sich über uns zu einem schützenden Dach, ließen niemand anderen passieren. Sie lebten in dem Wind, der über ihren Spitzen wehte, begrüßten uns durch leisen Schneeregen, hießen uns willkommen.
Nach einer Weile zügelte Don‘kar sein Pferd. Ich war in einen leichten Dämmerschlaf gefallen, weil das Dunkel des Waldes meine Augen von dem Weiß der Eiswüste entspannt hatte und wir schweigend und gleichmäßig geritten waren.
„Warum halten wir an?", murmelte ich schläfrig.
Don‘kar deutete vor sich. Dort erwartete uns seine Holzhütte. Gut getarnt hinter mächtigen Tannen. Der Anblick war nicht ungewohnt. Seine Unterkunft sah genauso aus wie die Hütten auf der Erde, freilich ein paar Jahre vor meiner Geburt oder wie in abgelegenen Winkeln Skandinaviens. Rauch stieg aus einem kleinen, flachen Schornstein auf, kräuselte sich leicht und stieg in den Himmel hinauf, der von unten nicht zu sehen war, weil die mächtigen Zweige der Tannen den Blick darauf verwehrten.
Don‘kar setzte mich sanft auf dem Boden ab, ich musste mich kurz an seinem Pferd festhalten, weil plötzlich tausend schwarz-weiße Punkte vor meinem Blickfeld tanzten, zuerst am Rand, dann immer weiter zu Mitte vordringend. Ich war noch schwach, obwohl ich mich fast wieder wohl fühlte. Nach einer kleinen Weile, als das Rauschen meines Blutes in den Ohren nachließ, stand ich mit zitternden Knien selbstständig da und blickte zu Don‘kar auf.
„Geh hinein und leg dich ein wenig hin. Ruh dich aus. Ich komm gleich nach und mach uns dann etwas zu essen", versprach er mir.
Er erkannte, dass ich sehr müde war und ich fühlte mich auch so - müde und erschöpft. Meine Augenlider wogen viel mehr als sonst und ich war froh, dass ich mich hinlegen konnte, obwohl das Schaukeln auf dem Pferd entspannend gewesen war. Aber dies konnte mir den Wunsch nach einem Bett mit fester Unterlage nicht nehmen. Ich wankte langsam auf die Hütte zu. An der Tür angekommen, drehte ich mich nach Don‘kar um. Er saß majestätisch auf seinem Pferd, das in der Dunkelheit des Waldes noch schwärzer erschien als in dem weißen, hellen Schnee. Don‘kars Gesicht lag in tiefe Schatten gehüllt und ich war mir nicht sicher, ob auch er müde war oder ob es an der ewigen Dämmerung lag, die dieser Wald in sich barg.
Don‘kar nickte mir zu: "Geh ruhig, ich versorg noch meinen Schwarzen, dann komm ich nach."
Seinen Schwarzen? Ob er sein Pferd so rief? Es passte gut zu seiner Farbe, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass Don‘kar so einfallslos war. Ich hielt mich kurz an dem Griff der Holztür fest, atmete tief durch und stieß die Tür energischer auf, als ich wollte.
Das erste was mir auffiel war, dass es drinnen nicht wärmer war, als ich es in dem Vulkanfell empfunden hatte. Ich schloss die Tür hinter mir und fand mich allein inmitten tausend bizarrer Schatten, die die Glut verbreitete, die seit dem letzten Auflegen der Holzscheiten in der Steinkuhle des Kamins noch vor sich hin glimmte. Ich erblickte das große Bett, das mit unzähligen Fellen bestückt war. Plötzlich überfiel mich ein Schwindelgefühl, dem ich mich nicht mehr entziehen konnte und in dieser Situation auch nicht wollte. Ich gab mich dem Gefühl ganz hin, legte das Fell, in das ich gehüllt war, vorsichtig auf den Boden, ließ mich auf das Bett fallen, das erwartungsgemäß weich war, begrub mich unter tausenden Fellen, drehte mich auf die Seite, atmete tief durch und spürte die Erleichterung, die sich in meinem Körper breit machte. Ich fühlte, wie die Anspannung aus mir wich, begrüßte die Müdigkeit, die mich in tiefe Bewusstlosigkeit stoßen wollte. Ein erschreckender Gedanke, der mich wie elektrisiert in die Höhe fahren ließ, beendete die Entspannung. War ich sicher hier? War hier keine Gefahr? Würde mich Don‘kar beschützen? Konnte er es, im Angesicht einer Gefahr um Leib und Seele? Ich blickte mich hektisch um: Es war nichts Auffälliges zu erkennen, ich war allein. Klopfenden Herzens sank ich in die Felle zurück, die Anspannung der letzten Erlebnisse forderte ihren Tribut, da sie noch tief in meinen Knochen steckte. Das Klopfen meines Herzens ließ langsam nach, mein Atem wurde regelmäßiger und ich versank endlich, tief in den Fellen eingekuschelt, in einen bewusstlosen Schlaf.
3. Engel
Als ich wieder aufwachte, stellte ich fest, dass ich tief und traumlos geschlafen hatte. Mich irritierte, dass ich zuerst nicht wusste, wo ich mich befand. Orientierungslos blickte ich mich um und als ich die Hütte erkannte, fielen mir alle Zusammenhänge sofort wieder ein. Nein, ich dachte nicht, dass ich alles nur geträumt hatte, es war mir mittlerweile bewusst, dass alles viel ernster und echter als in einem Traum war. Am Tisch, den ich vor meinem tiefen Schlaf wahrgenommen hatte, saß Don‘kar und betrachtete etwas intensiv. Das Bild kam mir bekannt vor, doch ich konnte mich nicht erinnern, wo ich es schon einmal gesehen hatte. Ich verhielt mich zunächst ruhig und musterte verstohlen den Raum. Er war sehr einfach eingerichtet: ein Tisch, zwei Stühle, neben dem Kamin ein Holzhaufen, davor ein großes Fell. Gegenüber dem Bett, in dem ich lag, befand sich ein Regal mit Holztellern, -besteck und -bechern. An der Innenseite der Tür nach draußen waren ein paar Haken eingeschlagen. An ihnen hing das Fell, das Don‘kar um mich geschlungen hatte, damit ich nicht erfror und daneben zwei seiner eigenen Felle. Im nächsten Moment betrachtete ich Don‘kar genauer. Ich sah, dass er unter dem Fell nicht nackt gewesen war, sondern ein weit geschnittenes, braunes Hemd trug, das von seiner behaarten, muskulösen Brust viel zeigte und eine Hose in der gleichen Farbe.
Don‘kar hatte meine Blicke gespürt, er drehte sich langsam zu mir um. Ich erkannte Besorgnis in seinem Blick, aber durch die unzureichende Beleuchtung in der Hütte konnte ich mir nicht sicher sein.
„Schön, dass du wach bist. Geht es dir besser?"
Ich richtete mich ein wenig in den Fellen auf und lächelte ihn an: „Ja. Danke, dass du mir das Leben gerettet hast."
Mehr fiel mir in diesem Moment nicht ein. Ich konnte es sowieso nicht wieder gut machen, aber ich wusste irgendwie, dass er das nicht verlangte. Er stand auf und kam zu mir herüber. Da erkannte ich erst, wie groß er war! Er überragte mich wohl um mehr als dreißig Zentimeter. Als er am Bett angekommen war, machte ich Anstalten aufzustehen - es wollte mir noch nicht gelingen. Ich hatte mich noch nie in meinem Leben so schwach gefühlt. Don‘kar setzte sich auf den Bettrand und drückte mich mit sanfter Gewalt zurück in die warmen Felle.
„Du musst dich ausruhen. Es ist ein Wunder, dass du noch lebst und wieder wach bist. Ich dachte schon, dass ich zu spät gekommen war und dich nicht mehr rechtzeitig erreicht hatte."
Das gab mir zu denken. Denn wenn er auf der Jagd gewesen war, was er vorher erwähnt hatte, konnte er mich auf diese Distanz kaum als menschliches Wesen erkannt haben! Ich gestand ihm meine Überlegungen mit einem Fragezeichen in meiner Stimme.
„Ich lebe schon lang hier und bin oft auf der Jagd. Ich kann selbst auf weite Entfernung hin ein Tier und einen Menschen auseinander halten."
Nun las ich wirklich Besorgnis in seinem Gesicht, denn ein anderer Gedanke zwängte sich ihm auf: "Ich dachte, als ich dich fand, dass du entführt und zum Sterben in der Eiswüste zurück gelassen wurdest."
Er wollte eine Antwort, das konnte ich in seinen Augen lesen. Ob sie ihm gefallen würde?
„Nein, ich bin nicht entführt worden, aber gestorben wäre ich, wenn du mich nicht gefunden und mitgenommen hättest. Ich...war auf der Suche nach jemandem und wurde hierher verschlagen. Ich hab keine Ahnung, wie ich an diesen Ort gekommen bin."
Ob er mir glaubte?
Ich hörte seine Gedanken: ‘Vielleicht haben sie deine Erinnerungen gelöscht. Wer weiß, wozu sie fähig sind.‘
Ich hatte das dumpfe Gefühl, dass er mit „sie" eine bestimmte Personengruppe meinte, deren Bekanntschaft man besser nicht machte. Vorerst wollte ich wirklich nicht wissen, von wem er so etwas Übles dachte - in mir stieg erneut Entsetzen auf. Dies war kein lockeres Abenteuer, das mit einem Happy-End aufhörte, keine Geschichte, die mit dem Zuklappen des Buches endete. Dies war bittere Wirklichkeit, echte Gefahr, der Ausgang ungewiss. Ob ich wenigstens Don‘kar vertrauen konnte? Ich glaubte schon.
„Hast du Hunger?", unterbrach seine Stimme meine Gedanken und ich war ihm dankbar dafür.
„Oh ja, aber noch viel mehr Durst!", antwortete ich brav.