intensive Konzentration spürte ich, wie sich die Macht in mir sammelte, Energie sich in und um meinen Körper verdichtete und ich bereit wurde für die Verwandlung. Ich schloss die Augen und spürte die einsetzenden Veränderungen, die einhergingen mit einer totalen Erschöpfung. Meine Arme begannen zu schrumpfen, mein Kopf fühlte sich an, als ob sich die Masse darin verdichten würde, mein gesamter Körper vibrierte. Ich fiel auf die Knie, spürte die eisige Kälte meine Haut beißen, die nicht mehr von einem wärmenden Fell bedeckt war. Mein Bewusstsein schwand zunehmend, der Kampf dagegen war erfolgreich – die Verwandlung vollendet! Ich hielt die Augen geschlossen, kämpfte gegen die Wellen der Übelkeit an, die meinen Körper schüttelten, die schließlich verebbten. Als ich einen Blick auf meine Arme riskierte, überkam mich eine große Erleichterung - sie sahen wieder vollkommen menschlich aus. Ein kontrollierender Blick auf meine Beine, die im Schnee lagen und sich völlig taub vor Kälte anfühlten, bestätigte mir, dass die Verwandlung gelungen war. Ich grinste in mich hinein. Nicht übel für einen Menschen, der sich zum ersten Mal in ein Einhorn und wieder zurück verwandelt hatte - wenn der Prozess zum Schluss auch nur durch meine Erschöpfung gelang. Don‘kar hatte mich die ganze Zeit nicht aus den Augen gelassen und ein Gedanke, den ich kurz von ihm auffing, löschte die letzten Zweifel in mir aus. Ich war wieder die Crisca, die er draußen in der Eiswüste vor dem Tod gerettet hatte. Dennoch las ich ein verstecktes Gefühl des Bedauerns in seinen Gedanken - ein Einhorn hinterlässt Spuren in jedem, der es gesehen hatte.
Frierend rappelte ich mich auf und Don‘kar stützte mich, indem er mich am Arm festhielt, er hatte Angst, dass ich vor Erschöpfung stürzen würde. Dankbar lächelte ich ihn für diese Fürsorge an - ich fühlte mich sehr schwach. Die Verwandlung hatte mich mehr Kraft gekostet als geahnt.
5. Drache
Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, wie ich in die Hütte und unter die warmen, weichen Felle gelangt war, aber ich fand mich zufrieden und schläfrig dort wieder und fühlte mich großartig.
Ich beobachtete Don‘kar wie durch einen Nebel geschäftig zwischen Kamin und Holzstelle hin und her eilend. Bald darauf tanzten tausend Schatten in der Hütte ihren Reigen an den Wänden und ich begann, die Wärme des Feuers in meinem Gesicht zu spüren.
"Möchtest du etwas essen?"
War ich hungrig? Ich roch den köstlichen Duft eines heißen Bratens und erinnerte mich, dass wir ein paar Hasen erlegt hatten. Wie viele Stunden war das jetzt her? Oh ja, ich hatte Hunger, in dem Augenblick, wo ich das Essen roch und das Wasser mir im Mund zusammenlief. Langsam kroch ich aus dem Bett, schlang ein großes Fell um meinen Körper, taumelte zum Tisch und spürte jeden Schritt wie durch Watte gedämpft. Ich schien zu schweben, fühlte mich wie unter Drogen gesetzt. Ich ließ mich mehr auf den Stuhl sinken, als dass ich mich aktiv setzte und sah, dass Don‘kar gegenüber Platz genommen hatte. Das Stück Fleisch auf meinem Teller roch verführerisch, ich dankte Don‘kar und fiel darüber her. Wir aßen schweigend, bis alles leer war. Das Fleisch war zart und mit verschiedenen Kräutern gewürzt, sodass es seinen typischen Wildgeschmack voll entfaltete. Nachdem wir noch einen Krug Kräuterwein geleert hatten, fühlte ich mich satt, zufrieden und endgültig berauscht. Auch Don‘kar löste der Wein die Zunge, doch er verlor kein Wort über die Verwandlung, die er mit eigenen Augen erlebt hatte. Wir erzählten viel und dabei erfuhr ich, dass Don‘kars Mutter schon lange gestorben war und sein Vater und Bruder weit weg wohnten. Er nannte mir die Namen der Orte - diese klangen fremd, wie eine schöne Musik in einer lauen Sommernacht - ich vergaß sie gleich wieder. Ich erzählte ihm ein wenig über mich, vor allem über Lebenssituationen, die ihn zum Lachen reizten und freute mich über seine gute Stimmung. Oh, er hatte ein wunderschönes Lachen!
Mit der Zeit wurde ich müde und wollte mich nur noch in die Felle kuscheln, meine Augen schließen, mich ausruhen, um neue Kräfte zu sammeln. Und neben Don‘kar liegen. Ich ging zum Bett und vergrub mich unter den Fellen.
Nachdem Don‘kar noch ein paar Holzstücke auf die glimmende Glut gehäuft hatte, tat er es mir gleich und Sekunden später lag er neben mir. Ich rutschte ganz nah an ihn ran, drehte mich auf die Seite, Don‘kar bettete sich hinter mich, legte seinen Arm um meine Hüfte und ich genoss die menschliche Nähe, den warmen Atem in meinem Nacken. Ich seufzte leise auf und während ich langsam in den Schlaf hinüberglitt, dachte ich noch, wie gut es war, dass ich kein Einhorn geblieben war.
Am nächsten Morgen fühlte ich mich wie neugeboren. Ich spürte keinerlei Nachwirkungen, weder vom Wein, noch von der Verwandlung. Don‘kar war schon vor mir aufgestanden und begrüßte mich mit seinem strahlenden Lächeln.
„Der Sommer kommt!", frohlockte er.
„Gestern war doch alles unter einer dicken Schneedecke begraben?", entgegnete ich ungläubig.
„Ich fühle, dass er kommt."
Ich zuckte mit den Schultern. Natürlich kannte er sich in seiner Welt besser aus. Ich zog mich an, hüllte mich zum Schluss noch in das Vulkanfell und ging vor die Tür. Draußen überkam es mich und ich begann zu rennen. Ich fühlte puren Übermut in meinen Gliedern, genoss das Spiel meiner Beinmuskulatur, rannte immer weiter der Eiswüste entgegen, stoppte am Rande des Waldes ab, der mir immer kleiner vorkam und trat die letzten paar Schritte unter den Tannen ehrfürchtig ins helle Licht, stellte mich dem eiskalten Wind entgegen. Ich witterte in alle Richtungen, schnupperte in jeder kalten Böe und roch es: Eine leichte Vorahnung lag in der Luft, eine Vorahnung von Blumen, sattem, grünen Gras, das Erwachen der Natur schwebte in der Atmosphäre unter dem strahlend blauen Himmel. Die Sonne schien mir ins Gesicht, wärmte es schwach, strafte den sichtbaren Atem eine baldige Lüge. Ja, der Frühling würde bald erwachen. Ich freute mich zutiefst darauf. Doch noch etwas anderes spürte ich in der eisigen Luft: Der Duft im Wind trug nicht nur die Ahnung eines herannahenden Frühlings in sich sondern auch das Aufkommen unabwendbarer Ereignisse.
Eine Weile trotzte ich dem eisigen Wind, ließ das Glücksgefühl, das mich gepackt hatte, in mir wirken, zerwühlte mit meinen nackten Füßen den Schnee und wunderte mich, dass diese noch nicht taub vor Kälte waren. Ich schloss die Augen, der Wind rüttelte an mir - ich vergaß völlig die Zeit.
Plötzlich verflüchtigte sich das Gefühl des Frühlings in mir und ich fror auf unerklärliche Weise von innen heraus. Erschaudernd öffnete ich die Augen und nahm in der Ferne, am Horizont, etwas Dunkles wahr, das am Himmel zu stehen schien. Nein, erkannte ich nach einer Weile, es stand nicht, es schwebte. Sofort verstärkte sich das eiskalte Gefühl in meinem Inneren und ich zitterte, als ob ich von einem Schüttelfrost gebeutelt wurde.
Was war das?
Es ängstigte mich! Ich drehte mich um - Don‘kar stand hinter mir. Ich war zu sehr mit dem Betrachten des schwarzen Punktes am Firmament beschäftigt gewesen, dass ich ihn weder gespürt noch gehört hatte.
„Was ist das?", fragte ich tonlos.
„Das ist ebenfalls ein Vorbote des Frühlings."
Seine düstere Miene verstärkte die Angst in mir. Was es war, wollte er mir nicht sagen, als ob die bloße Nennung des Namens sein Herannahen beschleunigen würde, aber ich fing einen Gedanken von ihm auf. Der Name allein erfüllte mich mit Ehrfurcht und Beklommenheit. Meine Beine vibrierten bis hoch in die empfindliche Magenspitze und das Gefühl fraß sich dort fest. Erschreckender weise wandelte sich jedoch Angst in Freude und einem Gefühl der Freiheit. Ich begann zu brennen, als ich den Namen noch einmal in Don‘kars Gedanken las: Der Schwarze Drache!
„Was ist er? Gut, böse?"
„Er ist, was er ist."
Er war, was er war? Was ist er, was dachten die Menschen über ihn? Er war ein Gefangener ihrer Gedanken, ein Sklave ihrer Ängste, Wünsche, Sehnsüchte. Was war er für mich? Ich musste es herausfinden. Er zog mich magisch an und ich hatte nicht die Kraft, dieser besonderen Magie zu widerstehen. Traumwandlerisch brach ich in die Richtung des schwarzen Schattens auf, als ich feststellte, dass mir Don‘kar hinterher lief.
„Wohin gehst du?"
„Ich muss ihn sehen, ihm gegenüber treten, mit ihm reden."