ihr nicht ausweichen. Du musst sie beseitigen. Radikal und vollständig”, hatte der Russe seinem ostdeutschen Kumpanen einmal geraten. Dieses Rates bedurfte es bei Kutschinski jedoch nicht. Er war selber davon überzeugt, dass man in diesem Geschäft skrupellos und entschlossen handeln musste – ohne Rücksicht auf Verluste.
Kasparow konnte damals nicht ahnen, dass sich sein Rat und seine Befolgung eines Tages gegen ihn richten würde.
Kutschinski hatte alles exakt und minutiös vorbereitet.
Er hatte sich entschlossen, zu Fuss zu gehen. Von der Botschaft in der Rua Damiâo de Góis war es nicht sehr weit zum Polana.
Auf dem Bürgersteig begegnete er nur wenigen Menschen. Der Bürgerkrieg hatte das Leben in der Stadt sichtbar gelähmt. Und das recht freudlose sozialistische Regime schien auch eine eher einengende Wirkung auf das Leben der Menschen zu haben.
Man sah überwiegend Einheimische auf der Straße. Nur hier und da Europäer. Meistens wie er, Vertreter der Länder des sozialistischen Blocks. Man erkannte sie an ihren etwas spießigen grauen oder dunklen Anzügen und den beigen oder andersfarbigen Oberhemden. Wenn sie nicht gerade ihre uniformen Trainingsanzüge trugen. Und Kubaner, die sich von den Einheimischen vor allem durch ihre etwas fantasievollere Kleidung unterschieden.
Kutschinski war groß und von kräftiger Gestalt. Sein dunkles, etwas gewelltes Haar trug er nach hinten gekämmt. Mit seinem markanten, etwas brutal anmutendem Gesicht wirkte er auf manche Leute einschüchternd, vor allem auf Einheimische. Entgegenkommende Passanten wichen ihm meistens respektvoll aus. Er machte allerdings auch keinerlei Anstalten, seine lineare Gehrichtung nur um einen Deut zu verändern.
Er beschleunigte seinen Schritt jetzt. Wenn er einen ‘Schatten’ hatte, was nicht auszuschliessen war, so musste dieser sich anstrengen, ihm zu folgen. Kutschinski würde sich nur geringfügig zu seiner Verabredung verspäten. Das war wichtig. Es gab einen strikten Zeitplan.
Oleg Kasparow war bereits da. Als er Kutschinski kommen sah, erhob er sich von einem braunen Ledersofa, das in der Hotellobby stand.
“Strasdwudje”, begrüßte er seinen DDR-Kollegen. Wenn sie allein waren, sprachen sie Russisch miteinander. Sonst Englisch. Ihre beider Portugiesischkenntnisse waren eher rudimentär.
“Lasst uns nach vorne gehen. Ich habe in der ‘Varanda’ für uns reservieren lassen”, sagte Kutschinski und legte eine Hand kurz auf die Schulter des Russen. “Da haben wir frische Luft.”
‘Und es gibt dort vielleicht weniger Wantzen’, dachte er, sagte es aber nicht.
Vorbei an dem klassischen Fahrstuhl in dem Eisenkäfig, der an alte französische Kriminalfilme in schwarzweiß erinnerte, schritten sie durch die Flügeltüren, die sich zur Seeseite des Hotels öffneten.
Oleg Kasparow war gut einen halben Kopf kleiner als Kutschinski. Er war etwa Mitte 50 und seine mittelblonden Haare lichteten sich bereits. Kasparow trug einen khakifarbenen Anzug, der trotz seiner untersetzten Figur und leichtem Bauchansatz eine halbe Nummer zu groß erschien. Sein fleischiges, großporiges Gesicht war immer leicht gerötet. Mit den engstehenden tiefliegenden Augen vermittelte er den Eindruck eines Mannes, bei dem man ständig auf der Hut sein musste. Insgesamt war seine Erscheinung nicht besonders vertrauenserweckend.
“Seid ihr mit den Ermittlungen in dem Fall Unango inzwischen weitergekommen ?” eröffnete der Russe das Gespräch ohne einleitenden Smalltalk. Er bezog sich dabei auf den dramatischen Anschlag vor einigen Monaten auf den Konvoi von DDR-Landwirten auf ihrem Weg zu der Staatsfarm Unango. Diese Großfarm war seinerzeit mit Hilfe der DDR gegründet worden, nachdem Honnecker den Vertrag über die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Mosambik unterzeichnet hatte. Trotz bewaffneter Eskorte hatte es bei dem Anschlag acht Tote auf Seiten der DDR-Helfer gegeben.
“Wie Du weißt, gab es verschiedene umfangreiche Untersuchungen. Und Vieles deutet auf eine Aktion der Renamo hin. Aber eine vollständige Aufklärung gibt es bis heute nicht – wenn es sie jemals geben wird.” Kutschinski machte eine kurze Pause und schaute sein Gegenüber herausfordernd an.
“Und ihr ? Wie sieht es zu diesem Fall bei Euch aus ? Immerhin haben die Ermittlungen ergeben, dass die Projektile, die gefunden wurden, aus Kalaschnikows sowjetischer Bauart stammten.”
Kasparow zwang sich zu einem Lächeln und hob beide Arme.
“Keine Ahnung ! Aber ich glaube, dies ist jetzt aktuell nicht unser Thema,” wich er der Frage aus. Er nahm einen Schluck von dem Whisky, den er sich hatte kommen lassen. Der Russe kniff seine Augen zusammen.
“Warum wolltest Du mich sprechen ?”
Kutschinski antwortete nicht gleich. Was sollte er ihm sagen ? Eigentlich war es egal. Er hatte einen Tisch auf der linken Seite des nach vorne offenen Terrassenrestaurants gewählt, im Nord-Ost-Flügel des Hotels. Dieses Wahrzeichen der Stadt war von seinen Architekten so konzipiert worden, dass sich seine Seitenflügel jeweils trichterförmig in einem Winkel von 135 Grad zur Rückseite des Gebäudes öffneten. Von ihrem Tisch hatte man einen freien Blick auf die weiträumige Swimming-Pool-Anlage, die sich fast über die ganze Breite des Hotels erstreckte und bis zu dem breiten Grünstreifen vor der Küstenstrasse, der Avenida da Marginal, reichte. Dahinter sah man die Baia de Maputo mit der Insel Inhaca.
Kutschinski hatte Kasparow so postiert, dass er direkt im Blickfeld des schräg gegenüber liegenden Süd-West-Flügels des Hotelkomplexes lag. Er selber setzte sich rechts von dem Russen in einem Winkel von 90 Grad.
Oleg Kasparow durfte keinen Verdacht schöpfen. Der Deutsche gab sich daher ernst und wichtig, als er antwortete.
“Oleg, wir müssen aufpassen. Keine Dokumente aufbewahren und mit Niemandem reden. Mit Niemandem !”
Ein livrierter Ober nahm ihre Bestellung auf. Um den Schein der devisenschwachen Ost-Diplomaten zu wahren, hatten Sie ein einfaches Mittagsmenü ausgewählt, eine Mucapata mit einer Meeresfrüchtesuppe vorweg.
“Die haben uns aus Berlin zwei Kontrolleure geschickt. Die löchern zwar fast alle in der Botschaft, drehen jedes Stück Papier um und sitzen stundenlang an allen unseren Computern. Ich habe aber den Verdacht, dass sie vor allem mir auf die Finger sehen wollen.” Und nach einer kurzen Pause: “Da sind sie aber an der falschen Adresse. Zu unseren Spezialgeschäften bewahre ich nichts auf; keine Lieferscheine, keine Rechnungen und keine Bankauszüge. Oleg, ich muss mich darauf verlassen können, dass du dies genauso handhabst.”
Der Russe nickte und wollte etwas sagen, aber die Suppe wurde gerade serviert, und so schwieg er.
Die linke Hand unter dem Tisch, die andere zum Löffel greifend, schaute Kutschinski unauffällig auf seine Uhr. Exakt 14 Minuten nach eins. Noch 60 Sekunden. Kutschinski rückte seinen weißen Korbsessel nach hinten und lehnte sich etwas zurück.
Es war ein kurzes, lautes ‘Peng’. Oleg Kasparows massiver Kopf fiel auf die Suppenschale vor ihm, die laut scheppernd in Stücke brach. An seinem Hinterkopf klaffte ein faustgroßes Loch, aus dem Blut über sein rechtes Ohr und die rechte Wange rann, das sich mit Hirnmasse, Haaren und der weißgelben Flüssigkeit der Meeresfrüchtesuppe mischte.
‘Gute Arbeit’, dachte Kutschinski. Auf diesen Scharfschützen war Verlass. Der hatte ihn allerdings auch eine Stange Geld gekostet. In harter Währung.
2.
Der Vorhang fällt. Es vergehen noch einige Sekunden nach dem dramatischen Ende und dem Verstummen des Orchesters. Dann der Applaus, zunächst zögerlich, dann stärker und breiter. Die Kronleuchter gehen halb an und senken sich langsam von der Decke. Einige Bravorufe und Beifallspfiffe von den hinteren Reihen und vom Family Circle. Die Sänger verbeugen sich, zuerst die Nebenrollen und schließlich - bei anschwellendem Applaus - die Stars, allen voran Ramon Vargas als Riccardo, Angela Brown als Amelia und Dmitri Hvorostovsky als Renato. Dies wiederholt sich noch ein paar Mal, wobei am Ende auch der Dirigent, Gianandrea Noseda, auf die Bühne geholt wird und für sich und das Orchester den Beifall entgegennimmt.
Es gibt noch eine