Agnes M. Holdborg

Kuss der Todesfrucht


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ha...«

      »... hat sie sich von der Wand gelöst und dich mit hinausgenommen«, setzte Manuela fort, erschrak dann selbst über ihre laut ausgesprochene Vermutung.

      »Schon gut, sie hat mir erzählt, wie es dir damals gelungen ist, vor mir zu fliehen – und dass du sie reingelegt hast. Darüber reden wir später, Liebling. Jetzt erkläre ich dir erst einmal alles Weitere.«

      Nachdem Adol ihr in kurzen Sätzen geschildert hatte, wie er sie mithilfe des Amuletts aus den Fängen der Vision befreit hatte, sah Manuela betroffen an sich herab und blickte auf die Perle, die nun an der Kette um ihren Hals baumelte. Auch der Ring steckte wieder an ihrem Finger.

      »Hätte ich den Kuss der Todesfrucht getragen, dann wäre das alles nicht passiert, nicht wahr?«

      »Das Amulett hätte dich davor bewahrt, ja.«

      »Es tut mir so leid. Den Schmuck vor dem Schlafengehen abzulegen ist eine dumme alte Angewohnheit von mir. Ich war so traurig ohne dich. Da hab ich nicht ...« Über ihre Wangen kullerten Tränen, die sie unwirsch mit dem Handrücken fortwischte. »Wenn ich nicht so blöd gewesen wäre ...«

      »Hey, hey, nicht«, fiel Adol ihr ins Wort. »Hätte ich dir das Amulett persönlich umgelegt, dir außerdem richtig erklärt, zu was es fähig ist, dann wäre das alles nicht geschehen, und du hättest diese furchtbaren Dinge nicht erdulden müssen.«

      Wieder wiegte er sie sanft, denn nun war der Damm gebrochen. Manuela konnte ihr Schluchzen nicht mehr zurückhalten.

      »Adol, es war ...« Sie sah zu ihm auf. »Noch einmal könnte ich das nicht ertragen.« Mit bedeutungsvollem Blick hauchte sie: »Noch einmal überlebe ich das nicht.«

      »Es wird kein ›noch einmal‹ geben, Liebling, niemals, hörst du? Wer immer hinter der ganzen Sache steckt, wird noch bereuen, überhaupt zu existieren!«

      Die Art, wie er seine letzten Worte regelrecht ausspie und sein Körper dabei vor Wut bebte, machte Manuela erst richtig klar, dass die Umgebung um sie herum tatsächlich nur eine Suggestion sein konnte. Sonst hätten sich die Fackeln längst in Flammenwerfer verwandelt, wie immer, wenn Adol wütend wurde. Diese hier jedoch flackerten weiterhin fröhlich vor sich hin.

      Trotzdem wusste sie nun um die Sorgen, die er sich gemacht hatte, und um sein Leiden, welches er gemeinsam mit ihr durchlebt hatte. Er hatte offenbar manches von dem gefühlt, was sie gefühlt hatte. Dieser Gedanke zerriss ihr schier das Herz. Sie wollte nicht, dass er um ihre grausamen Erlebnisse wusste, doch konnte sie es nicht ungeschehen machen.

      So schwer es ihr auch fiel, das gerade erst erlebte Entsetzen auszublenden, sie wollte es versuchen. Es wäre besser für ihn und für sie. Sie war wieder bei ihm. Das hatte sie für eine endlos anmutende Zeit nicht mehr zu hoffen gewagt. Sie hatte sich und ihr Leben samt ihrer großen Liebe verloren geglaubt. Aber Adol hatte nicht aufgegeben, sondern sie wieder einmal gerettet.

      »Du meinst, jemand hat uns absichtlich getrennt und mir das dann angetan?«

      »Nein, ich glaube nicht, dass derjenige, der dir das angetan hat, uns getrennt hat. Ich glaube aber, dass er von der Aktion um Siras Befreiung wusste. Er wusste, dass ich mich für einige Zeit von dir trennen und dich deshalb in deine Welt bringen würde. Er hat gleich von zwei Seiten zugeschlagen. Erstens hat er unseren Plan an Crinda verraten, und zweitens hat er sich in deinen Traum begeben. Höchstwahrscheinlich wusste er nicht, dass ich dir das Amulett zum Schutz dagelassen hatte. Dementsprechend konnte er auch nicht ahnen, dass du es nicht angelegt hattest. Es war also eher eine unglückliche Fügung, zu seinen Gunsten. So konnte er seine perfiden Machenschaften ohne Probleme durchführen.«

      »Frederick war leibhaftig da, Adol. Es war alles wie früher. Er ...« Manuela stockte, weil ihr die Erinnerung nun doch den Atem raubte und sie kurz vor einer Panikattacke stand.

      Behutsam zog Adol sie dichter an sich. »Frederick ist und bleibt tot, Liebling. Allerdings war das, was dir widerfahren ist, mehr als ein bloßer Albtraum. Deine Albträume konnten dich quälen, ja. Sie konnten dich fast zu Tode ängstigen und dir den Schlaf rauben. Jedoch konnten sie dir körperlich nichts anhaben, auch wenn natürlich allein diese Angst schon schlimm genug war. Das, was du jetzt erleben musstest, war etwas anderes, eine Art Vision, die dir bewusst eingeflößt worden ist.«

      Er streifte zärtlich mit den Lippen über ihre. Eine Geste der Vertrautheit und Liebe, die sie beruhigen sollte, wie sie feststellte, und es auch tat.

      »Dabei wurdest du in eine ganz bestimmte Sphäre gezogen. In dieser Ebene wird eine Vision zur Wirklichkeit. Das ist ein Gebiet, in das ich mich höchst selten begebe, weil ich es verabscheue. Aber ich könnte es, wenn ich wollte, denn so etwas kann nur jemand wie ich: ein Traum- und Zeitengott. Damit ist die Zahl der Verdächtigen erheblich eingeschränkt.«

      Sein Blick brannte sich in ihr Herz. So viel Liebe erkannte sie darin, aber auch so viel Hass. »Eigentlich kommt nur einer für diese Schandtat infrage. Und ich hatte gedacht, er wäre mein Freund.«

      ~~~

      Ortos lief unruhig hin und her. Ab und zu stieß er einen unflätigen Fluch aus oder ließ die Wände erzittern, wenn sein Grollen den hell erleuchteten Raum erfüllte. Es war allerdings nicht Wut, die ihn trieb, sondern merkwürdigerweise eher Enttäuschung. Alles, was er in der letzten Zeit versucht hatte, war ihm misslungen, stellte er resigniert fest.

      Mitten in seiner Bewegung blieb er stehen. Gleich zwei faszinierende Frauen waren ihm durch die Lappen gegangen – und das gleich zwei Mal nacheinander! Die eine, die ihm versprochen war, und die andere, deren zerbrechliche menschliche Schönheit ihn schon seit langer Zeit betörte und bei der ihm Adol zuvorgekommen war. Nur zu gerne hätte er sich ihrer habhaft gemacht. Adol jedoch hatte sie sich vor ihm geholt!

      Wieder einmal war er einem Wettstreit mit ihm unterlegen. Im Grunde genommen nicht sonderlich schlimm, zumal Adol von Ortos‘ widerstreitenden Gefühlen für ihn überhaupt nichts ahnte, sich stattdessen seiner Freundschaft sicher glaubte. Aber gleich zwei? Wie konnte das geschehen? Eigentlich war Ortos seinem sogenannten Freund haushoch überlegen. Trotzdem passierten ihm immerzu solche Missgeschicke. Wenn er es sich so richtig überlegte, waren ihm die beiden Frauen nicht nur zweimal, sondern gleich dreimal, nein, Manuela sogar viermal nacheinander entwischt.

      Sira hatte sich, bevor Crinda sein Versprechen einlösen konnte, zu diesem Verlierertypen Tamarell geflüchtet, und Manuela war ihm nicht nur einmal von Adol direkt vor der Nase weggeschnappt worden. Dann die Pleite im Raum der Träume in Densos‘ Palast und jetzt ... Nun gut! So etwas kam vor!

      Tief sog er den Atem ein bei dem Gedanken, wie kurz er seinerzeit davor gestanden hatte, nach seinen ersten Niederlagen, sowohl Sira als auch Manuela doch noch in seine Gewalt zu bringen. Dabei hatte er alles so gut geplant, hatte sich unerkannt in Densos‘ Palast eingeschlichen, schließlich kannte er sich dort bestens aus. Dieses Mal sollten ihm die zwei Objekte seiner Begierde nicht entkommen. Er hatte nur zuzugreifen brauchen. Beide Frauen kannten ihn nicht, hatten sowieso nicht bemerkt, wie er sich ihnen, als Diener getarnt, genähert und sie beobachte hatte. Dann aber waren die Frauen in Streit geraten. Nein, das traf es nicht. Die Menschenfrau hatte sich sichtlich darum bemüht, die Feuerdämonin mit allerlei dummen Gewäsch zur Raserei zu bringen:

      ... »Tu doch nicht so, als wüsstest du nicht, was ich meine, Sira!« Manuela schnaubte aufgebracht. »Ich sehe doch in deinen Augen, dass du das kannst. Du bist viel mehr, als du vorgibst. Du kannst durch die Welten und Zeiten reisen, genau wie Adol. Willst du mir nicht helfen, oder darfst du das etwa nicht, weil Adol es dir verboten hat?«

      »Was redest du da eigentlich?«, verlangte Sira zu wissen. Sie wirkte nervös und angespannt. »Ständig sagst du solch unsinniges Zeug zu mir und willst, dass ich dir helfe, von ihm fortzukommen. Aber zum einen habe ich gar nicht die Fähigkeiten dazu, das habe ich dir nun schon tausendmal erklärt. Und zum anderen frage ich dich zum letzten Mal, warum du eigentlich wegwillst.«

      Erneut ließ Manuela ein lautes Schnauben verlauten, verfiel dann aber in einen flehenden Ton. »Ich halte es hier in dieser Götterwelt nicht mehr aus, Sira. Verstehst du das denn nicht? Ich hatte schon genug unter Frederick