieß es.

      “Wie lange bist Du jetzt schon bei uns”, fragte Kutschinski eines Tages, als der ihn gerade an dem Restaurant Costa de Sol etwas außerhalb der Stadt an der Baia de Maputo absetzen wollte. Seine Treffen mit diversen einheimischen Männern waren häufiger geworden. Seinen Begleiter hatten sie kurz vorher an einer Strandbar abgesetzt.

      “Mehr als ein Jahr”, antwortete Saidi.

      “Es sieht so aus, als ob du hier bald keinen Job mehr haben wirst. Die Zeiten haben sich geändert. Es sei denn, ich mache mich stark für dich. Ich könnte dir möglicherweise sogar einen Job bei uns in der DDR verschaffen, Du könntest dort eine Ausbildung erhalten.”

      Saidi war so perplex, dass er zunächst gar nichts sagen konnte. Aber er war smart.

      “Warum würden sie dies tun”, fragte er nach einer Weile.

      “Hör’ mal zu, du bist doch ein schlauer Junge. Ich treffe hier eine Menge Leute und manche davon regelmäßig. Ich habe gute Gründe dafür, dass die Leute in der Botschaft und auch andere nicht erfahren, wen ich wie oft treffe. Mit Ausnahme der offiziellen Besuche im Handelsministerium . Verstanden ? Hans-Jürgen zählt nicht. Der hat kapiert. Auch meine gelegentlichen Abstecher zur Africa Bar und zu Dolce Vita gehen Niemanden etwas an. Du hältst also deinen Schnabel, und ich sorge für deine Zukunft. Klar ?”

      Saidi nickte. Was für ein Angebot ! Er würde rauskommen aus diesem Chaos, aus dieser Unsicherheit, dem Elend, aus dem täglichen Kampf ums Überleben. Er würde vielleicht einen Beruf erlernen.

      “Solltest du schwatzen, schneide ich dir die Zunge raus”. tönte Kutschinski mit einem fiesen Lächeln und einem Ausdruck im Gesicht, der Angst machte.

      “Oder besser: Ich erzähle der Polizei, zu der ich – wie du weißt – einen guten Draht habe, von deinen kleinen Nebengeschäften.”

      Saidi zuckte zusammen. Woher wusste er dies. Saidi, wie viele seiner Kumpel, machte hin und wieder ein paar Metical - oder manchmal auch Dollars – als Runner durch den Weiterverkauf von Stoff – meistens Koks – den ‘Profis’ von Südafrika über die Grenze nach Maputo brachten.

      Er ließ ihn also beobachten.

      “Kein Problem, Sie können sich auf mich verlassen”. sagte er schnell und streckte ihm seine Hand entgegen. Kutschinski ignorierte die Geste, tippte sich mit Zeige- und Mittelfinger zum Gruß an die Stirn, öffnete die Wagentür, blickte sich kurz nach beiden Seiten um und verschwand schnell im Restaurant.

      Er musste jetzt schlafen. In zweieinhalb Stunden würde es hell werden. Er nahm ihr ruhiges, gleichmäßiges Atmen wahr. Elvira schlief fest. Sie musste in zwei Stunden aufstehen. Um sieben fing ihre Schicht im Lenox Hill Hospital an. Sie versuchte dann, ihn nicht aufzuwecken. Das Frühstück für Jazmin und Roy bereitete sie schon am Abend zuvor vor. Sie waren jetzt groß genug, um sich selber Brot zu toasten und Orangensaft aus dem Kühlschrank zu holen. Cornflakes standen auf dem Küchentisch.

      Was sollte er Elvira sagen ? Sie hatten keine Geheimnisse voreinander, und er hatte ihr am Anfang ihrer Ehe natürlich von seiner Jugend in Maputo erzählt.

      Und er wusste, wie sie aufgewachsen war. Etwas außerhalb von San Juan. Alle paar Jahre besuchten sie Elviras Schwester und deren Familie in Puerto Rico. Durch den regen Verkehr zwischen New York und San Juan waren die Flüge recht preiswert geworden.

      Aber er war eigentlich nie ins Detail gegangen. Sie wusste lediglich, dass er für einen Diplomaten gearbeitet hatte, der sich als fieser Gauner erwiesen und ihm übel mitgespielt hatte. Der Mann, der schließlich der Grund für seine Flucht aus Mosambik war.

      Über seine Schwester hatte er seiner Frau nur erzählt, dass sie in jungen Jahren auf tragische Weise ums Leben gekommen sei. Einzelheiten verweigerte er immer mit dem Hinweis auf die schmerzlichen Erinnerungen, die diese in ihm hervorrufen würden. Auch jetzt war bei dem Gedanken an Micaela an Schlaf nicht zu denken. Wie bei einer Rückblende im Film kamen die Ereignisse wieder wie ein böser Traum zurück.

      *

      Kutschinski hatte Micaela zum ersten Mal gesehen, als sie ihren Bruder eines Abends vor dem schmiedeeisernen Tor der DDR-Botschaft in der Rua Damiâo de Góis abholte. Für seinen Nachhauseweg nahm er normalerweise einen der Minibusse und ging die restliche Strecke zu Fuß. Micaela war mit dem alten Fahrrad gekommen, das – wenn es nicht gerade kaputt war – von den Familienmitgliedern abwechselnd benutzt wurde. Sie trug knappe weiße Shorts und ein hellblaues T-Shirt. Ihre langen schwarzen Haare hatte sie in einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Mit ihren knapp 18 Jahren war sie eine hübsche junge Frau, nach der sich die Männer in Maputo umschauten. Sie fuhren zusammen auf dem Fahrrad nach Hause, er auf dem abgenutzten Sattel, sie im Damensitz auf dem Gepäckträger.

      “Eine hübsche Schwester hast du, Saidi”, sagte Kutschinski am nächsten Morgen. “Was macht sie? Geht sie noch zur Schule ?”

      “Nein, sie arbeitet im Hotel Pestama Ruvama in der Rua da Se. In der Wäscherei.”

      Später erfuhr er, wie sich Kutschinski an Micaela herangemacht hatte. Er hatte ihr in der Nähe des Hotels aufgelauert und ihr – wie auch zuvor ihm - von den Chancen in der DDR erzählt.

      Saidi hatte nie genau herausbekommen, wo Kutschinski seine Schwester in den folgenden Wochen getroffen hatte. Wahrscheinlich an Wochenenden, wenn Saidi meistens frei hatte und Kutschinski ohne - zumindest sichtbaren - Aufpasser war.

      Micaela und Saidi verstanden sich sehr gut und hatten eigentlich keine großen Geheimnisse voreinander. Über romantische Themen oder gar Sex sprachen sie allerdings nie. Nur einmal, als sie an einem Sonntagabend spät, völlig verstört, verweint und mit zerrissenem T-Shirt nach Hause kam, stellte er sie zur Rede. Ihre Eltern schliefen bereits. Micaela ging sofort in den Hof, wo es eine Dusche gab, deren Wasser aus einer Zisterne kam, die das Regenwasser auffing, das sich tagsüber durch die Sonne aufwärmte. Sie wohnten in einem einfachen Holzhaus am Stadtrand. Dort, wo die kleineren Wohneinheiten beginnen. Aber noch vor den Schilfhütten der Armen in der Canhico-Stadt.

      In ein großes weißes Badelaken gehüllt, das vom vielen Waschen an den Rändern ausgefranst war, hockte sie sich auf die Holzstufen, die von einer Art Veranda des Hauses in den Vorgarten führten. Sie