Agnes M. Holdborg

Kuss der Todesfrucht


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ließ er sie mit einem Mal los.

      »Da hilft nur eins!«, rief er aus. »Wir werden heiraten. Mein Ring an deinem Finger dürfte deine und meine Zweifel endgültig beilegen.« Sichtlich zufrieden mit sich verschränkte er die Arme vor seiner breiten Brust.

      Der Streit schien vorprogrammiert, obwohl es ihr zuwider war. Doch zu viel war nun einmal zu viel! Er hatte ihren Traum, den Traum einer jeden Frau, gründlich versaut, fand sie. Das war in ihren Augen kein Heiratsantrag, sondern ein Marschbefehl!

      »Hhm, das hast du also mal soeben entschieden, was?« Die Hände in die Hüften gestemmt schaute sie ihn böse an.

      »Und es ist eine gute Entscheidung«, behauptete er trocken.

      Sie wollte gerade zu einer heftigen Widerrede ansetzen, als aus heiterem Himmel ein lauter Schlag den Parkettboden ihrer Wohnung erschütterte und Tamarell mit loderndem Blick vor ihnen stand.

      »Sie haben Sira!«, rief er nur, woraufhin der ihr vertraute Wirbel sie umgab, wenn Adol sie mit sich nahm.

      Während dieses Wirbelns schossen Manuela eine Millionen Geistesblitze durch den Kopf, so schien es ihr jedenfalls, und keiner davon war Adols missglücktem Heiratsantrag gewidmet. Darüber könnten sie sich später streiten. Jetzt durchfuhr sie bittere Angst um Sira. Die Frage, ob sie, Manuela, vielleicht Schuld an allem sein könnte, quälte sie. Sie hätte es nicht so weit kommen lassen dürfen. Warum nur hatte sie Sira ausgenutzt und sich auf diese Weise helfen lassen? Warum hatte sie sich nach drei Jahren des äußerst glücklichen und erfüllenden Zusammenseins mit Adol immer noch derart ausgegrenzt gefühlt?

      War es seine Ungeduld? Nein, beantwortete sie sich diese Frage entschieden selbst.

      Eventuell hatte Adol nicht gerade einfühlsam gehandelt, als er sie nach den schaurigen Ereignissen um Frederick einfach in seiner Welt zurückhielt, oder doch?

      ... Adol machte ihr in vielen Gesprächen deutlich, dass es seine Sorge um sie war, die ihn zu dieser Entscheidung bewogen hatte. Zudem versicherte er ihr, dass sie in ihre Zeit, in die Sekunde ihres Lebens zurückkehren würde, wenn sie soweit wäre, um eben dieses Leben in die Hand zu nehmen und ihre Angelegenheiten zu klären. Er würde sie dabei unterstützen, dessen war sie sich gewiss. …

      Damals hatte Adol über ihren Kopf hinweg entschieden. Das könnte sie als Ungeduld auslegen, ja, aber das wäre nicht richtig. Ganz im Gegenteil! Er hatte ihr mit wahrer Engelsgeduld seine Welt erklärt und jede ihrer Fragen ausführlich beantwortet. Außerdem hatte er sich ihr damals, bis auf den ersten überraschenden Kuss, nicht mehr genähert. Vielleicht ein Streicheln über ihre Wange oder eine zärtliche Berührung ihres Haars. Ein Finger, der ihr Kinn anhob, um ihr in die Augen zu sehen, wenn sie den Kopf senkte. Niemals aber hatte er sie noch einmal bedrängt.

      Später, in ihrer Welt, als die bösen Träume ihn wieder und wieder zu ihr riefen, hatte er sich mit Hingabe um sie bemüht, sowohl um ihren Seelenfrieden als auch um ihre Zuneigung.

      Die erste Liebesnacht mit ihm war das Schönste und Ergreifendste gewesen, was ihr jemals widerfahren war. Niemals zuvor hatte sie ein Mann mit so viel Zärtlichkeit, Respekt und Geduld geliebt. Adol begehrte sie mit solch einer Inbrunst, die sie alles vergessen ließ. Sein Liebesspiel war leidenschaftlich, führte sie bis weit über die Grenzen der Lust – und, ohne es zunächst zu ahnen, übertraf sie all seine Erwartungen, weil sie sich ihm immer bedingungslos hingab.

      War es seine Macht? Wieder gestand sie sich ein Nein ein.

      Wenn sie ehrlich war, faszinierte sie seine Macht sogar. Adol gab zwar auch ohne diese ganzen übernatürlichen Fähigkeiten ein äußerst attraktives, großes, noch dazu interessantes Exemplar Mann ab, aber insbesondere seine mächtige Aura rief in ihr ungeahnte Gefühle hervor. Ausnehmend positive Gefühle!

      Hatte sie ihn auch nur Sekunden zuvor dafür getadelt, sich aufgrund seiner Macht unterlegen zu fühlen, so musste sie jetzt zugeben, dass sie diese Art der Unterlegenheit in gewisser Hinsicht durchaus genoss. Sehr sogar, jedenfalls im Bett, wo er sie damit stets auf Höchsttouren brachte.

      War es seine Welt? Erneut: Nein!

      Sicher, seine Welt erschloss sich ihr nur langsam, auch wenn er sich noch sosehr bemühte. Diese Welt bestand aus so vielen Facetten und Wundern, die sie überraschten, manchmal ängstigten. Doch hatte Adol sie niemals sich allein überlassen, wenn etwas sie überforderte.

      … Zum Beispiel, als Densos, Adols Vater, ihm befehlen wollte, Manuela für immer zurück zu den Menschen zu bringen und nie wiederzusehen, ihm sogar drohte, ihn seiner Männlichkeit zu berauben. Densos’ zorniger Blick ruhte bei seinen Donnerworten die ganze Zeit auf ihr und ließ sie erschaudern. Doch Adol schloss sie demonstrativ in die Arme und wünschte seinen Vater mit einem einzigen Finsterblick fort. Manuela erkannte, dass er mächtiger als sein eigener Vater war.

      Ein anderes Mal bat Sira, eine Feuerdämonin, um Adols Hilfe, war deren Familie doch gegen ihre Liaison mit Tamarell, Adols Halbbruder mütterlicherseits. Adol hatte Manuela mitgenommen, in die Nähe der Feuerberge, um dort mit Crinda zu verhandeln, einem genauso mächtigen wie extrem hinterhältigen und hässlichen Feuerdämon. Dieser Crinda war ein äußerst unangenehmer Geselle. Aber in Adols Gegenwart fühlte sie sich sicher und geborgen, immer! …

      Es war wohl doch ihre eigene Unzulänglichkeit, die sie dazu getrieben hatte, sich von ihm und seiner Zeitlinie zu lösen. Eine Entscheidung, die sie schon Sekunden nach der Durchsetzung bitter bereut hatte, der sie sich aber hatte stellen müssen, denn die Trennung war nach ihrem Dafürhalten nicht mehr rückgängig zu machen.

      Ein gehauchter Kuss auf die Stirn holte Manuela aus ihren Grübeleien.

      »Frauen«, flüsterte Adol ihr ins Ohr. »Nur Frauen sind zu solch komplexen Gedanken in Bruchteilen von Momenten in der Lage.« Liebevoll strich er ihr eine Locke hinters Ohr, bevor er sich seinem Halbbruder zuwandte: »Weißt du etwas Genaues?«

      Der Kuss der Todesfrucht

      Manuela war zu abgelenkt, um Tamarells Schilderungen zu folgen. Verwundert schaute sie sich um, da Adol sie nicht wie gewöhnlich in seine Höhle gebracht hatte, sondern in die Thronhalle des Palastes seines Vaters Densos. Eine immens große grauweiß-marmorne Halle mit gotisch anmutenden Bögen und Säulen, die der Schlichtheit dieser Halle etwas Gigantisches verliehen. Durch die turmhohen Bogenfenster glitt diffuses Licht hinein und schenkte der vorhandenen Strenge damit einen weichen Ton.

      Jeder ihrer Schritte hallte in mystischem Klang nach. Doch schon nach einigen Metern verstummten sowohl der Nachhall dieser Schritte als auch Tamarells gedämpfte Stimme, weil sie vor einem schlichten steinernen Thron mit zwei goldenen Sitzkissen stehenblieben, auf denen sich Densos und seine Frau Demira wie aus dem Nichts materialisierten. Er, mächtig groß. Sie, zierlich klein.

      Demiras weiße Toga zierten pastellfarben schimmernde Bänder aus irisierendem Glas. Jedenfalls wirkten sie so auf Manuela. Auch Densos trug weiß, eine Art lange Tunika, besetzt mit leuchtend roten Borten an den Säumen, über einer schlichten Hose.

      Erschrocken krallte Manuela ihre Finger in Adols Arm, hatte sie doch nicht so rasch mit dem Erscheinen seiner Eltern gerechnet und Densos außerdem in sehr schlechter Erinnerung. Ihre Befürchtungen bestätigten sich, als der große grauhaarige Mann seine moosgrünen Augen unter buschigen Brauen zornig blitzen ließ.

      Wieso bringt Adol mich hierher?, fragte sie sich ängstlich.

      Doch ehe sie weiter darüber nachdenken konnte, erschloss sich aus den folgenden Sätzen die Antwort:

      »Vater«, mahnte Adol, »kein Wort über Manuela! Es gibt momentan Wichtigeres als unsere Verlobung.«

      Verlobung? Hat er Verlobung gesagt? Dazu braucht es immer noch Zwei!

      Sie hob den Kopf und sah ihn böse an. Adol aber erwiderte ihren Blick nur flüchtig, mit zudem strenger Miene. Dabei drückte er ihre Hand, womit er ihr zu verstehen gab, dass sie schweigen sollte, was sie daraufhin tat.

      »Ich dachte, du hättest noch