Augen forderten mich auf: ‘Nimm es!‘
Er nickte mir aufmunternd zu: Ich sollte es anziehen.
Ich zog mir das Lederband über den Kopf, ließ es um meinen Hals baumeln, als mich der Stromschlag erneut traf, nur dieses Mal viel stärker, sodass alles schwarz um mich herum wurde. Alles ging zu schnell, ich konnte nicht einmal mehr vor Überraschung und Schmerz um Hilfe schreien. Wer sollte mir helfen? Don‘kar? Bestimmt nicht, er wollte, dass ich das Amulett trug. So fiel ich wieder einmal in eine dunkle, tiefschwarze Nacht.
Langsam erwachte ich und hatte das Gefühl, dass ich nicht mehr im Bett lag, sondern einen Meter darüber schwebte. Das war die angenehmste Ohnmacht gewesen, die ich je erlebt hatte, wenn man von angenehm sprechen konnte, wenn man innerhalb von vier Tagen drei Mal bewusstlos wurde!
Das Gefühl, über dem Bett zu schweben, verlor sich langsam. Ich öffnete vorsichtig die Augen und erkannte Don‘kar, der sich mit besorgtem Gesicht über mich beugte.
„Was ist geschehen?", hörte ich ihn sanft fragen.
„Ich bin wieder einmal bewusstlos geworden, das ist geschehen!"
Was für eine dumme Frage! Don‘kar schreckte zurück und sofort bedauerte ich meinen aggressiven Tonfall - ich war verständlicherweise überreizt!
Dann bemerkte ich, dass sich seine Frage nicht auf mich, sondern auf das Amulett bezogen hatte. Es hing immer noch um meinen Hals, er hatte es die ganze Zeit nicht aus den Augen gelassen. Ich legte meine Finger an die Stelle, wo das Amulett vor meiner Bewusstlosigkeit auf meiner Brust geruht hatte - dort fühlte ich es nicht mehr! Ich legte meine Hand an meinen Hals und spürte das Lederband, das sich plötzlich ganz anders anfühlte. Es war viel breiter! An dem Lederband herum tastend berührte ich das Einhorn. Das Band hatte sich mehrfach um meinen Hals gewickelt. Das hätte Don‘kar machen können, als ich im Reich der Träume weilte, aber ich spürte keinen Knoten im Band und es fühlte sich zu glatt an. Es war, so unglaublich sich das anhörte, um meinen Hals geschmolzen! Dennoch schockierte mich das nicht mehr - ich hatte in den letzten Tagen zu viel Unglaubliches erlebt, um mir noch den Kopf darüber zu zerbrechen. Ich betastete weiter das Einhorn. Der Stromschlag blieb aus, aber es behielt ein elektrisierendes Gefühl bei, das schwach durch meine Finger pochte. Es hatte eine Macht in sich, das wusste ich, aber ich wusste nicht, warum es Don‘kar noch nicht bemerkt hatte, eingehend wie er es in meinem Beisein mit Blicken und Fingern gemustert hatte. Auch wusste ich nicht, wie man die Macht in dem Amulett weckte, ob es eine gute oder böse Macht war, ob ich über sie herrschen konnte oder sie über mich. Ich hatte Don‘kar noch eine Menge Fragen zu stellen, aber gefühlsmäßig wusste ich, dass ich auf Antworten warten müsste, dass er meine Neugier nicht sofort befriedigen könnte.
„Don‘kar, was weißt du über das Amulett?", fing ich an, keinerlei Hoffnung, dass er auf mich eingehen würde oder es überhaupt wusste - schließlich war er genauso erstaunt über die Verwandlung des Bandes wie ich.
„Ich erhielt es von meinem Vater mit den Worten, dass ich es einem Engel zum Tragen geben sollte. Dieser würde mir in meinem Leben helfen. Du bist dieser Engel! Du kommst aus einer anderen Welt, bist allein und fremd hier."
Skeptisch runzelte ich die Stirn: "Ich habe dir nicht gesagt, dass ich aus einer anderen Welt komme."
Don‘kar schmunzelte: "Du wusstest nicht, dass du auf Randor bist, du kennst weder unsere Welt noch unsere Lebensweise, du musst von einer anderen Welt kommen."
Eins zu null für ihn. Daher hatte ich in seinen Gedanken den Begriff „Engel" für mich aufgegriffen. Dies hatte also nichts mit der mystischen Bezeichnung einer Person mit Flügeln, Heiligenschein und einem weißen Gewand zu tun. Vielleicht hatten die Menschen auf Randor eine andere Vorstellung von Engeln.
„Wen bezeichnet ihr hier auf Randor als Engel?"
„Eine Frau, die eine Wächterin ist oder auch einen Mann, der ein Wächter ist."
„Wächter vorüber?"
„Über die Magie in unserer Welt."
Magie? War ich in einem Fantasieroman gelandet? Oder sind meine geheimsten Wünsche in Erfüllung gegangen, bei denen ich letztendlich erkennen musste, dass man mit seinen Wünschen vorsichtig sein muss, weil sie eintreten könnten.
„Und das Amulett?"
"Das Amulett hält die Engel auf Randor und der Besitzer des Amulettes, der es einem Engel zum Tragen gegeben hat, hat somit wiederum Macht über den Engel."
„Moment! Hättest du mich dann nicht vorwarnen müssen? Ich meine, immerhin habe ich nun eine Sklavenkette an!"
Das musste ich erst einmal verdauen.
„Gut, ich komme aus einer anderen Welt, war in der Eiswüste, kenne Randor nicht, aber das allein kann dich nicht überzeugt haben, dass ich ein Engel bin, oder?", ließ ich nicht locker, nachdem er endlich mitteilungsfreudig war.
„Du warst allein in der Eiswüste, ohne Fell, du hattest Fieber, bei dem jeder Mensch gestorben wäre, du warst auf der Suche nach einem anderen Menschen", antwortete Don‘kar und innerlich seufzte ich, dass ich mich an diese Logik noch gewöhnen musste, wollte ich wenigstens einen Teil davon verstehen.
Ja, ich war auf der Suche nach Don‘kar gewesen, der mich in den blauen Himmelsstern geführt und dann allein gelassen hatte. Es erschien mir alles lange her, ein Erlebnis weit weg von der aktuellen Realität - unwirklich. Und doch war ich auf Randor, hatte Don‘kar gefunden, aber dieser erinnerte sich nicht mehr an mich. Sollte ich dieses Spiel weiter mitspielen?
Don‘kar stand auf, half mir vom Bett hoch, hielt mich in den Armen und fragte mich: "Wen hast du gesucht?"
„Dich. Ich kannte dich in meiner Welt, aber du hast mich vergessen."
„Vergessen? Ich war nie in einer anderen Welt."
„Du hast mich nach Randor gebracht."
Nachdenklich verschleierte sich sein Blick: "Dann hab ich doch nicht geträumt."
Jetzt kamen wir der Wahrheit näher!
„Was hattest du geträumt?"
„Ich hatte mir das Amulett um den Hals gelegt und bin in einen tiefen Schlaf gefallen. Was ich träumte, weiß ich nicht mehr, ich weiß nur noch, dass ich darin meinen Engel fand. Ich hielt dies für reines Wunschdenken."
„Nein, es war real. Du hast mich in meiner Welt besucht und hierher gebracht."
Aus seinen Gedanken konnte ich lesen, dass er mir nicht ganz glaubte, er hatte mich aus seinem Traum anders in Erinnerung. Strahlender, weißer, verklärter.
Ich schüttelte unwillig den Kopf: "Es ist egal, was ich gesucht hatte und was du geträumt hattest. Ich bin da, ich bin hier das, was man einen ‚Engel‘ nennt, du hast mir das Amulett gegeben, es hat bestätigt, dass ich ein ‚Engel‘ bin, nun habe ich die Macht und du hast sie über mich. Es ist alles, wie es sein soll."
Was redete ich da für einen Unsinn?!
4. Macht
Meine Welt, in der ich bisher lebte, das Wirken der Naturgesetze, die Einhaltung gesellschaftlicher Normen, war in weite Ferne gerückt - sie existierte nicht mehr im Angesicht Randors. Alles hatte sich aufgehoben, die Gedanken überschlugen sich - ich war im Feuer meiner Neugier und Angst gefangen und wusste nicht, ob ich dort je wieder herauskommen würde, ja, ich wusste noch nicht einmal, ob ich das wirklich wollte!
Hatte es tatsächlich Anzeichen gegeben, dass die Naturgesetze auf Randor andere als auf der Erde waren, dass sie zum Teil aufgehoben wurden? Ich war zu oft bewusstlos gewesen und konnte mir den Rest eingebildet haben. Ich wollte nicht weiter darüber nachdenken, da es sich zu fantastisch anfühlte! Andererseits konnte mein Verstand nicht leugnen, dass ich nach Randor gekommen war. Angst hatte ich schon, auf Gewissheit zu stoßen. Bisher war alles gut für mich gelaufen.
Don‘kar stand sichtlich verstört vor