Ernst Meder

Es gibt kein Verzeihen


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auch an dem Blick, der sich unvergesslich bei ihm eingebrannt hatte, waren unverkennbar.

      Den Beginn der Predigt hatte er zwar mitbekommen, alles, was danach gesagt wurde, war an seinen Ohren vorbei gerauscht, ohne nachhaltig in Erinnerung zu bleiben. Den Sinn oder die Aussage der Predigt hätte er nicht wiedergeben können, so sehr war er in seine Gedanken versunken, war in die Vergangenheit zurückgekehrt.

      Wie aus einer Trance erwachend spürte er die Veränderung bei den anderen Besuchern, bemerkte, dass die Predigt gerade endete und der Gesang das Ende des Gottesdienstes ankündigte. Ehe noch das letzte Amen erklang, hatte er sich erhoben und verließ leise die Kirche ohne sich noch einmal umzusehen um sich an anderer Stelle seinen Gedanken hinzugeben. Er war der Erste von ihnen, die anderen würde er zu einem späteren Zeitpunkt betrachten, sie in ihrem Alltag beobachten.

      Schnell ging er zu seinem kleinen Transporter, der ihm bisher immer gute Dienste geleistet hatte. Er war überzeugt, dass dieser Pfaffe ihn in der Kirche gesehen hatte, allerdings war er sicher, dass dieser ihn nicht erkannt hatte, schließlich lagen einige Jahre zwischen ihrem letzten Treffen. Trotzdem wollte er nicht, dass er ihn jetzt erneut sah. Auch ihm musste irgendwann auffallen, dass es kein Zufall sein konnte, wenn man an den unterschiedlichsten Orten zu häufig auf die gleiche Person traf.

      Sein Transporter war so geparkt, dass er den Haupteingang der Kirche ebenso wie den Nebeneingang einsehen konnte, er sehen konnte, wann der Pfarrer die Kirche verließ. Kurz danach wurde das Portal geöffnet, dann trat er als Erster aus der Kirche, um unmittelbar am Portal stehen zu bleiben. Salbungsvoll verabschiedete er sich von jedem seiner treuen Kirchgänger einzeln, sagte ihnen wahrscheinlich, dass er sich bereits auf den nächsten Sonntag freue. Genau diesem direkten Gegenübertreten zum jetzigen Zeitpunkt hatte er aus dem Weg gehen wollen, dies würde noch früh genug erfolgen.

      Obwohl es schien, dass die Flut der zwanzig Kirchgänger kein Ende nehmen wollte, erreichte nach zehn Minuten als Letzte eine Frau in Kostüm mit Hut das Portal. Es konnte nur Absicht dahinter stecken, denn sie ließ es sich nicht nehmen, sich ausführlich von ihm zu verabschieden. Sein leicht schmerzlich verzogenes Lächeln zeigte auch auf die Entfernung, dass er dieser Geschichten und Lobreden überdrüssig war, er endlich die Türe verschließen wollte.

      Endlich klappte das große Portal zu, die Kirche war verschlossen. Nun konnte es vielleicht noch eine viertel Stunde dauern, dann würde er erscheinen, in seinen PKW steigen, um nach Hause zu fahren. Er kannte bisher nur seine Wirkungsstätte seine private Adresse hatte er noch nicht in Erfahrung gebracht.

      Die Zeit verging, ohne dass er darauf geachtet hätte, erst als er auf seine Uhr blickte, starrte er erstaunt zu der Kirche. Sollte er ihn verpasst haben, er konnte doch nicht fünfzig Minuten für das Umziehen und das Weglegen seines Gebetsbuches benötigen. Er war sicher, dass er ihn gesehen hätte, sofern er einen der beiden Zugänge benutzt hätte. Oder hatte er einen Zugang übersehen, gab es noch einen dritten Zugang, aus dem er ihm entwischt war. Er musste das unbedingt überprüfen. Gerade wollte er aus seinem Transporter aussteigen, als er sah, wie sich die Tür des Nebeneingangs öffnete.

      Mit einem Lachen auf dem Gesicht drehte er sich um zu der jungen Frau, die ebenfalls lachte, um diese heraustreten zu lassen. Zwischen den Beiden schien ein Einvernehmen zu bestehen, welches über das Verhältnis Pfarrer und Sünder hinausging. Wer war die Frau, hatte er inzwischen geheiratet. Er würde Kenntnis über deren Verhältnis erlangen egal auf welchem Weg auch immer.

      In der Zwischenzeit beobachtete er, wie der Pfaffe sich vorsichtig umsah, dann den Arm um die junge Frau legte, die wesentlich jünger als er war. Auf den ersten Blick hatte er sie auf vielleicht Anfang zwanzig geschätzt, beim Näherkommen sah er, dass er sich geirrt hatte, dass sie eher Ende zwanzig war. Ihre Größe, sowie ihr kurzes blondes Haar hatten dieses mädchenhafte Aussehen verstärkt, welches sie mit ihren eng sitzenden Jeans und dem sehr kurzen T-Shirt noch unterstrich.

      Sie drückte sich an ihn, während sie nebeneinander hergingen, wobei sie den Kopf in den Nacken gelegt lächelnd zu ihm hochsah. Während er etwas erzählte, was sie zu amüsieren schien. Sie wirkten sehr glücklich, vielleicht hatte er ja inzwischen eine Lebensgefährtin oder eine Frau gefunden.

      Verwirrt blickte er auf die Szene, als sich die Beiden kurz verschämt küssten dann auf unterschiedliche Fahrzeuge zustrebten. War sie später mit ihrem eigenen Auto gekommen, während er bereits in der Kirche war oder weshalb zwei Autos. Blitzschnell musste er sich entscheiden, wem er folgen sollte, außerdem verwunderte ihn die Wahl ihrer Fahrzeuge, die unterschiedlicher nicht sein konnten. Während er in einen weißen Opel Corsa stieg, der seine besten Jahre bereits hinter sich hatte, schwang sie sich graziös in einen Porsche, der im Gegensatz dazu sehr neu wirkte.

      Kurz entschlossen beschloss er, der Frau zu folgen. Waren die Beiden ein Paar, würde sie ihn genauso zum Ziel führen, als folgte er ihm. Sollte sie ein anderes Ziel anstreben, hatte er am nächsten Sonntag erneut die Möglichkeit ihm zu folgen. Sie winkte dem Pfarrer zu, als dieser bei ihr vorbeifuhr, während sie wartete, bis sich das Faltdach ihres Cabrios geöffnet hatte.

      Langsam folgte er der Frau, dabei besonders darauf achtend, nicht zu nahe aufzufahren. Er wollte nicht, dass sie bemerkte, dass jemand ihr folgte. Sie fuhr ausgesprochen langsam bewegte sich wie im Takt, wobei aus den rhythmischen Kopfbewegungen beinahe das Lied erkennbar wurde, welches sie gerade mitsang. Sie wirkte fröhlich und abgelenkt, sodass er beschloss, näher aufzuschließen, damit er sie nicht verlieren würde, wenn sie sich plötzlich entschloss, schneller zu fahren.

      Den gesamten Weg nach Westend verhielt sie sich unverändert, sodass es keine Mühe bereitete, ihr zu folgen, bis sie endlich in der Villengegend des Westends ankamen. Hier war sonntags um diese Zeit wenig Verkehr, deshalb ließ er sich weiter zurückfallen, er wollte nicht, dass sie ihn im letzten Augenblick bemerkte. Ein kurzes Blinken dann war der Porsche verschwunden, obwohl keine Straße erkennbar war. Sie konnte also nur in eine Einfahrt eingebogen sein.

      Er wartete fünf Minuten dann rollte er langsam zu der Stelle, an der die Frau eingebogen und nicht wieder aufgetaucht war. Der Porsche stand in der Garagenauffahrt einer größeren Villa, das Dach war immer noch offen, nur die Frau war verschwunden. Langsam rollte er weiter, bis er an einer Gartentür ein Namensschild sah. Er blieb stehen, griff nach einem Stadtplan, tat so als suche er eine bestimmte Straße, dabei las er den Namen, den jemand auf einem bunten Emailleschild verewigt hatte.

      Während er den Namen las, B+A Mühlheim stand auf dem Schild, notierte er Namen und Adresse auf einem Notizblock. Dann legte er den Gang ein und fuhr weiter, ein Transporter an einem Sonntag in einer Villengegend spornte die professionellen Spitzel an. Diese würden nur allzu gern Nummernschilder und weitere Merkmale notieren, um diese der Polizei zu mitzuteilen.

      In seiner Wohnung angekommen, setzte er sich als Erstes an seinen Computer, um im Internet nach Mühlheim zu suchen. Nach der Überwindung erster Datenflut über die Stadt Mühlheim fand er einen Albert Mühlheim, der als Zahnarzt eine professionelle Webseite betrieb, auf der er für seine Praxis warb. Ein Klick auf die Mitarbeiterbilder öffnete eine Seite, auf der mehrere Bilder von ihm wie auch von Mitarbeiterinnen zu sehen waren.

      Er entdeckte sie sofort, wie sie, inmitten weiterer Zahnarzthelferinnen, lächelnd in die Kamera blickte. Unter dem Bild waren die Namen der Mitarbeiter vermerkt, bei der vierten Person von links fand er den gesuchten Namen, Beate Mühlheim. Sie war also die Ehefrau dieses Zahnarztes, dessen Bild er nun mit anderen Augen sah.

      Diese geänderten Vorzeichen bewirkten, dass er kritischer auf den Mann blickte, als er es sonst gemacht hätte. Jetzt sah er einen Mann, Anfang dreißig mit einer Halbglatze, der sehr sportlich wirkte, dessen Aussehen jedoch keine Verzückung bei einer Frau wie Beate Mühlheim ausgelöst hätte. Hier zählten eindeutig die inneren Werte, vielleicht auch die monetären, aber dies wollte er nicht beurteilen.

      Nachdenklich lehnte er sich in seinem Schreibtischstuhl zurück, wobei er das Bild immer noch anblickte. Konnte es sein, dass der Pfaffe ein Verhältnis mit einer verheirateten Frau hatte. Dann fiel ihm die lange Wartezeit nach Beendigung der Predigt ein, ihr Verhalten beim Verlassen der Kirche, wie sie zu ihm aufgesehen hatte. Er lachte kurz auf, sie hatten es nach dem Gottesdienst in der Kirche oder in der Sakristei getrieben, aber das war gleichgültig wo,