Agnes M. Holdborg

Kuss der Todesfrucht


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dich ganz sicher nicht bevormunden, doch meine Sorge um dich lässt mir keine andere Wahl. Bitte glaube mir, wenn ich dir noch einmal beteure, wie sehr ich dich liebe. Und bitte glaube mir, wenn ich dir sage, wie sehr ich dich vermissen werde, schon in der ersten Sekunde unseres Getrenntseins, sei es nun zu deiner oder zu meiner Zeit.«

      Bevor sie ihm etwas erwidern konnte, verschloss er ihren Mund mit einem sengenden Kuss und trug sie in ihr Bett. Noch nie hatten sie sich hier geliebt. Seine Miene verriet ihr, dass genau dies geschehen würde.

      Er benutzte keine Magie, sondern schürte ihr Feuer allein mit seinen ruhelosen Händen, die zunächst beinahe suchend über ihre glühende Haut strichen. Dann aber zerrissen sie mit energischer Bestimmtheit den dünnen Stoff ihrer Bluse, befreiten sie in Windeseile von allen anderen Kleidungsstücken, um jeden Quadratzentimeter ihres Körpers in Besitz zu nehmen.

      Wie konnte sie sich ihm widersetzen, wenn er mit eben diesen Händen ihre Brüste in Beschlag nahm, als gehörten diese nur ihm? Wenn er seine Zunge um ihre Spitzen kreisen ließ, als wären sie nur für seinen Mund gemacht? Wenn er eben diesen Mund benutzte, um ihre feuchte Hitze in verzehrende Glut zu verwandeln? Wenn er in sie eindrang, sanft und stürmisch zugleich, sie so köstlich ausfüllte und im vollendeten Takt in eine Welt katapultierte, in der es nur ihn und sie gab? In der die Farben allesamt süß schmeckten und Feuer zu Eis verschmolz, Wüste mit Wasser überschwemmt wurde und die Düsternis blendete. In der sie nur Liebende waren, nicht Götterwesen und Mensch.

      Wie oft schon hatten sie sich geliebt? Wie oft schon hatten sie sich gegenseitig alles gegeben und alles genommen? Und doch war es niemals so gewesen wie jetzt, als sie schluchzend seinen Namen rief, mit Tränen in den Augen dem süßen Schmerz entgegentrieb, auf einem nie gekannten Gipfel seinem Liebesschwur lauschte, den er hervorstieß, bevor er sich heiß in ihr verströmte.

      ~~~

      Noch während Manuela die Augen aufschlug, erstarb das Lächeln, welches ihre Lippen umspielt hatte, erkannte sie doch sofort, dass ihr Adol nicht mehr bei ihr war. Sie konnte ihm nicht einmal böse sein, obwohl für sie feststand, dass er sie ins Reich der süßen Träume geschickt hatte, um ihnen beiden den Abschied zu ersparen.

      Wieder stiegen Tränen auf. Der Beginn des bangen Wartens auf Adols Rückkehr, die Hilflosigkeit, in der er sie hier zurückgelassen hatte – all dies ließ sie in eine Traurigkeit versinken, der auch ihr antrainiertes positives Denken und zielorientiertes Problemlösen nicht gewachsen waren. Sie wollte sich gerade mit der Hand die Tränen fortwischen, als sie die Schwere des Ringes spürte, sein Funkeln erblickte.

      Adol musste ihn ihr an den Finger gesteckt haben, als sie schlief. So etwas Wunderschönes hatte sie noch nie gesehen. In den breiten mattgoldenen Reif war eine stilisierte Mohnblüte aus Rubinen mit Staubgefäßen aus schwarzem Diamanten eingelassen. Andächtig betrachtete sie das Schmuckstück und fühlte sich Adol dadurch nah.

      Er kommt ja bald zurück, tröstete sie sich, und dann werde ich ihn heiraten. Ob ordentlicher Heiratsantrag oder nicht, ich will ihn. Er ist ein Zeitgott, also bekommt er es bestimmt auch hin, dass ich nicht zur alten Schachtel verschrumpele, während die Jahre an ihm spurlos vorüberziehen.

      Darüber hatte sie nie mit ihm gesprochen. Das könnte sie später noch tun. Ihr Lächeln kehrte zurück, und sie fiel erneut in einen kurzen traumlosen Schlaf.

      Als sie danach erfrischt und gestärkt aufstand, entdeckte sie auf dem Küchentisch weitere Überraschungen:

      Ein üppiger Strauß Klatschmohn stand in ihrer Lieblingsvase und verströmte einen herrlichen Sommerwiesenduft, der sie augenblicklich an Adol erinnerte. Darunter lag eine Schatulle auf einem Kuvert mit Goldrand. Noch während sie auf ihrer Lippe kaute und sich nicht entscheiden konnte, was sie zuerst öffnen sollte, griffen ihre Finger bereits nach dem Samtkästchen, um es hastig aufzuklappen.

      Sie hielt den Atem an. Eine dicke mohnrote Perle an einer zierlichen goldenen Schnur glänzte ihr entgegen. Vorsichtig nahm sie das Geschenk aus dem Samtbett. Doch bevor sie sich die Kette umhängte, wollte sie unbedingt nachschauen, was in dem Kuvert steckte. Also nahm sie das Papier heraus und entfaltete es sorgfältig. Sie hatte noch nie etwas von Adol gelesen, fiel ihr ein, und freute sich über die schön geschwungenen Lettern. Es waren viel mehr als erwartet, und sie hatten es in ihren Augen in sich:

       Liebste Manuela!

       Du hast also den ›Kuss der Todesfrucht‹ bereits gefunden, bevor Du meine Zeilen gelesen hast? Das ist schön, denn so kenne und liebe ich Dich. Ich weiß, Du wirst mich nie enttäuschen, wenn man einmal von Deiner dummen kleinen Flucht absieht.

      Manuela schloss kurz die Augen, weil er ihr das immerzu vorhielt. Es würde Zeit, dass er weniger nachtragend wäre.

       Ich weiß, Du hältst mich für nachtragend, aber Du sollst wissen, wie sehr mich die Trennung von Dir geschmerzt hat. Dann kannst Du sicherlich verstehen, wie unsagbar schwer es mir fällt, Dich jetzt alleinzulassen.

       Doch nun zurück zu dem Schmuck:

       Es handelt sich bei dem ›Kuss der Todesfrucht‹ um ein Amulett, auch wenn man es der Perle nicht ansieht. Und störe Dich bitte nicht an seinem Namen. Es trägt ihn seit Anbeginn aller Zeiten und hat sich damit schon gegen manchen Widersacher zur Wehr gesetzt, denn ja, es kann todbringend sein. Dir aber wird es nichts als Schutz, Liebe und Trost geben, meine wunderschöne Manuela. Trage es immer, halte es in Ehren, und die Zeit bis zu unserem Wiedersehen wird wie im Fluge vergehen.

       Da ich mir sicher bin, dass Du den Ring meiner Ahnen nicht fortgeschleudert hast, sondern ihn immer noch an Deinem Finger trägst, darf ich auf eine baldige Hochzeit mit Dir hoffen. Ich kann es kaum erwarten, Dich als meine Braut zum Erhabenen Berg zu führen.

      Sie schüttelte heftig den Kopf, als sie diese und die folgenden Zeilen las:

       Sei nicht so widerspenstig, Liebling. Das bringt doch nichts. Bald schon schließe ich Dich wieder in meine Arme, und Du wirst für ewig mein.

       Du bist meine Liebe, mein Leben, mein Traum und meine Zeit!

       Dein Adol

      Immer wieder las sie die Zeilen, so, als ob sie noch etwas finden könnte, würde sie nur lang genug danach suchen.

      »Du bist eine dumme Kuh!«, schalt sie sich laut. »Da hat er dir so schöne Sachen geschenkt und dir einen so wundervollen Brief geschrieben, und du erwartest tatsächlich noch mehr. Schäm dich!«

      Bedächtig faltete sie das Papier zusammen und steckte es zurück ins Kuvert, nicht ohne zuvor ihre Lippen einmal darauf zu pressen.

      Als sie danach zum Spiegel trat, um sich das Amulett anzulegen, wünschte sie sich aus tiefstem Herzen, Adol stünde hinter ihr und würde das an ihrer Stelle tun. Dabei würde er ihr Haar zur Seite schieben, mit einem Blick seiner türkisfarbenen Augen ihr Spiegelbild samt ihrer Sinne durchbohren. Traurig ließ sie die Arme wieder sinken und besah sich den Schmuck genauer. Kuss der TodesfruchtWas für ein Name! Es schien ihr so, als würde er in der späten Abenddämmerung pulsieren.

      Mit der Perle in der Hand lief sie gedankenverloren zum Balkon, um den letzten Sonnenstrahlen zu folgen, bis diese sich im Gewirr der gegenüberliegenden Häuser und Bäume verfingen und der Nacht mit einem letzten Auflodern Platz schufen.

      Sie sollte versuchen, noch ein bisschen zu schlafen, überlegte sie, nahm den Brief und ging zurück ins Schlafzimmer. Dieser Brief und die wundervollen Geschenke hatten sie zwar unglaublich erfreut und glücklich gemacht, aber auch irgendwie ausgelaugt. Sie vermisste Adol mit jeder Faser ihres Seins. Was nutzte ihr da der Schmuck? Plötzlich fühlte sie sich matt und leer.

      Aus alter Gewohnheit streifte sie den Ring ab, legte ihn gemeinsam mit dem Amulett sorgfältig aufs Nachtkästchen und kroch wieder ins Bett. Hier konnte sie ihn riechen. Tief sog sie Adols Duft ein, nahm den Brief nochmals aus dem Kuvert, um ihn ein weiteres Mal durchzulesen, drückte das Papier