Hans Bahmer

Vier Jahre Türkei


Скачать книгу

Restaurant ersetzt und die Stadt Istanbul sich von anderen Regionen immer weniger unterscheiden. Meine Garküche jedenfalls wurde bereits durch ein. Wenn man eines Tages feststellt, dass es kein Kokoreç mehr gibt, ist es bereits schon zu spät!

       NOAHS BERG

       Als ich den schneebedeckten Ararat zum ersten Mal sah, war es Mai und die weiße Pracht bedeckte die Berghänge noch weit bis in das Tal hinab. Der isoliert herumstehende Berg im Osten der Türkei erinnerte unter der Schneedecke an ein überdimensionales Möbelstück, das von seinem für längere Zeit verreisten Besitzer zum Schutz mit einem weißen Tuch abgedeckt wurde. Der einsame, verlassene Berg machte mich neugierig, weckte die Lust ihn zu besteigen. Die Tour versprach ein paar Tage Einsamkeit. Aber es sollte ganz anders kommen. Um den Gipfel des 5165 Meter hohen Vulkans zu besuchen, benötigt man eine Genehmigung und einen Führer. Der Bergführer brachte noch zwei Freunde mit, damit ihm die Einsamkeit der Landschaft nicht zu sehr auf das Gemüt schlug. Also waren es schon drei Begleiter. Der junge Bergführer wurde noch von seinem Vater begleitet. Damit erhöhte sich die Zahl der Mannschaft auf vier Personen. Der Vater kam nicht ganz allein, sondern hatte noch zwei Freunde eingeladen. Damit stieg die Teilnehmerzahl auf sechs. Einer der beiden Freunde des Vaters wiederum hatte noch seinen Sohn dabei. So waren es sieben Personen, die auf den Gipfel drängten. Zählt man noch den Führer der Lastpferde dazu, der vom Gipfelsturm nur durch seine Halbschuhe abgehalten wurde, waren es sage und schreibe acht Personen, durch deren Anwesenheit sich die schöne Bergeinsamkeit verflüchtigte, wie das Parfüm aus einem geöffneten Flacon. Am Anfang gesellten sich sogar noch 32 Soldaten dazu, die uns bis auf 2000 Meter Höhe eskortierten. Von Bergeinsamkeit keine Spur!

      Wenn man von Van in Ostanatolien nach Dogubayazit fährt, schlängelt sich die Straße durch alte Lavafelder und schraubt sich auf einen Pass. Noch ein paar Kurven und plötzlich blickt man auf einen einzelnen Berg, der für einen Moment vergessen lässt, dass man mit 18 anderen Menschen einschließlich deren Gepäck in einem sogenannten Dolmusch, einem türkischen Verkehrsmittel, eingepfercht ist, verdrängt für einen Augenblick die hier im Kurdengebiet ständig stattfindenden Reiseunterbrechungen wegen lästiger Ausweiskontrollen.

      Auch für den Erstbesteiger und gläubigen Christen Friedrich Parrot löste bereits der Anblick dieser Gebirgslandschaft starke Gemütsbewegungen aus: „Welche Gefühle müssen sich nicht in der Brust des Christen regen, wenn er seinen Blick dem heiligen Noahberge zuwendet, welcher alle Reize einer großartigen und gleichwohl so lange verschleierten Natur mit dem ganz eigentümlichen Interesse eines ganz uralten Denkmals und Zeugnisses von einer der größten welthistorischen Begebenheiten und unmittelbaren Veranstaltungen Gottes zur Erhaltung des Menschengeschlechts in sich vereinigt!“

      Das auch heute noch beeindruckende Panorama ist nur kurz zu genießen, da um diese Tageszeit der obligatorische Staubsturm über das ausgedörrte Land zieht, jeden Blick in die Ferne verhindert und eher eine Weltuntergangsstimmung aufkommen lässt, als Gedanken an die Errettung der Menschheit, die sich hier nach christlichen Vorstellungen einst abgespielt haben soll. Seit es im ersten Buch Mose, Kapitel 8, Vers 4 heißt: „Am siebzenten Tage des siebenten Mondes ließ sich der Kasten nieder auf das Gebirge Ararat“, ist der Berg, an dem die Arche Noah gestrandet sein soll, in unserem Kulturkreis unter dem Namen Ararat bekannt. Im nur einen Steinwurf entfernten Iran spricht man von Noahs Berg und nennt ihn Kuh-i-Nuh. In dem inzwischen wieder unabhängigen, vom christlichen Glauben geprägten Armenien, auf das der Ararat seit ewigen Zeiten seinen bis zu 150 Kilometer langen Schatten wirft, sagt man Masis, der Erhabene, wenn man von diesem Berg spricht. In der Türkei, auf dessen Hoheitsgebiet der heilige Berg heute liegt, heißt der erloschene Vulkan Agri dagi, was mit steiler Berg aber auch mit Kummerberg übersetzt werden kann. Zwei Namen, die jedem einleuchten, der sich auf den 5165 Meter hohen Steinkoloss geschleppt hat. Der legendäre Berg, der im Grenzgebiet zum Iran, der ehemaligen Sowjetunion und im Siedlungsgebiet der Kurden sein ganzjährig schneebedecktes Haupt gen Himmel reckt, war über viele Jahre hinweg für Besucher ein verbotenes Terrain. Warum, weiß niemand so genau. Mal mussten Kurden für das Besuchsverbot des Noah-Berges herhalten, die durch Geißelnahme von Touristen versuchen könnten, die Weltöffentlichkeit auf ihre Probleme aufmerksam zu machen, dann waren es die missliebigen Nachbarn, die sich vor dem tiefen Einblick in ihre Territorien von der Natur-Aussichtsplattform angeblich belästigt fühlten.

      Wie dem auch sei, inzwischen kann der Berg, von dem die Armenier glauben er sei „die Mutter der Welt“ und aus diesem Grund nicht bezwingbar trotz der Berggeister, die dort ihr Unwesen treiben sollen, wieder besucht werden. Bevor einem die Bergkobolde in die Quere kommen können, muss man es erst einmal mit verschiedenen türkischen Behörden aufnehmen. Diese vergeben nämlich die Besteigungsgenehmigung und das sogar gebührenfrei, was um so erstaunlicher ist, da ja doch einige Dienstleistungen geboten werden. Wir sind jedenfalls guten Mutes, als wir bei der Jandarma, einer Art Polizei, vorsprechen, schließlich befinden sich in unserem Gepäck nicht nur Steigeisen und Eispickel, sondern bereits die Monate vorher beantragte Genehmigung. Die Sache läuft gut an, denn die Personalien sind schnell aufgenommen. Selbst um unsere Sicherheit macht man sich hier scheinbar ernsthafte Sorgen. Wer Noahs Berg besteigen möchte, muss ein Handy dabei habe, Erfahrung und restliche Ausrüstung dagegen interessiert keinen. Daneben möchte die Polizei noch die Blutgruppe und den Rhesusfaktor wissen. Die nächsten vier Stunden verbringen wir wartend im dürftigen Schatten einiger junger Bäume, immerhin in Sichtweite unseres majestätischen Ziels, das sich uns wolkenfrei von seiner besten Seite zeigt. Warten auf ein Zeichen des Kommandanten, dass es weitergeht. Es geht nicht voran, weil just zu diesem Zeitpunkt drei Ausländer ohne Genehmigung hier auftauchen, die Polizei uns aber nur alle gemeinsam zum Ausgangspunkt unserer Bergbesteigung begleitet. Unsere türkischen Leidensgenossen vertreiben sich die Zeit mit Gesang, Klimmzügen und Liegestützen in allen Variationen, wie sie vermutlich beim Militärdienst gelernt wurden, Demonstrationen ihrer guten Fitness. Türkische Bürokratie kann einem das Fürchten lehren aber auch ungeheuer sympathisch sein. Brauchten wir mehrere Monate, um die Besteigungsgenehmigung zu erhalten, geht es plötzlich vor Ort innerhalb von vier Stunden. Eine filmreife Vorführung gibt es gratis dazu. Da treten plötzlich 32 Männer mit ihren Schnellfeuerwaffen auf dem tristen Kasernenhof an, ein paar Befehle, alle springen in ihre Autos und los geht die Fahrt in Richtung Berg. Wen stört es da schon, dass inzwischen wieder die Zeit des Staubsturmes gekommen, unser Ziel fast nicht mehr zu erkennen ist und wir schon nach wenigen Minuten Fahrt auf dem offenen Lastwagen total eingestaubt sind. Auf 2000 Meter ist endlich der Weg für den Lastwagen nicht mehr befahrbar. Unsere Besteigung des Ararats kann beginnen. Bis unser Gepäck auf zwei Pferden verstaut ist, gibt unsere Eskorte noch einmal eine Kostprobe ihres Könnens. Bei ihrer Abschiedsvorstellung liegen die Soldaten um uns herum im Gelände mit ihren Waffen im Anschlag und sichern uns vor einem unsichtbaren Feind. Don Quixote lässt grüßen.

      Obwohl der Ararat bereits im Jungtertiär entstanden ist und während dieser Zeit seine aktive Phase hatte, sind die Hänge dieses Gebirgsstockes von 128 Kilometer Umfang heute selbst am Fuße vollkommen baum- und strauchlos. Nichts, was auch nur einen Quadratzentimeter Schatten spenden könnte. Früher muss es hier anders ausgesehen haben, denn nach arabischen Quellen war der Masis wald- und wildreich. Wildesel, Löwen, Hirsche und Wildschweine streiften einst durch die Gegend. Die karge Vegetation aus Gräsern und Kräutern, deren Duft einem immer wieder in die Nase steigt, wird während der Sommerzeit von Halbnomaden genutzt, deren Lager sich bis auf 3000 Meter die Berghänge hinaufziehen, wo ihre Herden aus Schafen und Ziegen weiden. Auffallend sind riesige Hunde, die wenn sie auf der Hinterhand sitzen selbst einen Esel an Höhe überragen. Die Wachhunde sollen die Tierherden vor Wölfen schützen, die zumindest dem Erstbesteiger über den Weg liefen: „Ich sah fünf Wölfe gravitätisch den Abhang des Ararat herabsteigen und ein der kleinen Herde abgejagtes Kalb vor sich hertreiben.“ An den wenigen Lagern, die wir passieren, leben die Menschen nicht mehr in Zelten aus Ziegenhaar, sondern in Unterkünften, die das Zeichen des türkischen Roten Halbmondes tragen. Alle Menschen, aber besonders die Kinder, leiden mehr oder weniger stark unter Sonnenbrand im Gesicht und man fragt nach Sonnenschutzmitteln. Dem Gast wird Ayran, ein salziges Yoghurt-Wassergetränk angeboten. Wir schlagen unser erstes Lager in etwa 3400 Meter Höhe auf. Ein schönes, grünes Fleckchen zwischen Bergen unterschiedlichster Steinbrocken, die von früheren Besuchern als „Schutt,