C. S. Ossig

Besondere Tage wie diese


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zunächst musste der Einbrecher ausgezogen werden. Ganz nackt. Die Klamotten gingen extra. Ich leitete derzeit eine Sonder-Sammel-Aktion für Rumänien, dem ärmsten Land Europas. Die Männerschuhe, Größe 44, kamen in einen gesonderten Karton, die Hosen und die Oberbekleidung, in einen anderen. So nackt, wie der Mann da lag, das war schon eine Sache für sich. Immerhin sah er von vorne nicht schlecht aus. "Wirklich schade. Der hatte echt was zu bieten", meinte ich und sah ihn mir ganz genau an. Besonders die Mitte. "Jetzt mach weiter, wir müssen heute noch fertig werden", forderte Frederike mich auf. "Schon gehört, amerikanische Wissenschaftler haben jetzt herausgefunden, dass man mit Toten reden kann." "Das ist ja phantastisch." "Ja, aber das Dumme ist, sie antworten nicht." "Du bist echt blöd, sieh zu, dass wir die Leiche in Säcke packen."

      Mit Hau-Ruck und Aufbietung aller unserer Kräfte fuhr der Mann nun unfreiwillig mit einem neuen SUV und uns in die Offenbacher Pampa. Nackt und in PVC gehüllt. Wohlfühlen geht sicher anders.

      Frederike versuchte mich abzulenken: "Stell Dir vor, ein Taxi-Passagier tippt dem Fahrer auf die Schulter, um etwas zu fragen. Der Fahrer schreit laut auf, verliert die Kontrolle über den Wagen, verfehlt knapp einen Bus, schießt über den Gehsteig und kommt nur wenige Zentimeter vor einem Schaufenster zum Stehen. Für ein paar Sekunden ist alles still, dann sagt der Taxifahrer: Bitte machen sie das nie, nie wieder! Sie haben mich zu Tode erschreckt. Der Kunde entschuldigt sich und sagt, ich konnte nicht ahnen, dass sie wegen eines Schultertippens gleich dermaßen krass reagieren. Ist ja auch nicht wirklich Ihr Fehler, meint der Fahrer. Heute ist mein erster Tag als Taxifahrer. Die letzten 25 Jahre fuhr ich einen Leichenwagen." "Doofe Nuss!! Zum Glück sind wir fast da. Gib mir schon mal die Schlüssel, ich mache dann gleich das Tor auf."

      Wir fuhren unbemerkt auf das Gelände. Die Firma war zu klein, um Security zu beschäftigen. Keiner bemerkte uns. Kameras gab es auch nicht. Aber wundervolle Zerkleinerungsmaschinen. Wir parkten ganz in der Nähe von Halle 1, der Sägezentrale. Der gut gebaute Mann musste nun hier auf die Edelstahlliege. Irgendwie schade um ihn.

      Frederike und ich zerlegten ihn in Einzelteile. Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen. Alles was Fleisch ist, musste nach links, Kopf und Knochen nach rechts. Zum Glück hatte der Typ eine Glatze. Reste von zerkleinerten Haaren würden nun mit Sicherheit nicht auffallen.

      Es gab bestimmte Ablaufmechanismen, die ich bereits kannte. Davon hat Friederikes Mann oft genug erzählt. Übrig bleibt zum Schluss: Nichts Erkennbares. Sagt er.

      Wir schalteten die Maschinen an. Was soll ich sagen: Es stank. Zum besseren Verteilen warfen wir noch ein paar Tiefkühltiere mit hinein. Diese Masse war so undurchsichtig und schmierig wie grobe Leberwurst. Mir wurde schlecht. Ich beschloss, zukünftig Vegetarierin zu werden.

      Wir schmissen die automatische Dosenfüllanlage an. Die nächste Lieferung ging komplett als Billighundefutter raus. Passt. Wir fuhren die Anlage runter, reinigten alles, schlossen die Firma ab und fuhren zu mir nach Hause.

      "Sag mal, Frederike" sagt ich, "da haben wir wohl gerade noch die Kuh vom Eis gekriegt. Aber was wollen wir denn in Zukunft machen?" "Wir eröffnen ein Detektiv-Büro." "Super Idee! Und wie wollen wir uns nennen? ‚Frederike und Karen-Lara, Detektei', das klingt unprofessionell." "Ne, wir kürzen unsere Namen ab in: Frikasse, Fred und Karla, Erlensee, Detektivbüro." "Genau, und weißt du, worauf wir uns spezialisieren? Auf das Aufspüren von Mördern und Kriminellen: Wir verkleinern ihre Probleme!"

      "Yeap, darin haben wir ja jetzt Erfahrung. Prost! Und wie viel Auslastung hat Eure Anlage, sagtest du…?"

      Schlangen-Cocktail

      Es gibt tatsächlich Schlangen, die es schaffen, zu Menschen zu mutieren. Als Frau getarnt zischen sie mit ihrer Zunge und häuten ihre Meinungen, wenn es gerade passt. Es ist kaum zu glauben, wo diese Mutanten im täglichen Leben überall anzutreffen sind. Selbst an harmlosen, ganz banalen Orten oder Situationen, wie bei einem Restaurantbesuch.

      Ich gehe mit meinem Mann recht gerne im Bürgerhaus essen: Gute deutsche Küche, Schnitzel mit Pommes und Salat. Aber seit Neustem gibt es hier einen anderen Pächter, einen Italiener, der frischen Wind in die Speisekarte gebracht haben soll. Wir wollen das testen. Es ist Freitagabend, 18.30 Uhr, das Restaurant ist noch nicht ganz voll. Die Leute kommen nach und nach. Wir sitzen gegenüber vom Eingang in einer Nische, ich mag diese Ecke, sie gibt einen unterhaltsamen Überblick.

      Zur Tür herein kommt eine Frau mit ihrem Mann und wählt den Tisch neben uns. Sie zieht ihre Fellstola von den Schultern und bestimmt ganz klar, wer sich wo hinsetzt. Er auf der Bank, sie auf dem Stuhl. Sie nehmen sich beide die Speisekarte und vertiefen sich in die Auswahl. "Wir nehmen zum Essen einen Grillo, was meinst du?" "Ja, mein Schatz." Und dir bestelle ich Schweinemedaillons Scaloppine, die sind mager, das ist gut für deine Figur." "Ja, mein Schatz." "Und als Vorspeise Antipasti und einen Cocktail Camberetti, einverstanden?" "Ja, mein Schatz." "Und sag nicht immer ‚Ja, mein Schatz'." "Ja, ist gut."

      Der Ober kommt. Sie bestellt. Für sich noch zusätzlich Spinaci al Forno als Hauptgang. "Spricht man hier eigentlich kein richtiges Deutsch?" "Warum fragen Sie, Signora?" "Weil in der deutschen Übersetzung von Spinaci al Forno ‚Speinat überbacken' angegeben ist." Sie schaut triumphierend und deutet mit dem Finger auf die fehlerhafte Stelle. Der Ober sieht sie an und kontert: "Damit der Gast weiß, dass er Spinat mit Ei bekommt, Signora." "Und Omelette wird übrigens mit zwei T geschrieben." Der Ober notiert auf seinem Block "… und ein Omelette mit zwei Tee, ausgezeichnete Wahl, Signora." "Nein, lassen Sie es gut sein. Sie haben unsere Bestellung ja bereits."

      Ich sitze neben meinem Mann und grinse in mich hinein. Na, das ist ja eine tolle Nummer neben mir. Witzig. Sie spricht so laut, dass man gar nicht anders kann, als hinzuhören. "Hast du das mitbekommen?", fragt sie ihren Begleiter, "der wollte sich doch wirklich mir gegenüber als intelligent aufspielen. Unglaublich."

      Wir haben noch nicht bestellt und ich frage meinen Mann, was er mir empfehlen würde. "Wenn ich ganz ehrlich bin, das Restaurant zwei Häuser weiter", meint er. Aber ich kenne seinen Humor und wir wählen das, was wir am liebsten essen, ich einen Salat ‚a la Chef' und mein Schatz ein italienisches Pfeffersteak, dazu einen guten, dunklen Rotwein. Und als Vorspeise frisch überbackene Bruschetta.

      Am Tisch neben uns wird der Wein gebracht. Der Ober öffnet die Flasche gekonnt, gießt einen kleinen Schluck in ein Glas und lässt die Dame probieren. "Der riecht korkig. Bitte nehmen Sie eine neue Flasche." Er geht und kommt mit einer zweiten Flasche zurück. "Der ist übergegangen. Haben sie in ihrem Weinsortiment keine anständigen Weine? Bringen sie uns besser einen Pinot Grigio. Ist ja nicht zu fassen." Der Ober platzt fast, hat sich aber noch gut im Griff und geht. "In dieses Restaurant gehen wir nicht mehr, die haben hier eine ganz schlechte Auswahl." "Ja, mein Schatz."

      Ich schaue zu dem Paar am Nachbartisch hin und denke mir meinen Teil. Sie schaut mich an, ich schaue sie an. Zwei Augenpaare treffen sich. In Lichtgeschwindigkeit fällen wir unser Urteil. Dumme Nuss kommt von mir, arrogante Ziege von ihr. Die Fronten sind geklärt. Unsere Männer bekommen davon nichts mit. Scheinheilig dreht sie sich zu ihrem Partner um. "Es gibt Leute, die gehen beim Discounter einkaufen und haben es gar nicht nötig. Und dabei zeigen sie eine unglaubliche Arroganz. Das ist pure Falschheit. Das kann ich ja gar nicht leiden. Was meinst Du dazu?" "Wie du meinst, mein Schatz." Pause. Ich sehe meinen Mann an und sage scheinbar völlig aus der Luft gegriffen "Wer Klasse hat muss nicht unbedingt Lehrer sein, manche sind in ihrer Niveaulosigkeit besonders große Klasse!" Touché.

      Der Ober kommt an den Nachbartisch und serviert den Pinot Grigio. Er fragt, ob dieser nun genehm sei. Die Frau verzieht den Mund nach der Weinprobe und sagt "Mit etwas Öl und Salat wäre er sicher nicht schlecht. Aber lassen Sie die Flasche jetzt hier."

      Nun hat mein Mann die Situation am Tisch neben uns doch erfasst - Männer sind da manchmal etwas langsamer - und zitiert für mich, dennoch laut genug zu hören: "Für ein gutes Tischgespräch kommt es nicht so sehr darauf an, was sich auf dem Tisch, sondern was sich auf den Stühlen befindet. Sagte schon Walter Matthau."

      Die