hatte er Bärbel sehr bald von seiner Affaire erzählt. Bärbel war natürlich wie am Boden zerstört, und sie führten nächtelang selbstzerstörische Diskussionen, die jedoch zu nichts führten. Nach einigen Wochen fingen sie dann an, über Scheidung zu sprechen.
Mit Jaqueline, so hieß die Französin, dauerte es über 6 Jahre. Viel Sex, exotische Reisen und, insbesonderen in den letzten Jahren, immer häufiger auch heftige Auseinandersetzungen. Die beiden waren sich zu ähnlich. Jeder wollte die Kontrolle in der Hand haben und sagen, wo es lang geht. Thomas war es in seinem Beruf gewohnt, die Richtung vorzugeben, und Jaqueline auch. Sie betrieb in Manhattan ein französisches Restaurant, das sehr erfolgreich war. Sie war der Boss. Und diese Rolle reflektierte auch in ihr Privatleben. Das funktionierte auf die Dauer nicht, und ihre Beziehung ging schließlich in die Brüche.
Danach hatte er wechselnde Partnerinnen. Er musste sich eingestehen, dass seine erotischen Erfahrungen, die er in diesen Jahren machte, für ihn ein neues, elektrisierendes Kapitel in seinem Leben darstellte, das er – immerhin im Alter von Anfang/Mitte Vierzig – nicht für möglich gehalten hatte. Frauen inspirierten ihn. In ihrer Gegenwart fühlte er sich wohl. Der Reiz und die Faszination des Neuen, des Geheimnisvollen spielte dabei eine wichtige Rolle. Dabei war er keineswegs das, was die Amerikaner einen Womanizer nennen. Dazu war er – was Frauen betraf – viel zu schüchtern. Es kam ihm nie in den Sinn, heute eine Frau ‘aufreißen’ zu wollen. Aber er reagierte auf Annäherungen vom anderen Geschlecht meistens positiv.
Vielleicht war es aber auch ein Gegenpol zu seiner beruflichen Männerwelt, die sehr sach- und wettbewerbsorientiert war. In seinem Job ergriff er ständig die Initiative. Privat überließ er dies eher den Frauen.
Mit Christina war alles anders. O.k., er war älter geworden und Christina war mit fast 39 auch kein Küken mehr. Gut, sie war auf dem Zenith ihres Gefühls- und Sexuallebens, aber natürlich hatte auch sie eine Beziehungsvergangenheit, mit der eine gewisse Gelassenheit und Abgeklärtheit kommt. Der Himmel stürzte nicht gleich ein, wenn man sich neu verliebte.
Acht Jahre war sie mit einem Amerikaner liiert. Einem Zahnarzt in Brooklyn. Sie hätte damals gerne geheiratet, aber er wollte nicht. Und sie musste auch nach einiger Zeit erkennen, dass sie nicht allzuviel gemein hatten. Ihre Liebe zur Musik und Kunst ließ sich nicht so gut mit den vielen aktiven Hobbys ihres Freundes vereinbaren: Surfen, Klettern und Snowboarding. Zahnärzte sind in ihrem Beruf wahrscheinlich so frustriert, dass sie ein besonders ausgeprägtes Bedürfnis nach ausgleichenden Freizeitaktivitäten haben. Leider meist nicht auf intellektuellem Gebiet. Insofern war sie ganz froh, als es vorbei war.
Danach hatte sie nur Kurzbeziehungen und kam zu dem Schluss, dass sie eigentlich gar keinen festen Mann oder Ehemann wollte. Sie verdiente in ihrem Beruf, der ihr Spaß machte, genug Geld, um ein angenehmes Leben zu führen. Sie sah blendend aus und war charmant, so dass es keines großen Aufwandes bedurfte, um einen Sexpartner zu finden – wenn es denn sein musste. Im Übrigen glaubte sie inzwischen, dass sie zur Befriedigung ihrer Libido und ihres Ego nicht unbedingt einen Live-Partner brauchte.
Bis zu dem Moment, als sie Thomas kennenlernte. Bei ihm kam alles zusammen: Selbstsicherheit, Charisma, Bildung, Sinn für Kunst und Musik, Sinn für Humor, Einfühlungsvermögen und erotische Ausstrahlung.
“Ich zieh’ mich schnell um; gib mir bitte ‘was zu trinken”.
Er war gerade dabei, eine eiskalte Flasche Veuve Clicquot zu öffnen, als er sie aus dem Schlafzimmer hörte:
“Darling, Hilfe !”
Er liebte ihr Englisch mit dem spanischen Akzent. Es klang nicht nach einem akuten Notfall. So nahm er zwei Champagnergläser in die Hand, die Flasche unter den Arm und ging ins Schlafzimmer. Sie lag auf dem Bett, unbekleidet, nur mit einem weißen Handtuch um ihre Hüften. Sie lag auf dem Bauch und zeigte mit dem rechten Zeigefinger auf ihre Schultern:
“Hier ! Ich bin völlig verspannt.”
Er stellte den Champagner und die Gläser auf die Spiegelkommode. Die kleine Flasche mit dem Massageöl stand bereits auf dem Nachttisch. Sie hatten gelernt, sich gegenseitig dieses unglaubliche Vergnügen von Zeit zur Zeit zukommen zu lassen.
Thomas Kirsten begann langsam und zart, ihren Rücken zu massieren. Seine Hände glitten von unten entlang der Wirbelsäule, vorbei an den Schulterblättern bis zum Hals. An den Schultern verstärkte er den Druck und versuchte, die kleinen, für Büroarbeiter typischen Verspannungsknoten wegzudrücken.
“Ja, da, da, stärker !”, raunte sie.
Dies spornte ihn an, und seine Bewegungen wurden kräftiger und schneller. Sie stöhnte vor Schmerzen und Vergnügen. Und er weitete das Terrain aus.
Es kam wie immer: Er berührte ihre Arme, ließ seine Hände von den Achselhöhlen heruntergleiten, wobei seine Fingerspitzen ihre seitlichen Brustansätze berührten, bis zu ihrem Po und ihren Oberschenkeln.
“Oh, Darling, Du bist der Beste, ich musste schon im Büro die ganze Zeit daran denken. Bitte, auch meine Füße”, bettelte sie.
Thomas Kirsten wusste, wie es Christina erregte, wenn er ihre Füße und insbesondere ihre Zehen bearbeitete, und er gab sich dabei besondere Mühe. Nach einigen ”Ahs” und “Ohs” drehte sie sich um und zog ihn zu sich herunter. Sie küßte ihn. Zunächst ganz leicht, dann etwas mehr und schließlich heiß und leidenschaftlich.
Er war immer wieder fasziniert von ihrer Hingabe und Ausdauer. Sie wollte immer, auch nach einem langen, anstrengenden Arbeitstag. Wenn es ihr Arbeitsprogramm erlaubte, trafen sie sich manchmal auch um die Mittagszeit zum Sex. Sie war einfach sportlich – wie er selbst. Sie hatten früher beide viel Tennis gespielt; sie als junges Mädchen in Florida, ihrer ersten Station in den Staaten, als sie mit ihren Eltern aus Ecuador gekommen war, er im Tennisclub in Deutschland. In Manhattan war das nicht ganz so einfach. Aber sie hatte ihr Gym und er drehte hin und wieder seine Runden im Central Park. Sex machte einfach mehr Spaß, wenn man einigermaßen fit war.
Sie schlürften jetzt die alte Witwe Cliqueau. Es war schon halb zwei. Sie würden die Flasche nicht einmal zur Hälfte leeren. Er hatte um 8 Uhr 30 einen Termin. Christina schmiegte sich an ihn, zog ihn unter die Decke.
“Ich denke, wir sollten jetzt schlafen”, sagte sie mit einer Stimme und einer Miene, die genau das Gegenteil ausdrückten. Sie berührte ihn. Dies würde in der Tat eine kurze Nacht werden.
4.
Der Wagen wartete schon vor dem Baldachin mit aufgehaltener Tür.
“Guten Morgen, Mr. Bergstraesser.”
“Morgen, Vadim”. Mit einem Stapel Zeitungen rutschte er auf die hintere Sitzbank.
“Wie ist der Verkehr heute Morgen ? Um halb neun habe ich eine Besprechung.”
“Sollten wir schaffen”, murmelte Vadim hinter seinem Steuer.
Lars Bergstraesser überflog die Schlagzeilen. Die Märkte sollten heute leicht im Positiven eröffnen. Das waren wenigstens die Vorzeichen von CNBC und Bloomberg, die beiden Fernsehkanäle, die er immer gleich nach dem Aufstehen so gegen sechs Uhr einschaltete. Der Dow Jones sollte die 13.000 - Hürde in den nächsten Tagen nehmen. Dies war um so erstaunlicher als sich das Subprime-Dilemma immer mehr ausweitete und das Land in die größte Finanzkrise seit dem Krieg gezogen hatte. Unglaublich.
Sein Fahrer war, wie die meisten Fahrer der Car Services in New York, Russe – oder vielmehr Ukrainer. Bergstraesser hatte nie zu erkennen gegeben, dass er recht gut Russisch sprach. Vadim war ziemlich smart und hätte nur neugierige Fragen gestellt. Außerdem konnte er so mithören, wenn Vadim per Handy mit seinen Buddies über halb-legale und illegale Geschäfte sprach. Die Jungs wollten natürlich auch das große Geld in ihrer neuen Wahlheimat machen. Als Limousinenfahrer war das nicht drin. Aber nach außen hin – gewissermaßen als Tarnung - war es ein unverfänglicher, guter Job .
Es ging jetzt nur noch stop-and-go. Engelhard Capital Group LLC lag in der Avenue of the Americas in einem Wolkenkratzer im 34. und 35. Stockwerk. Sein Handy surrte :
“Mr. Bergstraesser,