Peter Stockfisch

519 Park Avenue


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Rehbein legte die Zeitung mit dem aufgefalteten Artikel und dem Bild auf den Tisch. Servatzky griff sofort danach.

      “Ja, das ist Kutschinski , kein Zweifel. Wie hat er das bloß gemacht. Von einem Tag auf den anderen untergetaucht.”

      “Weißt du, Ulf, woran ich jetzt denke ?”

      “Nee, aber wie ich dich kenne, ist es etwas Verrücktes. Schieß los.”

      “Ich glaube, wir sind uns darüber einig, dass wir für einen Scheißladen gearbeitet haben. Wir haben fiese Aufträge erledigt, ohne aufzumucken. Wir haben idiotische Befehle ausgeführt und Menschen in Bedrängnis gebracht. Wir waren aber damals davon überzeugt, dass wir wichtige Aufgaben für unser Land erledigen würden. Und richtig schwerkriminell sind wir nicht gewesen.“ Werner Rehbein schaute seinen Kumpel Zustimmung erwartend an. Der nickte nur leicht. „ Kutschinski jedoch war ein Krimineller, ein Verbrecher,” fuhr er fort.

      “Das kann man wohl sagen”, pflichtete ihm Servatzky bei. “Wenn ich daran denke, was hinterher alles rausgekommen ist. Die Schmiergelder, die er von den Regierungsstellen in Mosambik und den beteiligten Firmen eingestrichen hat. Die gingen in die Millionen. Alles auf die Seite geschafft. Dagegen war Schalck-Golodkowsky ein Waisenknabe.”

      “Und wenn es stimmt, was unsere Leute und die Polizei in Maputo damals ermittelt haben, hat er sogar eine junge Frau auf dem Gewissen”.

      “Und dann wie vom Erdboden verschwunden,” sinnierte Servatzky. Sein Blick fiel auf eine sehr attraktive Mittvierzigerin in schwarzen engen Satinhosen, Stöckelschuhen und kurzer grauer Lammfelljacke, die auf die Rezeption zusteuerte.

      “Dies ist die Chance unseres Lebens,” hörte er leicht abwesend Rehbein.

      “Der Herr – wie heißt er jetzt ? – Bergstraesser ist offensichtlich heute ein erfolgreicher und sehr wohlhabender Geschäftsmann an der Wall Street. Ich habe Mr. Bergstraesser vorhin noch gegoogelt. Laut seiner Biografie kommt er aus Halle, Ingenieurausbildung an der Bergakademie Freiberg. Über verschiedene berufliche Stationen im Ausland kam er 1987 in die USA und kaufte dort 1988 die Investmentfirma Engelhard Capital. Über die 18 Jahre von seiner Ausbildung bis zu seiner Ankunft in Amerika findet sich allerdings nichts Konkretes. Auch nichts darüber, wie er vom Osten in den Westen gelangte. Er muss offensichtlich recht vermögend in die USA gekommen sein.“ Rehbein nahm einen Schluck aus seinem Bierglas. „Und wurde dort noch reicher”.

      “Fast hätten wir ihn damals überführt,” sagte Servatzky und starrte ins Leere. Er dachte daran, wie er zusammen mit Werner Rehbein Mitte der Achtziger den Auftrag bekam, Kutschinski in Maputo auf die Finger zu schauen. Beide waren verheiratet, stramme SEDler und erfüllten somit die Verlässlichkeitskriterien für einen solchen Auslandseinsatz. Kutschinski war seit einiger Zeit in Verdacht geraten. Man sagte ihm zu enge Kontakte zu den Geschäftspartnern und Regierungsstellen in Mosambik, die für den Warenaustausch mit der DDR verantwortlich waren, nach. Und da ging es nicht um Kleingeld. Die DDR lieferte damals LKWs und Waffen nach Mosambik gegen Öl, Kohle und landwirtschaftliche Produkte. Sie stellten damals die ganze Botschaft auf den Kopf, filzten alle Akten und Dokumente und durchforsteten die Computer. Die Interviews mit den Botschaftsangehörigen ergaben zwar hier und da einen Hinweis, aber nichts Konkretes. Der Herr Major war zu smart gewesen, um Spuren zu hinterlassen. Und die Kollegen von Kutschinski äußerten sich sehr zurückhaltend, als ob sie Angst vor ihm hätten.

      Es wurde auch über bizarre Sexgeschichten mit einheimischen Mädchen gemunkelt. Da seine Frau in Berlin bleiben musste – er konnte sie allerdings relativ häufig besuchen – und ansonsten die Geschäfte gut liefen, ließ man ihn diesbezüglich in Ruhe.

      “Heute ist er ein respektables Mitglied der New Yorker Finanzszene. Und ich denke, er möchte dies unter allen Umständen auch bleiben.“ Rehbein hielt einen Moment inne und fuhr dann etwas leiser, mit verschwörerischer Miene fort: „Wir sollten dem Herrn einmal auf die Pelle rücken.”

      Servatzky machte grosse Augen.

      “Ich weiß nicht,” sagte er. Dabei schielte er nach links, wo die Frau in den Satinhosen sich jetzt hörbar auf ihren Stöckelschuhen in Richtung Fahrstühle bewegte, einen silberglänzenden Rollkoffer hinter sich her ziehend. Vielleicht war es seine mecklenburgische Herkunft - Ulf Servatzky kam urspruenglich aus Schwerin – aber er besaß nicht die Härte und Rücksichtslosigkeit seiner damaligen MfS-Kollegen aus Sachsen, Brandenburg und Berlin. Dies bewegte seine Vorgesetzten in der Normannenstrasse bisweilen dazu, ihn vorzugsweise für Aufgaben heranzuziehen, bei denen der Schein der Harmlosigkeit sehr wichtig war. Einem Typen wie Rehbein hingegen sah man den Stasi-Mann schon von Weitem an.

      “Vielleicht wäre dies eine gute Story für den ‚Spiegel‘, und wir streichen ein saftiges Honorar ein.” Ihm gefiel seine Idee, und er sah seinen Kumpel selbstzufrieden an.

      “Ach was, Ulf ! Überleg doch mal. Dies ist die Gelegenheit unseres Lebens. Ich denke an das ganz große Geld. Millionen ! Wir könnten ein für alle Male ausgesorgt haben und brauchten uns nicht bei jeder Jobbewerbung anhören müssen, was für Arschlöcher wir waren. Wir, die Buhmänner der Nation. Und Kutschinski wird zahlen, glaub’ mir”. Rehbeins Gesicht drückte grimmige Entschlossenheit aus - wie einst in der Normannenstrasse beim Verhör eines Bürgers, der sich ‘Spiegel’ und ‘Stern’ aus dem Westen hatte schicken lassen.

      9.

      Es war halb drei morgens. Saidi beschloss, für heute Schluss zu machen. Ein leichter Nieselregen hatte eingesetzt. Er schaltete das “OFF”- Licht an und fuhr in Richtung Queensboro Bridge.

      Es waren zwar immer noch Leute auf den Straßen in der ‘Stadt, die niemals schläft’, aber der Verkehr war deutlich ruhiger geworden. Fast nur noch Taxis und Limousinen und all diejenigen, die wegen des starken Tagesverkehrs nachts arbeiten müssen: Die Müllwagen, diverse Lieferantenfahrzeuge, Strassenbauarbeiter und die Reparaturkolonnen und Kabelleger der verschiedenen Telefon- und Elektrizitätsgesellschaften.

      Aufpassen musste er auf die Asiaten, die rund um die Uhr auf ihren altersschwachen Fahrrädern, ohne Licht und ohne Ampeln und Einbahnstraßen zu beachten, Sushi oder Tsaos To Fu an Nachtschwärmer auslieferten. Manchmal konnte man sie nur im letzten Moment sehen, wenn sie für einen Moment von einem der Wasserdampf speienden dicken Rohre über den Kanalisationsschächten, die sich zum Teil mitten auf der Straße befanden, verdeckt wurden.

      Er würde in 20 Minuten zu Hause sein. Meistens hatte Elvira etwas vom Abendessen für ihn bereitgestellt, das er sich nur aufwärmen musste. Heute hatte er aber noch am Abend downtown im Punjabi Grocery & Deli einen Curryreis zu sich genommen und war daher nicht besonders hungrig. Eigentlich mochte Saidi diese Imbisstreffen der New Yorker Taxifahrer nicht besonders. Mit den Indern, Pakistani und Bangladeschi, die sich überwiegend dort trafen, war er nie richtig warm geworden. Lieber unterhielt er sich mit den Kollegen europäischer oder lateinamerikanischer Herkunft.

      Elvira schlief. Mit ihren langen schwarzen Haaren, dem dunklen Teint und den leicht geöffneten vollen Lippen bot sie ein schönes, reizvolles Bild. Häufig, wenn er von der Spätschicht kam, weckte er sie mit leichten Küssen auf Stirn und Wangen, wobei eine Hand ihren prallen Busen sanft berührte. Sie stöhnte dann schläfrig, aber lächelte. Es dauerte nicht lange und sie hatten Sex, mindestens eine Stunde lang. Elvira stammte aus Puerto Rico und hatte ein heißes Temperament. Beide liebten Sex. Und wunderbarerweise fuhren sie auch nach 14 Jahren Ehe immer noch aufeinander ab. Danach konnten sie dann gut schlafen.

      Heute war ihm jedoch nicht nach Zärtlichkeiten zumute. Er duschte und schlüpfte unter die Bettdecke, bemüht, seine Frau nicht aufzuwecken. Er lag lange wach und dachte nach. Trotz der geschlossenen Jalousien drang Licht von der gegenüberliegenden Parkgarage und von der Leuchtreklame an der Häuserwand daneben gelb und rot ins Schlafzimmer.

      Er war noch sehr jung gewesen, damals in Maputo. Mosambik befand sich im Bürgerkrieg. Die Hälfte der Bevölkerung lebte in Armut. Da war es für ihn, seine Eltern und Schwester fast wie ein Geschenk des Himmels, als er den Job als Arbeiter und Fahrer bei der Botschaft der DDR bekam. Die Leute von der Botschaft hatten ihn stundenlang interviewt, ihm tausend Fragen gestellt nach seiner Familie,