Agnes M. Holdborg

Kuss der Todesfrucht


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Armen. Aber, er war nicht gekommen.

      Plötzlich wurde Manuela aus ihrer Betäubung herausgeschleudert. Nicht durch den Schmerz, den Frederick ihr zufügte. Nicht durch seine derben, widerlichen Worte, die er ihr zuflüsterte, als sich seine Hand erneut wie ein Schraubstock um ihren Hals legte. Und auch nicht durch seinen heißen Atem, der sie streifte.

      Nein, ein jäh aufkeimender Geistesblitz schürte ihre Panik: Sie hatte das Amulett nicht angelegt, trug den Ring nicht! Was, wenn Adol die ganze Zeit versuchte, sie zu erreichen, es aber aus irgendeinem Grunde nicht schaffte und sie noch dazu den Kuss der Todesfrucht nicht trug?

      Obwohl, hätte Frederick ihr das Amulett nicht sofort abgerissen? Niemals hätte er geduldet, dass sie etwas anderes trug, als die lupenreinen kalten Brillanten, die er ihr geschenkt hatte. Sie hatte den Platinschmuck inklusive Ehering verkaufen müssen, um aus der Schuldenfalle zu gelangen, in die er sie hineinmanövriert hatte. Und das, obgleich ihr eigentlich nichts gehört hatte. Doch das war nun einerlei. Sie allein trug Schuld daran, dass Adol sie nicht fand. Sie allein!

      Die Schreie, die Manuela daraufhin ausstieß, galten nicht Fredericks Brutalität, sondern der schrecklichen Erkenntnis, Adol niemals wiederzusehen.

      ~~~

      »Du wagst es, mich eine benutzte Schlampe zu nennen? Du widerwärtiger ...« Sira schien dermaßen außer sich zu sein, dass sie nicht weitersprechen konnte. Wenn Adol eben noch gedacht hatte, ihr Erscheinungsbild wäre imposant, so war es jetzt furchteinflößend. Offensichtlich sah ihr Vater das genauso, denn er zuckte merklich zusammen, als seine Tochter von einer Sekunde zur anderen lodernd aufglühte und sich scheinbar mühelos von der Wand löste. Wie zur Salzsäule erstarrt stand Crinda einfach nur da. Sira nutzte die Gelegenheit, fegte ihn mit einem einzigen Blick beiseite und riss daraufhin Adol an sich, um ihn mitzunehmen – in die ihm so vertrauten Zeitgefüge.

      Glücklich registrierte Adol die besonderen Wirren der Dimensionen. Unterdessen nahm er deutlich wahr, dass auch Sira sich durch diese Sphären hindurchlenkte, so, als hätte sie nie etwas anderes getan. Hatte er es doch geahnt. Sie war nicht nur eine Feuerdämonin, sondern auch eine Zeiten – und Traumwandlerin. Sogar eine mit besonderen Talenten, sonst hätte sie sich und zudem Adol niemals von Crindas Höllenfesseln befreien können.

      Wie war das nur möglich? Eigentlich kannte er die Antwort bereits: Sira konnte nie und nimmer Crindas leibliche Tochter sein! Anscheinend hatte Siras Mutter ihrem hässlichen Ehegatten ein Kuckucksei ins Nest gelegt. Sofort fielen Adol seine eigene Mutter und das Ergebnis ihrer Untreue, nämlich Tamarell, ein. Gab es denn in seinen Gefilden nur Untreue und Betrug?

      Der drosselnde Sog, der die Reise beendete, stoppte außerdem seine zeitweilige Entrüstung. – Sie waren da, in Manuelas Wohnzimmer, doch Manuela nicht!

      Haare raufend rannte Adol in ihr Schlafzimmer, in der Hoffnung, sie in ihrem Bett vorzufinden, gefangen in ihren Albträumen. Aber das Bett war leer. Wie vermutet, fand er den Kuss der Todesfrucht und auch den Ring auf dem Nachttisch. Sein Brief lag neben Manuelas Kopfkissen. Er griff sich das Kissen, an welchem ihr verlockender Duft haftete, drückte es an sein Herz und schloss für eine Sekunde die Augen. Er wusste, seine Verlobte durchlitt zurzeit Höllenqualen, aus denen er sie nicht einfach so zu befreien vermochte.

      Nach diesem winzigen Moment der Resignation und Verzweiflung nahm er auch den Ring und das Amulett an sich. Dann sah er Sira an. »Was kannst du noch?«

      »Oh, nichts zu danken, Adol. Ich habe dich und auch mich nur zu gerne aus den Fängen meines Möchtegernvaters befreit und uns zu Manuela gebracht. Du brauchst dich wirklich nicht dafür zu bedanken. Keinesfalls!«

      »Sira, bitte, wir müssen unbedingt was tun. Irgendjemand muss uns verraten haben. Crinda kannte unseren Plan. Er wusste, dass und wie ich dich befreien wollte.« Er stockte kurz. »Und irgendjemand hat diese Situation genutzt, um mir Manuela zu rauben.« Erst nachdem er sich hektisch durchs Haar gefahren war, lächelte er dünn. »Danke, du warst wirklich großartig. Wer immer dein alter Herr ist, Crinda ist es jedenfalls nicht, wie mir scheint. Und jetzt sag, kannst du noch mehr?«

      »Tztztz!« Sira schüttelte missbilligend den Kopf. »Ich kann allerhand, ja, aber ich brauche dafür Energie, und die ziehe ich aus meiner Rage. Ich wäre schon längst wieder von Crinda geflüchtet, nur war mein innerer Zorn irgendwie nicht groß genug, obwohl ich Tamarell entsetzlich vermisse. Erst als Crinda derart ekelhaft daherredete, von wegen Ortos und Schlampe und so, da wurde ich so richtig sauer.«

      »Dann sei, in aller Götter Namen, bitte weiterhin sauer!«, flehte er sie an.

      »Sei still! Dein Jammern erweckt höchstens Mitleid in mir. Außerdem versuche ich schon seit geraumer Zeit, diese aufwühlenden Gefühle in mir selbst aufzubauen, nur klappt es halt noch nicht so richtig. Ohne entsprechende Wut im Bauch will mir das einfach nicht gelingen.«

      Seine Hoffnung sank, denn ihr Blick war jetzt vielmehr weich und sorgenvoll als zornig. Also fauchte er sie an: »Was für eine miese Tour ist das denn? Du hast uns aus Crindas Feuerbergen rausgeholt, und jetzt ist Ende im Gelände?«

      Mit voller Wucht schleuderte er das Kopfkissen in Siras Richtung, aber es war nicht sie, die es traf, sondern Tamarell fing es geistesgegenwärtig auf. Er hatte sich genau in die Schusslinie hineinmaterialisiert.

      »Habt ihr nichts anderes zu tun, als eine Kissenschlacht zu veranstalten?« Ohne eine Antwort abzuwarten, riss er Sira an sich und küsste sie inbrünstig. Dann sah er kurz zu seinem Halbbruder. »Warte einen Moment.« Wieder an Sira gewandt frage er: »Geht es dir gut, Augensternchen? Ich habe dich so vermisst.«

      »Ja, jetzt geht es mir prima, aber ich habe dich mehr vermisst, mein Glücksbote.« Sie drückte ihn fest an sich, ehe sie zu ihm aufschaute. »Woher wusstest du eigentlich, dass wir hier sind?«

      »Götterboten haben ihre eigenen Talente. Ich konnte eure Spur von den Feuerbergen aus lesen und verfolgen, das ist alles.« Noch einmal bedachte er Sira mit liebevollem Blick. »Den Göttern sei Dank, dass du wieder bei mir bist.«

      Damit veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Mit finsterer Miene sprach er zu Adol. »Du hältst den Kuss der Todesfrucht in Händen, du Idiot! Benutze ihn!«

      ~~~

      Je heftiger sie sich wehrte, desto kräftiger drückte und schlug Frederick zu, im steten Wechsel, scheinbar sorgsam darauf bedacht, dass Manuelas in seinen Augen offenbar jämmerliches Leben, ihre Qual und seine Lust nicht verloren gingen. Er war längst schon fertig, ließ aber trotzdem nicht von ihr ab. Die spitzen Schließen und Zacken seiner Gürtelschnalle, ebenso der Reißverschluss seiner geöffneten Hose, schabten und rissen schmerzvoll über ihren Körper, während er sich weiterhin schwer lastend auf ihr bewegte. Obgleich er aus ihr herausgeglitten war, geilte er sich schon wieder an seiner Brutalität, Manuelas Gegenwehr, ihrem Röcheln und panischen Geschrei auf.

      »Ja, schrei, Manu-Schatz, schrei, was du kannst. Das törnt mich ungeheuer an.«

      Manuela verstand ihn kaum mehr. Der Schmerz war zwar noch da, setzte ihr unsagbar zu, ansonsten hatte sich ihr Geist weit entfernt. Ihr Denken galt einzig Adol, dem Mann, den sie liebte, den sie heiraten wollte und dem etwas passiert sein musste – vielleicht ihretwegen! Sie spürte nicht, dass sie mit ihrem Kreischen und Strampeln Fredericks perverse Wünsche regelrecht anheizte, dass er sich bereits aufgerichtet hatte, um sie rüde auf den Bauch zu drehen und dann ihre Hüften zu packen. Manuela hatte sie verlassen, diese seltsame Sphäre zwischen Traum, Zeit und Realität, in der ein vermeintlich Toter ihr solch grauenvolle Dinge antun konnte. Selbst die Schmerzen schwanden, und die Luft zum Atmen kehrte allmählich zu ihr zurück.

      Déjà-vu

      Adol starrte auf das Amulett in seinen Händen. Natürlich! Wie konnte er nur so auf der Leitung stehen? Scheinbar hatte ihn die Sorge um Manuela eines jeden klaren Gedankens beraubt.

      Mit dem Kuss der Todesfrucht, dem Schlüssel zu Traum und Zeit, besaß er einen Weg, um Manuela aus ihrem wahrgewordenen Albtraum zu sich zurückzuholen. Dabei musste