Agnes M. Holdborg

Kuss der Todesfrucht


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auf leisen Sohlen.

       Bumbum, bumbum – Er will dich beißen!

       Bumbum, bumbum – Wird dich bald in Stücke reißen.

       Bumbum, bumbum – Spür seinen Atem!

       Bumbum, bumbum – Sollst in deinem Blute waten.

       Sein Fell so warm! Sein Blick so kalt!

       Er kommt dich holen, und zwar bald!

       Bumbum, bumbum – Bumbum, bumbum – Bumbum, bumbum ...

       Nein! Hilf mir! ...

      Als sie schweißgebadet hochschreckte, hielten sie zwei starke Arme. Eine angenehme dunkle Stimme redete sanft auf sie ein. Trotz der beruhigenden Worte zuckte sie heftig zusammen. Sie wusste nicht, was geschehen war, wo sie sich befand, wer da sprach. Außerdem konnte sie nichts sehen. Es war stockfinster.

      »Psst, bleibe ganz ruhig. Dir passiert nichts. Du bist in Sicherheit. Alles wird gut.«

      »Aber, er kommt, er ist da, er holt mich«, flüsterte sie völlig verwirrt, wusste sie doch nicht, wer da kommen sollte, sie zu holen. Nur das ständige Zittern war ihr vertraut.

      »Du hattest einen bösen Traum, Manuela. Kein Wunder, nach all den schrecklichen Jahren. Jetzt kann er dir nichts mehr antun, glaube mir.«

      Sosehr sie auch versuchte, ihre Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen, die Finsternis blieb undurchdringlich. Dementgegen spürte sie deutlich seine feste glatte Haut. Sie lag in den Armen eines fremden Mannes, stellte sie fest, und zwar so, wie Gott sie erschaffen hatte – und er scheinbar auch.

      Abrupt machte sie sich los, um sich aufzurichten. Er hinderte sie nicht daran.

      »Wo bin ich? Was ist passiert?«

      Alle Erinnerungen an Frederick, an ihren Ehemann, kehrten mit Übermacht zu ihr zurück. Wie er da in seinem roten Blut auf dem blendend weißen Boden der Dreißig-Quadratmeter-Küche lag, mit weit aufgerissenen, leblosen Augen. Die Übelkeit setzte wieder ein.

       Das darf nicht wahr sein!

      Erneut legte sich ein warmer muskulöser Arm behutsam um ihre Schulter. »Nicht, Manuela, tu dir das nicht an.«

      Wonach riecht dieser Mann?, fragte sie sich, und warum dachte sie ausgerechnet jetzt darüber nach, wo es doch erheblich Dringenderes gab, worüber sie sich ihren Kopf zerbrechen sollte? Erde? Riecht er nach frischer Erde? Und da ist noch etwas: Rosen? Nein, es war kein schwerer süßer Duft. Sie erahnte zwar Blumen, aber nur einen Hauch von Blumensüße wie eine Sommerbrise. Ihr kam das Bild einer Wiese voller wildem Mohn und vereinzelten Kornblumen in den Sinn.

       Wie kann ein Mann nach Erde und gleichzeitig so sauber und frisch nach einer Sommerwiese riechen?

      Sie schüttelte sich, und endlich setzte ihr Verstand wieder ein. »Gibt es denn hier kein Licht?«

      »Oh, natürlich, entschuldige.«

      Manuela spürte einen Lufthauch. Im gleichen Moment loderten mehrere Fackeln auf, an den Wänden der – Höhle? Jedenfalls wirkte der Raum so, mit den aus Fels gehauenen Wänden, an denen in regelmäßigen Abständen Fackeln in glänzenden goldfarbenen Halterungen brannten, damit den großen Raum in ein ihr unbekanntes, dennoch wohliges Licht tauchten. Die Halterungen waren wie Blumen geformt, sahen aus wie die Blüten und Kapseln des wilden Mohns. Das alles irritierte sie zusehends. Diese Fackeln. Dieses Licht. Dieser Duft. Dieser Mann. Das Bett, auf dem sie saß, strahlte nun hell wie Mondschein.

      »Verdammt nochmal, wo bin ich hier?« Bestürzt sah sie an sich hinunter und bedeckte beschämt ihre entblößte Brust.

      Die große gebräunte Hand, die ihr eine dunkle Felldecke reichte, wirkte mit den feingliedrigen langen Fingen perfekt.

      Kann eine Hand perfekt aussehen? Was ist nur mit mir los? Das muss ein Traum sein, ein wirklich absurder Traum. Nur, warum fühlt sich dann alles so echt an?

      Während sie sich zudeckte, ließ sie den Blick langsam an seinem Arm hochgleiten, vorbei an wohlgeformten Muskelbergen, über eine breite Schulter, zu einem starken Hals mit ausgeprägtem Adamsapfel, bis hin zu seinem Gesicht, einem Antlitz, das ihr den Atem stocken ließ:

      Augen – zwei leuchtenden Türkisen gleich – blickten zwar ernst, strahlten aber auch eine enorme Ruhe, Wärme und Kraft aus. Über einem energischen Kinn mit männlichem Grübchen in der Mitte lächelte sie ein Mund an, so fest und voll, als wäre er nur zum Küssen erschaffen worden. Hohe Wangenknochen unterstrichen markante Züge. Das blonde Haar fiel ihm bis auf die Schultern.

      In Manuelas Augen war Frederick einer der attraktivsten Männer dieser Erde, aber dieses Exemplar hier erschien ihr überirdisch.

      »Wer bist du?«, flüsterte sie. »Bitte, sag mir, was passiert ist, und wie ich ...«, sie schaute wieder beschämt an sich hinab, »... so in deine Arme komme.«

      »Ich bin Adol. Du hast mich gerufen, Manuela.«

      »Ich habe niemanden gerufen. Ich habe ... Ich ...« Sie brach ab, denn ein heftiger Schauder überlief ihren Rücken bei der Erinnerung an das Blut und das Messer – und besonders an Frederick. Doch sie fasste sich, um es erneut zu versuchen. »Ich stand unter der Dusche. Dann wurde alles dunkel. Ich habe nicht gerufen.«

      »Oh doch, du hast sogar geschrien. Du hast beinahe fünf Jahre deiner Zeit in fast jeder Nacht geschrien, bis ich deine Schreie erhört habe, erhören musste.«

      Nun sah sie wieder zu ihm auf. Seine leuchtenden Augen zogen sie magisch an, gaben ihr keine Chance zum Rückzug.

      Trotzdem versuchte sie sich in Gegenwehr. »Ich habe nicht geschrien. Außerdem ist das kein Grund, mich aus meinem Haus, noch dazu nackt in dein Bett zu holen.«

      »Ein paar deiner Wunden hatten sich böse entzündet und dich heftig fiebern lassen. Obendrein haben deine Albträume dich gejagt, Nacht für Nacht. Ich habe Verschiedenes ausprobiert, aber meine körperliche Nähe war nun einmal das Einzige, was dich letztendlich beruhigt hat.«

      »Du hast also nicht ...? Ähm, ich meine ...« Schlagartig traf sie eine Erkenntnis. »Moment mal! Nacht für Nacht? Wie lange bin ich denn schon hier?«

      »In deiner Zeitrechnung?«

      »Was soll denn diese blöde Frage? Gibt es auch eine andere?« Allmählich beschlich Manuela ein äußerst ungutes Gefühl, eines, welches über das bereits bestehende ungute Gefühl weit hinausging.

      »Du befindest dich jetzt, in diesem Augenblick, seit fünf Tagen, sechs Stunden und dreizehn Minuten bei mir. Die Sekunden ...«

      »Schon gut«, unterbrach sie ihn. »Ich brauche keine Sekundenangabe.« Ich brauche einen doppelten Ramazotti mit Eis und Zitrone – und einen Hammer, um ihn mir auf den Kopf zu hauen, überlegte sie. Werd endlich wach, Manuela, du träumst dir da gerade einen furchtbaren Mist zusammen!

      »Den Ramazotti könnte ich dir besorgen, aber das mit dem Hammer ginge nun wirklich zu weit, wo ich mir mit deiner Genesung so viel Mühe gegeben habe.«

       Scheiße! Das kann doch nicht angehen, oder?

      »Dieses Wort ist selbst in meiner Welt ein Wort, das von einer Dame wie dir nicht benutzt werden sollte.«

      »Wie bitte? Das wird mir gerade ein bisschen zu viel, Adol, oder wer auch immer du bist. Willst du allen Ernstes andeuten, dass ich tatsächlich splitternackt bei dir im Bett sitze – und das seit sage und schreibe mehr als fünf Tagen? Und als kleines i-Tüpfelchen soll ich auch noch glauben, dass du meine Gedanken liest?«

      Sie war laut geworden. Zudem krallte sie ihre Fingernägel in die eigenen Unterarme, um so festzustellen, ob sie wach war oder träumte. Der Schmerz, der sie daraufhin durchfuhr, war bestimmt ein Phantomschmerz, versuchte