Agnes M. Holdborg

Kuss der Todesfrucht


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      Er war vergnügt - sie am Boden zerstört.

       Radaufhängung? Was heißt das? Vielleicht Achse?

      Das hörte sich nach verdammt hohen Kosten an. Dabei hatte sie erst gestern eine super schöne, zudem sündhaft teure Handtasche entdeckt.

      »Tja, ich empfehle Ihnen da mal eine neue Kiste. Mit Tickel-Tackel-Schuhen oder 'ner schicken Handtasche können Sie jedenfalls nicht fahren, Süße.«

       Gott, kann dieser ungehobelte Klotz etwa auch meine Gedanken lesen, so wie ...? Stopp! Den letzten Gedanken unbedingt streichen!

      Insgeheim stimmte sie dem Mann zu, wenn auch widerwillig. Trotzdem, es müsste eine andere Lösung für das Problem geben.

      Dankbar, dem Kamikaze-Fahrer entkommen zu sein, stieg sie an der Werkstatt mit wackligen Beinen aus.

      »Hey«, meinte der Mechaniker in versöhnlichem Ton, wobei er ihr den Autoschlüssel reichte, »es wäre wirklich vernünftiger, wenn Sie sich mal ein neues Auto zulegen würden. Das ist nämlich nicht das einzige Manko, was diese olle Karre hier aufweist. Es lohnt sich einfach nicht, dafür noch Geld zu investieren, echt.«

      Sein Lächeln schien aufrichtig zu sein. Erst jetzt bemerkte Manuela sowohl die Zahnlücke und angegrauten Haare als auch seine eher väterliche Art. Der Mann war sicher schon ein Stück über fünfzig und könnte ihr Vater sein. Warum hatte sie das nicht gleich bemerkt?

      Na ja, fiel ihr wieder ein, ein väterlicher Typ sagt wohl kaum ›Süße‹ zu seiner Kundin.

      Sie unterdrückte ihren aufkeimenden Ärger. »Ach verflixt, ich hänge an dem alten Teil. Ist denn da gar nichts zu machen? Was würde es denn kosten?«

      »Na ja, 'nen Tausender wären Sie mindestens los, wenn Sie das alles richten lassen. Er muss ja auch bald zum TÜV. Also – roundabout – tausendfünfhundert, weniger ist nicht, Süße, eher mehr.«

      Schon wieder ›Süße‹! Ihre Geduld zersprang wie sprödes Glas.

      »So, jetzt hören Sie mir mal zu, Herr, ähm ...« Sie versuchte, das verdreckte Namensschildchen auf seiner Blaumannbrust zu entziffern, musste sich dann ein Kichern verkneifen. »... Herr Müller! Erstens: Ich heiße Frau Kern, nicht Süße! Zweitens: Ich bin durchaus in der Lage, das Geld für mein Auto lockerzumachen – mit oder ohne Handtasche – süßer Herr Müller. Tja, und drittens: Ich vertraue ich Ihnen nicht, weshalb ich mal eine weitere Meinung einholen werde. Guten Abend!«

      Damit ließ sie den Mechaniker stehen, stieg ein und fuhr schnurstracks in ... Oh nein, nicht in Richtung meiner Wohnung! Noch kannte der Typ einzig ihren Nachnamen und wusste auch nur, dass sie irgendwo hier in der Nähe wohnte. Sie würde ihm nicht zeigen, dass ›in der Nähe‹ direkt nebenan war. Schließlich wusste man ja nie! Da wäre sie besser vorsichtig.

       Himmel, Arsch und Zwirn, was für ein beschissener Feierabend ist das denn?

      ~~~

       Aah, ist das eine Wohltat! Gott, wie ich das liebe!

      Mit einem wohligen Schnurren ließ sie sich vom weichen Schaum streicheln und versenkte ihre Locken in das duftende Badewasser. Dieses Vergnügen für die Sinne hatte sie sich redlich verdient, fand sie. Die heimelige Atmosphäre, die sie in ihr kleines Bad gezaubert hatte, konnte sie auch mit geschlossenen Augen genießen.

      Bei der Besichtigung der Zwei-Zimmer-Wohnung vor vier Monaten hatte sie ein tristes weißgefliestes Badezimmer mit kleinem Fensterchen vorgefunden und deswegen fast abgelehnt, weil sie durch das viele Weiß zu sehr daran erinnert worden war, wie ... Stopp! Aber dann war ihr eingefallen, dass sie jetzt – im Gegensatz zu früher – freie Hand besaß: Sie durfte die erste eigene Wohnung ihres Lebens nach Herzenslust selber einrichten und gestalten, ganz nach ihrem persönlichen Geschmack!

      So war zuallererst dieses Bad von ihr mit wenigen Dingen in eine feminine Wohlfühloase verwandelt worden. Dazu hatte es nicht viel gebraucht, nur ein paar farbige Akzente und Accessoires. Besonders die Farbwahl hatte ihr großen Spaß bereitet: Pink, Rosa, Rot, Orange – früher undenkbar! – setzten sich nun fröhlich von dem glänzenden Weiß ab. Herrlich, befand sie und schmunzelte glücklich.

      Früher, da ... Manuelas Mundwinkel verzogen sich nach unten. Verärgert schlug sie die Augen wieder auf, fokussierte eines der vielen Duftteelichte, die sie auf dem Wannenrand und Toilettendeckel sowie der Fensterbank in bunten Gläsern – natürlich in passenden Farben – aufgestellt hatte und ein geheimnisvoll freundliches Licht verströmten. Das half ihr, den anstrengenden Tag, ihre Vergangenheit, zudem die tief in ihr festsitzende Traurigkeit zu verdrängen.

      Der Tag war aber nicht nur anstrengend und doof, musste sie sich eingestehen, dafür war er einfach zu besonders.

      Er hatte völlig unspektakulär begonnen: Alles lief glatt. Die Klamotten, das Make-Up, ja, sogar die Frisur saßen. Die Arbeit machte Spaß.

      ›Nicht schlecht‹ hatte Manuelas Chef ihre ausführlichen Schreiben samt zwanzigseitigem Bericht an die Hauptstelle genannt. ›Nicht schlecht‹ aus seinem Munde bedeutete ein fettes Lob. Noch dazu hatte er ihr eine Tätigkeit mit Führungsoption in Aussicht gestellt, was auch eine bessere Bezahlung bedeutete. Dabei war sie insgeheim mit der Höhe des monatlichen Gehaltes mehr als zufrieden, jetzt, wo es ihr ganz allein gehörte und sie ...

      Sie verdrehte die Augen, weil sie sich erneut auf gefährlichem Tabu-Terrain befand, und begann deshalb damit, ihr Gesicht mit Peelingcreme zu bearbeiten. Währenddessen richtete sie ihre Gedanken zielorientiert aus. Das bedeutete, positive Bilanz zu ziehen. Eine ihrer weiteren Methoden, sich der schwierigen Lebenssituation anzunehmen.

      Sie war heute gleich zweimal angebaggert worden. Zweimal! Gut, der eine zählte in ihren Augen nicht. Der fiel unter die Kategorie ›jugendlicher Übermut‹. Aber der andere – der war schon ein besonderes Kaliber. Obwohl sie dessen Telefonnummer sofort zerknüllt und in den Papierkorb geworfen hatte, lag der Zettel nun fein säuberlich geglättet auf ihrem Schreibsekretär im Wohnzimmer. Niemand könnte ihr verbieten, diesen durchaus interessanten, äußerst gut aussehenden Mann vielleicht doch anzurufen. Früher, ja ...

      »Grrrr«, knurrte sie und tauchte ganz mit dem Kopf unter Wasser, um weitere Tabus daraus zu vertreiben. Dann machte sie sich daran, ihre Beine samt anderer wichtiger Stellen zu rasieren, um damit das Schönheitsprogramm zu komplettieren. Sie zelebrierte es wie ein Ritual. Jede Regelmäßigkeit war wichtig für sie und für ihr seelisches Gleichgewicht.

      Deshalb hatten sie diese ganzen unvorhersehbaren Ereignisse auch ein kleines bisschen aus der Bahn geworfen, gestand sie sich ein. Aber das hatte sie nun alles gut hinter sich gebracht, womit sie diese abschweifenden Gedanken endgültig ad acta legte. Stattdessen sinnierte sie darüber nach, wie sie in der Autofrage vorgehen wollte. Neben positivem Bilanzziehen hatte sie sich nämlich auch antrainiert, Probleme offen anzugehen.

      Eigentlich hatte sie in der Autowerkstatt rein emotional reagiert, als es hieß, dass der alte Golf eher nicht mehr zu retten wäre. Wie die Wohnung war auch dieses Auto ihr erster wirklich eigener Besitz. Da durfte man ja wohl mal sentimental werden! Allerdings glaubte sie, dass selbst tausendfünfhundert Euro nicht mehr als trockenes Stroh waren, um das Loch im Eimer zu stopfen. Wahrscheinlich lief der ›Golf-Eimer‹ bald wieder Leck, und sie müsste Geld für neues Stroh ausgeben.

      Bei der Metapher lächelte sie, ließ die sie doch gedanklich zu ihren Vater treiben, der diesen Vergleich allzu gern benutzt hatte. Noch dazu war er in der Lage gewesen, sich das Lied ›Ein Loch ist im Eimer‹ als Endlosschleife anzuhören und sich jedes Mal aufs Neue darüber zu amüsieren.

      Es gab halt Erinnerungen, die sie gerne zuließ, auch wenn ihre Eltern schon lange tot waren und sie als Einzelkind, zudem ohne echte Freunde ihr Leben allein bewältigen musste.

      Seufzend stieg sie aus der Badewanne, um sich nach dem Abtrocknen sorgfältig bis in die Zehenspitzen mit Bodylotion einzucremen.

      Okay,